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Ausgabe:

Oktober/2022

Spalte:

949-952

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Förster, Guntram, u. Christof Müller [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Dialog und Dialoge bei Augustinus. Vermehrte Beiträge des XIV. Würzburger Augustinus-Studientages vom 17. Juni 2016.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2019. 179 S. = Cassiciacum, 39/14 – Res et signa. Augustinus Studien, 14. Kart. EUR 25,00. ISBN 9783429042479.

Rezensent:

Karin Schlapbach

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Müller, Christof, u. Guntram Förster [Hgg.]: Augustinus als Pädagoge und als Sprachtheoretiker. Beiträge der Würzburger Augustinus-Studientage 16 (2018) und 17 (2019). Würzburg: Echter Verlag 2021. 284 S. = Cassiacum 39,15. Res et Signa – Augustinus-Studien, 16. Kart. EUR 34,00. ISBN 9783429042547.


Die beiden vorliegenden Bände sind aus den Würzburger Augus-tinus-Studientagen 2016 bzw. 2018 und 2019 hervorgegangen und dokumentieren das anhaltende Interesse an Augustins Wirken als Lehrer und Philosoph, wie wir es aus seinen literarischen Werken fassen können. Aus dem gemeinsamen Fokus auf Dialog, Sprechen und Sprache ergeben sich mannigfaltige Berührungs-punkte, zumal die meisten Beiträge naturgemäss dem Frühwerk gewidmet sind, mit Ausblicken auf die Confessiones (Thiel, Vössing, Brachtendorf), De cathecizandis rudibus (Reil), De mendacio und Contra mendacio (Fürst) sowie auf die moderne Rezeption (Böhm, Brachtendorf). Die Besprechung ist notgedrungen selektiv.

Der erste Band, Dialog und Dialoge bei Augustinus, vereint vier Aufsätze, erweitert um den Wiederabdruck von vier Artikeln aus dem Augustinus-Lexikon: Academicis, De – (B. R. Voss), Cassiciacum (G. J. P. O’Daly), Magistro, De – (T. Fuhrer), Ordine, De (W. Hübner). Wie Christof Müller in seiner kurzen Einleitung festhält, wird »Dialog« im ersten Beitrag übertragen verstanden, nämlich als Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition. Rainer Thiel zeigt in »Augustin und die Kategorien. Das Verständnis der aristotelischen Kategorienschrift zwischen Ontologie und Prädikationslogik«, dass das negative Urteil über Aristoteles’ Kategorien in den Confessiones (4.29) nicht dem aktuellen Wissensstand entsprach, mit dem Augustin sicher durch Porphyrios vertraut war, sondern das Urteil des jungen Lesers Augustin wiedergibt. Jedoch hält Augustinus auch später durchaus zu Recht daran fest, dass die Kategorien zur Gotteserkenntnis »nichts Wesentliches beitragen« (30).

Die folgenden drei Beiträge wenden sich den Cassiciacum- Dialogen zu und berühren zum Teil ähnliche Punkte, z. B. die Frage nach der Historizität, die durch die Erwähnung von stenographischen Mitschriften aufgeworfen wird, oder das Verhältnis zwischen Augustinus und den Adressaten der Dialoge einerseits sowie jenes zu den restlichen Dialogfiguren andererseits. Jürgen Sauer, »Philosophische Gesprächskreise und die Funktion der Konfrontation in Ciceros Philosophica und Augustinus’ Cassiciacum-Dialogen«, arbeitet anhand eines Vergleichs heraus, wie Augustinus auf Ciceros Dialoggestaltung aufbaut und diese weiterentwickelt. Augustinus nimmt als Dialogfigur stärker Anteil und tritt als strenger Lehrer seiner Schüler in Erscheinung; er gibt sich selber eine entscheidende Rolle in der Gesprächsführung, und während bei Cicero widerstreitende Positionen im Sinne der akademischen Skepsis stehen bleiben, werden sie bei Augustinus im Rückgriff auf die Autorität Christi transzendiert.

Wie Dorothea Weber bemerkt, können wir Augustinus als Sprecher hauptsächlich in den Predigten fassen. In ihrem Beitrag »Zum Sprechen im Dialog. Philologische Beobachtungen zu philosophischen Argumentationen in De Academicis« untersucht Weber hingegen den Einsatz des gesprochenen Worts im ersten der Cassiciacum-Dialoge und nimmt dabei vier Aspekte in den Blick. Anhand des verzögerten Einstiegs in die Fragestellung in Buch 1 beleuchtet sie die Gestaltung des Gesprächsgangs, die den Leser zu einer aktiven Rolle in der Urteilsbildung einlädt; darauf folgen Beobachtungen zum Prosarhythmus in Augustins Monolog in Buch 3, zu fiktiven dialogischen Szenen innerhalb dieses Monologs und zu Bezügen zur konkreten Sprechsituation (Landleben, otium) ebenda. An dieser Vielfalt wird Augustins ausgeprägtes Bewusstsein für die Wirkung des gesprochenen Worts sichtbar.

