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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

850–851

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Gallus, Petr

Titel/Untertitel:

The Perspective of Resurrection. A Trinitarian Christology.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. XIV, 467 S. = Religion in Philosophy and Theology, 106. Kart. EUR 99,00. ISBN 9783161601095.

Rezensent:

Arne-Florian Bachmann

Inkarnation, Kreuz oder Auferweckung: Was soll als paradigmatischer Ausgangspunkt für die Christologie und die christliche Botschaft als solche gelten? Der tschechische Theologe Petr Gallus gibt die Antwort bereits im Titel: Die Auferweckung Christi bildet den perspektivischen Fluchtpunkt der Christologie, aber auch das Integral aller christlichen Theologie.

Dieser Band ist formal eine Christologie aus der Perspektive der Auferweckung. Tatsächlich soll es sich dabei um den Auftakt eines mehrbändigen Projektes handeln, das durchaus als systematisch-theologischer Gesamtentwurf zu verstehen ist. Entsprechend weitläufig sind die behandelten Themen, die von wissenschaftstheoretischen Grundüberlegungen (Kapitel 1.2.) bis zur Frage des Dialogs der Religionen (Kapitel 11) reichen. Im Hintergrund des Entwurfs stehen neben den Werken des Neutestamentlers P. Pokorný vor allem die Theologien von I. U. Dalferth und W. Pannenberg. Die Anliegen beider Entwürfe werden souverän fusioniert, in ihrer teils erheblichen Differenz aber nicht eigens diskutiert.

Das Buch ist in zwei Teile geteilt: Der erste Teil beinhaltet die Prolegomena zur Christologie inklusive einer ausführlichen dogmengeschichtlichen Problemanzeige, während der zweite Teil sich material mit der Christologie von der göttlichen Präexistenz bis hin zur Frage nach Zeit und Ewigkeit beschäftigt und schließlich mit einem Kapitel zum interreligiösen Dialog abgerundet wird.

Christologie steht für G. dabei im Wesentlichen für eine theo-logische Ontologie, die ausgehend von der Auferweckung die Frage nach der Wirklichkeit und der Möglichkeit einer Beziehung zwischen Gott und Mensch fragt (3). In dieser grundsätzlich eher offenbarungstheoretischen und trinitarisch geprägten Sicht ist dabei der Begriff der Ontologie zu unterstreichen: Entscheidend ist nicht, wer Jesus Christus für uns heute ist, sondern, wer Jesus Christus ist (vgl. 31). In dieser Sicht, die G. »interne[n] Realismus« nennt (Kapitel 1.2.3), soll die Einsicht in eine unhintergehbare Perspektivität und Vorläufigkeit aller Erkenntnis mit einer grundlegend realistischen Epistemologie verbunden werden. Christus steht dabei für den externen »Ankerpunkt« des christlichen Glaubens (30 f.). Unter der Überschrift »The Object of Christology« beschäftigt sich G. nun mit der Frage nach dem historischen Jesus und schlägt die Auferweckung als theologische Leitperspektive vor, die die disparaten Jesus-Bilder integrieren kann (60).

