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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

795–797

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gerstacker, Andreas

Titel/Untertitel:

Der Heeresdienst von Christen in der römischen Kaiserzeit. Studien zu Tertullian, Clemens und Origenes.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. X, 422 S. m. 1 Tab. = Millennium-Studien, 93. Geb. EUR 113,95. ISBN 9783110714265.

Rezensent:

Werner Eck

Christen im römischen Heer während des Ur- und Frühchristentums bis zu Konstantin, ist ein seit Langem behandeltes Phänomen, nicht zum Wenigsten auch deshalb, weil man aus der jeweiligen Analyse Argumente in der modernen Auseinandersetzung mit Krieg und Militärdienst gewinnen wollte. Dass die modernen Voreinstellungen derjenigen, die sich mit dem Phänomen in der römischen Zeit auseinandersetzten, das »Ergebnis« beeinflussen konnten, ist leicht verständlich. Die vorliegende Arbeit, die aus einer 2013 an der Universität Leipzig verteidigten Dissertation hervorging, ist eine in einer langen Reihe, die sicher noch weiter fortgesetzt wird, wie Andreas Gerstacker selbst vermutet.

Seine Arbeit unterscheidet sich freilich von den meisten Abhandlungen zur Thematik, dass er bewusst auf eine holistische Untersuchung verzichtet, die üblicherweise das einschlägige Quellenmaterial mehr oder weniger ausführlich oder auch nur streifend einbezieht. Er konzentriert sich vielmehr auf die drei Autoren, die in der vorkonstantinischen Zeit, also vor der Freiheit der Christen innerhalb des Machtgefüges des Imperium Romanum, sich am ausführlichsten zu der Problematik des Heeresdienstes von Christen und auch allgemein zum Krieg geäußert haben: Tertullian, Clemens von Alexandrien und Origenes. Sie repräsentieren nicht nur das griechische und lateinisch geprägte Christentum, sie bewegten sich auch in sehr unterschiedlichen Lebenswelten des Imperium Romanum, das sich nie zu einem völlig einheitlichen sozialen Lebensraum entwickelt hat.

Natürlich hatten die drei Autoren wegen ihrer Schriften schon bisher im Zentrum der Diskussion gestanden, aber sie waren meist nur so weit herangezogen worden, wie sie in die jeweilige Art der Untersuchung passten. Dadurch aber habe »doch zum Teil die Detailliertheit der Analysen zu den einzelnen Quellengattungen erheblich« gelitten, einschlägige »Quellenpassagen« seien »oftmals nur sehr oberflächlich behandelt« worden. Man habe oft nur »wenige Textstücke zitiert oder paraphrasiert«, was sich nicht selten darauf beschränkte, »isolierte[r] Textstücke als Belegstellen für die jeweils vertretene Position« anzuführen (1 f.), ohne darauf zu achten, in welchem Kontext die antiken Autoren ihre Argumente eingesetzt hätten. Dem gegenüber will G. »die Position des jeweiligen Kirchenschriftstellers zur Frage von ›Christentum und Soldatenstand‹ durch eine detaillierte Interpretation der einschlägigen Texte nachvollziehbar« herausarbeiten (3). Um die eigene Herangehensweise deutlich zu konturieren, ist die Differenz zu früheren Untersuchungen manchmal zu scharf gezogen worden.

Die eigene Position wird in den Kapiteln 2–4 zu Tertullian, Clemens und Origenes dargelegt, woran sich eine kurze Schlussbetrachtung (353–360) anschließt. Literaturverzeichnis sowie Indizes zu den Quellenstellen, antiken Orts- und Personennamen sowie modernen Personennamen bilden den Abschluss.

