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Ausgabe:

Oktober/2022

Spalte:

963-965

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Einführung in die evangelische Theologie. Text und Anmerkungen. Hgg. v. M. Käser, M. L. Frettlöh, D. von Allmen-Mäder.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2021. 385 S. Kart. EUR 25,00. ISBN 9783290182151.

Rezensent:

Reiner Marquard

Karl Barths Abschiedsvorlesung (= Einführung) gibt streng, ausschließlich und leidenschaftlich Rechenschaft über dessen Denkform »in der Schule der Schrift« (223) und unterscheidet sich insofern von herkömmlichen Einführungen, in denen eine allgemeine Hinführung zu den klassischen Gehalten des theologischen Kanons gegeben wird. Der sich als Immanuel entsprechende und darum schön zu nennende Gott macht alles theologische Arbeiten in dem Sinne leicht, als die Theologie entlastet ist, sich ihres Gegenstandes selbst bemächtigen zu müssen. Ihr Ernst – die immer wieder erforderliche Treue zu dem ihr zugewiesen Ort des Denkens – liegt in der Herausforderung zu einer theologischen Existenz heute in der Bitte Veni, creator Spiritus! Was Barth in der den ers-ten Abschnitt abschließenden Vorlesung über den Geist ausführt, findet deshalb seine Entsprechung in den jeweils letzten Artikeln II–IV (Glaube – Hoffnung – Liebe) im Anschluss an 1Kor 13,13. Rechte Gotteslehre fundiert Gottvertrauen.

In einem Beitrag zum 500-jährigen Jubiläum der Universität Basel (1960) führte Barth aus: »In diesem Vertrauen in Angriff genommen ist die systematische Theologie nicht nur eine eigentümlich freie, sondern bei aller schweren Verantwortlichkeit und Mühsal ihres Tuns eigentümlich sorgenfreie, ja fröhliche Wissenschaft« (Karl Barth-Lesebuch – Mit dem Anfang anfangen, 25).

Die Einführung gliedert sich nach einer »Erläuterung« in IV Abteilungen. I: Der Ort der Theologie (Das Wort; Die Zeugen; Die Gemeinde; Der Geist); II: Die theologische Existenz (Verwunderung; Betroffenheit; Verpflichtung; Der Glaube); III: Die Gefährdung der Theologie (Einsamkeit; Zweifel; Anfechtung; Die Hoffnung); IV: Die theologische Arbeit (Gebet; Studium; Dienst; Die Liebe). Der vorliegenden Edition liegt die 9. Auflage (2017) der 1962 erschienenen Einführung zugrunde.

Die Herausgeber arbeiten an den theologischen Fakultäten in Bern (Magdalene Frettlöh und Matthias Käser) und Zürich (Dominik von Allmen-Mäder). Die Herausgabe erfolgt unter Beteiligung von Theologinnen und Theologen, die sich in unterschiedlichen Stadien und Funktionen ihrer theologischen Existenz befinden. Das ist für sich eine beeindruckende herausgeberische Herausforderung und Leistung. Der Kreis der sog. »Annotierenden« (383–385) wird über die Herausgeberin und die Herausgeber hinaus durch Arianne Albisser, Matthias Felder, Michael Pfenninger, Hanna Reichel, Nicole Stacher und Lukas Stucki ergänzt.

Der Edition ging eine mehrjährige Beschäftigung mit der Einführung in Oberseminaren an der Theologischen Fakultät in Bern voraus, deren Früchte der umfangreiche Anmerkungsapparat dokumentiert. Die Anmerkungen (leider – wie Vorwort und Einleitung – mit einem störenden, den Lesefluss erheblich hindernden, sog. Unterstrich!) verorten die Vorlesungen in zeitgenössischen Debatten, decken Bezüge zu anderen Schriften Barths auf, legen biblische Fundamente frei, erläutern heute schwer verständliche Redenwendungen und gehen Zitaten und Anspielungen nach. Damit kann die Edition über die Möglichkeiten einer innerhalb der Gesamtausgabe nicht vorgesehenen Editionsweise hinausgehen.