Wolfgang Hübner, »Die Form des Dialoges De ordine«, beginnt mit seinem eigenen Einstieg in die Augustinusforschung über eine lexikalische Detailfrage, die ihn zur Maus führte, die Licentius in der Nacht stört (ord. 1.6), und von da zu den »Realien« in De ordine, die hier noch einmal kurz dargestellt werden (Tiere, Personen, Ort und Zeitpunkt) und anhand derer sich zeigt, dass sich die göttliche Ordnung nur »in staunender Bewunderung erahnen, erfahren und epideiktisch preisen« lässt (103). Hübner schließt mit der Beobachtung, dass die innovative Verschränkung von Gesprächsrahmen und Gesprächsinhalt in der Dialogform nicht mehr übertroffen werden konnte und folglich die Szenerie im nächsten Dialog, den Soliloquia, ganz wegfällt (105–106).

Der zweite Band, Augustinus als Pädagoge und als Sprachtheoretiker, versammelt neun Aufsätze, wovon einer auf die moderne Rezeption bei Rousseau und Arendt eingeht (Winfried Böhm, »Spuren Augustinischen Denkens in der Pädagogik der Neuzeit«). Peter Gemeinhardt, »Ist das Christentum eine Bildungsreligion? Beobachtungen zu Bildungsprozessen und -zielen in der frühchristlichen Apologetik und Katechetik« leuchtet die Entwicklung einer spezifisch christlichen Pädagogik bis zum vierten Jahrhundert aus und steckt damit den Rahmen ab, in dem sich Augustinus bewegen konnte. Konrad Vössing, »Augustinus und die spätantike Schule« setzt hier ein, indem er Augustins eigene Erfahrung als Schüler und seine Kritik der Schule in den Blick nimmt.

Der Titel von Therese Fuhrers interessantem Beitrag »Zahl und Rhythmus als Grundlage des Lernens: Augustins ›Ästhetik der Bewegung‹« nimmt Bezug auf Paul Souriau, L’esthétique du mouvement (1889). Das Zitat ist nicht anachronistisch, da Augustins genaue Analyse von Bewegung, die keinem praktischen Zweck dient, sondern »gleichsam frei« ist und »um ihrer selbst willen angestrebt wird und durch sich selbst gefällt« (De musica 1.3), einem modernen Verständnis einer ästhetischen (Tanz-)bewegung durchaus nahekommt (102 f.). Doch geht Augustins Interesse am motus in De musica 1 und 6 über den Tanz hinaus, indem die messbaren Zeiteinheiten aller rhythmischen Körperbewegungen als sinnliche »Spuren« auf die absolute Zahl verweisen (117–119).

Elisabeth Reil, »Motivationstraining mit Augustinus: De cathecizandis rudibus«, zeichnet die Argumentation dieser Schrift aus der Perspektive der modernen Pädagogik nach. Lenka Karfikova, »Die Sprache nach Augustins Dialog De quantitate animae«, arbeitet die Verbindung der stoischen Unterscheidung von klingendem Wort, Bedeutung und Sache mit der platonischen Anamnesis in den sprachtheoretischen Ausführungen von De quantitate animae heraus und verortet die Behandlung der Sprache in diesem Werk zwischen De dialectica und De magistro. Tobias Uhle untersucht in »Das Unsagbare sagen? Die Grenzen sprachlicher Vermittlung des wahren Wesens Gottes in Augustinus’ frühen Schriften« die Rolle des rationalen Denkens bei der Formulierung wahrer Aussagen über Gott, die Illuminationslehre und die Möglichkeit der sprachlichen Vermittlung Gottes durch visuelle Metaphern und kommt zum Schluss, dass Augustinus insofern als Mystiker gelten kann, als Gott nur in einer »transrationalen Bewegung« erfahren werden kann (196).

Alfons Fürst, »Wahrhaftigkeitspflicht und Lüge bei Augustinus«, diskutiert anhand von De mendacio und Contra mendacio Augustins Kriterien der Lüge (Unwahrheit der Aussage, Unaufrichtigkeit des Sprechers, womöglich eine Täuschungsabsicht und eine intendierte Folge) sowie sein Bestehen auf unbedingter Wahrhaftigkeit und zeigt, dass das Problem der übertragenen und fiktionalen Rede dabei ungelöst bleibt. Johannes Brachtendorf, »Augustins Theorie der Bedeutung und ihre Rezeption in der Sprachphilosophie Wittgensteins« verteidigt nicht nur Augustins Sprachtheorie gegen Wittgensteins Kritik, sondern auch das ihr zugrundeliegende Menschenbild, welches eine innere Dimension miteinschliesst.

Die Beiträge sind unterschiedlich innovativ, aber durchweg gut recherchiert und informativ. Zusammen dienen die beiden handlichen Bände als willkommener Einstieg in den aktuellen Diskussionsstand eines breiten Forschungsgebiets und bieten dem Fachpublikum wie auch einer allgemeineren Leserschaft zweifellos wertvolle Denkanstösse.