Die auf die drei Autoren konzentrierte Untersuchung erfolgt bei allen in einer gleichartigen Form. Nach einer Skizzierung der Person und der Darstellung dessen, was sich zu ihrer sozialen Stellung sagen oder wenigstens vermuten lässt, werden die relevanten Quellenaussagen zum Dienst im Heer sowie zum Krieg dargestellt. Text und Übersetzung werden geboten, was einen unmittelbaren Zugang ermöglicht. Dabei wird zu zeigen versucht, in welchen argumentativen und rhetorischen Kontext die jeweiligen Passagen gehören. All dies erfolgt in einer minutiösen Auseinandersetzung mit der weitverzweigten Sekundärliteratur, die nicht selten in Zitaten selbst zu Wort kommt. Das führt freilich dazu, dass die Anmerkungen – auch in Diskussion von mittlerweile überholten Thesen, wie er selbst schreibt – weit mehr Platz einnehmen als der argumentative Text G.s (man sehe etwa das Missverhältnis von Text und Anmerkungen auf S. 258–263: mehr als 1:4). Wollte der Leser sie alle kontinuierlich zur Kenntnis nehmen, würde schnell beim Lesen der sachliche Zusammenhang verloren gehen, zumal viele Anmerkungen für den Fortgang der Diskussion unerheblich sind. Vernachlässigt man den Anmerkungsapparat, dann gewinnt die Darstellung an Klarheit.

Tertullians Erörterung konzentriert sich auf das Apologeticum, De idololatria und De corona, die auch sonst im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Es wird deutlich herausgearbeitet, dass man nicht von einer einheitlich strengen Ablehnung jeglichen Militärdienstes bei Tertullian sprechen könne. Vielmehr scheint er im Apologeticum eher zu akzeptieren, dass auch Christen im Heer dienen, eben weil er zeigen will, dass Christen positiv zum Imperium als Ganzem stünden. Dagegen wird in De idololatria wegen der Nähe des Soldat-Seins zum Götterglauben der Dienst im Heer grundsätzlich abgelehnt, während in De corona eine Duldung unter gewissen engen Voraussetzungen möglich erscheint. Diese Differenz lässt sich vor allem erkennen, wenn die spezifische Zielsetzung der einzelnen Werke beachtet wird, etwa die Stoßrichtung gegen die innerkirchlichen Gegner in De idololatria. Ob freilich die Frage des Militärdienstes von Christen durch die sehr pauschal angeführten »Reformen« des Septimius Severus verstärkt wurden, wie G. mehrfach betont, kann man mit Grund bezweifeln; hier scheint wie auch bei manchen Einzelfragen eine vertiefte sachliche Kenntnis außerhalb der zentralen Thematik zu fehlen.

Auch Clemens nimmt in drei Werken Stellung zum Militärdienst von Christen: im Protrepticus, dem Paedagogus und den Stromata. Seine Argumentation ist weniger polemisch als bei Tertullian und stärker auf die Erziehung zu einem christlichen Leben ausgerichtet. Für ihn sind Christen im Heer fast selbstverständlich, vor allem, wenn sie erst während ihres Dienstes zu ihrem Glauben gekommen sind. Die Soldaten müssen sich freilich in ihrem Tun an Gott ausrichten. Ob man als Christ auch ins Heer eintreten dürfe, wird bei ihm nicht wirklich klar. Verbindet man die Frage aber mit seiner Haltung, dass es gerechte Gründe für einen Krieg geben könne, dann scheint auch dies für Clemens nicht grundsätzlich unmöglich gewesen sein.

Bei Origenes steht notwendigerweise Contra Celsum im Mittelpunkt, doch daneben kommt er auch in seinen Kommentaren zu Schriften des Neuen und Alten Testaments auf den Kriegsdienst von Christen zu sprechen. Eingebettet ist aber alles in die umfassendere allgemeine Problematik von Krieg und Gewaltausübung. Während Origenes beim Kaiser als der gottgegebenen Ordnungsfunktion beides akzeptiert, sieht er die Aufgabe der Christen als eine geistliche an, weshalb sie im Heer im strengen Sinn keinen Platz einnehmen sollten; dennoch erwächst für ihn daraus kein grundsätzliches Verbot des Heeresdienstes.

Vieles wurde auch von anderen schon ähnlich gesehen, freilich nicht in so intensiver Auseinandersetzung mit allen drei antiken Autoren und nicht immer so nahe an den Quellen. All das hätte freilich deutlich kürzer gefasst werden können, auch mit Rücksicht auf die Zeit der Leser. Am Ende aber wird man G. zustimmen können, dass die frühchristliche Auseinandersetzung um die Frage von Heeresdienst und Krieg keine Argumente liefert für einen grundsätzlichen und christlich fundierten Pazifismus unserer Zeit. Die drei von ihm behandelten Autoren verschlossen nicht die Augen vor der Realität ihrer, der römischen Zeit.