Der Untertitel »Text und Anmerkungen« enthüllt im editorischen Vorgehen seine gelungene Pointe: So sehr die besondere Denkform Karl Barths im Vordergrund steht, so sehr ordnet sich ihr durch die sehr umfänglichen Anmerkungen eine regelrechte Hinführung zu dieser Denkform bei. Das Buch liest sich demnach doppelperspektivisch von Barth her und auf Barth hin. Eine gelungene Systematik, die zu weiteren diesbezüglichen Editionen ermutigt!

Leider nimmt das Buch einen etwas holprigen Anfang: In »der für ihn typischen Leichtigkeit galoppiert Barth durch sein theologisches Gesamtwerk« (11)? Hat man sich hier nicht der Sache und der Metapher nach vergaloppiert? Weiter unten ist widersprüchlich zum leichten Galopp von »Barths theologische[r] Langatmigkeit« die Rede (12). Seine Einführung posthum den Leserinnen und Lesern »zum Cantus firmus theologischen Denkens und Handelns« (12) empfehlen zu wollen, entspricht nicht Barths eigener theologische Haltung: Im Vorwort zu amerikanischen Ausgabe der Einführung schreibt Barth demgegenüber: »Instead, I may hope that the author of this book may have become familiar to many readers, if not to all, as a normal human being who is considerably involved his days to a special emphasis on the question of proper theology and that he would be happy if others would also devote themselves in all seriousness astonishing resümé, but it may serve purpose of contributing in a small way to the understanding oft he author and the book itself.«

Einige ergänzende Hinweise für eine der Edition zu wünschenden weiteren Auflage: S. 21: seit 2014 ist eine vollständige Neuedition der BSLK in Gebrauch: BSELK; S. 35: VIII–IX statt viii–ix; S. 44 (»Vogel im Flug«): Die Auferstehung der Toten (1924), 63; S. 46 (»Der Gott Schleiermachers kann sich nicht erbarmen.«): ThSt 48,15; S. 50 bricht der letzte Satz ab; S. 51 (»fröhliche Wissenschaft«): Verweis auf Zitat Beitrag Universitätsjubiläum s. o.; S. 83: (»Der Ort der Theologie«): hier wäre ein grundsätzlicher Verweis auf die Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik hilfreich gewesen, in denen Barth Ort und Denkform der Theologie bestimmt; S. 84 (»fähig und bereit«): Zitat aus HK, Frage 1; (»Frauenstimmrecht«) und S. 202 (»Frauenfrage«) hätten einen Hinweis auf die theologische Lebensleistung von Charlotte von Kirschbaum verdient; S. 142 (»Ehe und sonst«): Barth deutet dezent aber ehrlich die Notgemeinschaft an, in der er, Nelly Barth und Charlotte von Kirschbaum auf dem Bruderholz leben (vgl. ThLZ 3/2019, 231–234); S. 197 (»Vielleicht, aber vielleicht auch nicht!«): BwTh I, 492 f.; S. 199 f. (Absatz 1): OB 1945–1968, 500 f.; S. 215 (»Bilderverbot«): Unveröffentlichte Texte zur KD, 589–609; S. 254, Anm. 21: ein Blick u. a. in den Registerband der KD gibt Aufschluss darüber, wie eifrig Barth David Holla(t)z studiert und z. B. über die Bände der KD hin in unterschiedlichen Kontexten zitiert hat; S. 323: Hinweis auf CalvinsInstitutio fehlt.

Zum guten Schluss: Die Einführung hat in der Barth-Exegese leider keine besondere Rolle gespielt. Aber ihr besonderer Reiz liegt in ihrer Verflechtung von Theologie und Biographie. Hierin liegt die Bedeutung der nun vorliegenden Edition der Einführung. Karl Barth gibt Einblick in seine theologische Werkstatt und seine theo-logische Werkstatt gestattet einen Blick auf den Autor. Trittsicher bewegt sich die Edition in dieser Werkstatt und nimmt zum eigenen Verständnis andere Werkstücke des Autors in die Hand, sucht andere Werkstätten auf und eröffnet für eine heutige Lektüre Erkenntniszugänge, so dass uns der Autor in seiner biblischen Denkform erneut begegnet.