Außerdem ruft er in Kapitel 3 (»The Field of Christology«) die traditionellen kirchlichen Lehrentscheidungen auf, allen voran das Glaubensbekenntnis von Chalcedon. Sehr plausibel zeigt G. dabei, dass Chalcedon vor allem aus der Perspektive der Inkarnation heraus mit dem Problem der Gottesbeziehung in und durch die Person Jesu Christi gerungen hat. Dabei wird auf fast 100 Seiten dogmengeschichtlich gezeigt, wie in der Folge von Chalcedon die metaphysischen Motive der Apathie und der Unwandelbarkeit Gottes eine konsistente Christologie immer wieder untergraben haben. An dieser Stelle eher kurz erwähnt als ausführlich diskutiert werden kreuzestheologische Entwürfe, die teilweise sehr schnell als widersinniger »Kenotizismus« abgetan werden (137–142). So plädiert G. dafür, »mit Chalcedon über Chalcedon hinaus« zu gehen. Statt der Idiomenkommunikation schlägt G. die personale Einheit von Gott und Mensch mit Hilfe der Figur der Akkommodation vor und statt Kenosis spricht er von Plerosis (der Bereicherung Gottes durch die Auferweckung). Im finalen Kapitel des ersten Teils entfaltet er seine Grundlegung der Christologie von der Auferweckung her. Wenn die Christologie das Zentrum der Theologie bildet, so bildet für G. die Rede von der Auferweckung das Zentrum dieses Zentrums (166). G. entwirft seine spekulative Ontologie der Auferweckung grob in der Folge von Pannenberg: Die Auferweckung bildet als Gottes eschatologisches Handeln an der Welt die Vorwegnahme der Fülle des eschatischen Heils. Gleichzeitig bestätigt sie die personale Einheit des Menschen Jesu Christi, der in seiner Person auch zugleich Gott ist (166 f.). Ausgehend von der Auferweckung könne dann die gesamte Geschichte Jesu Christi von der göttlichen Präexistenz bis zum Jüngsten Gericht spekulativ (re-)konstruiert werden (175). Dies wird dann im zweiten Teil des Buches durchgeführt.

Dort ist die Metapher der Akkommodation Gottes leitend. Diese schlägt G. als »framing ontological term« und »regulatory category« für alle zukünftige Gottesrede vor (205). Im Wesentlichen handelt es sich bei der Akkommodation um eine dynamisierte Form der Unwandelbarkeit Gottes, bei der Gott sich bis zum Tod hin auf den Menschen einstellen kann, um dabei dennoch fundamental Derselbe zu bleiben. Doch an die Stelle der Selbsterhaltung treten hier Selbststeigerung bzw. Selbsterfüllung. Der trinitarische Gott hat sich für G. in sich selbst schon zur Akkommodation be­stimmt und insofern passt sich Gott bereits in sich der Andersheit des Anderen an (206–209). Der Gott, dessen Wesen es ist, sich auf den anderen einzustimmen, wird in Christus Mensch. In der Auferweckung wird nun der Tod selbst reloziert und bekommt seinen Ort im göttlichen Leben, was im Sinne des mors mortis zu einer Überwindung des Todes in Gott führt. Gleichzeitig kehrt Christus in das göttliche Leben zurück, was Veränderung und Dynamik ins göttliche Wesen einträgt (386–390).

Dabei ist hier die identitätsphilosophische Perspektive leitend: Bei aller Diskontinuität wird die Kontinuität betont, bei aller Differenz die Identität und bei aller Dynamik die prästabile personale Einheit. Dies trifft auf die Aussagen über Christus und auf die Trinität ebenso zu wie auf den Menschen. Der Mensch, der in dieser Hinsicht laut G. Gott ontologisch entspricht (387), wird im Sinne des Imago-Dei-Gedankens auch auf die Figur der Akkommodation und der darunterliegenden Identitätsfigur verpflichtet.

Das zeigt sich etwa dort, wo die Identität als anthropologische Leitkategorie beschrieben wird, mit der das Ganze des eigenen Selbstseins bezeichnet wird. Diese sei zwar extern und entzogen, doch könne sie antizipatorisch schon jetzt aufscheinen (230–231). Als Container und Integral (234) der eigenen Identität führt G. den Eigennamen an, den er in Anlehnung an die biblische Tradition und die Namenstheorie von S. Kripke als Chiffre für die Unaustauschbarkeit der eigenen Existenz sieht. Ob das den Pointen von Kripke (der ja eine Identifzierbarkeit ohne Identität beschreibt) und der biblischen Tradition (die eben auch die Rede vom neuen Namen – Offb 2,17 – kennt), gerecht wird, muss hier dahinstehen. So hätte es der Argumentation des Buches zusätzlich Gewicht verliehen, wenn auf die philosophische Kritik dieser hier zugrunde liegenden Denkfiguren der Identität eingegangen würde, wie sie etwa von der Differenz- bzw. Alteritätsphilosophie vorgebracht wird.

Das stellt jedoch nicht in Abrede, dass das vorliegende Buch in beeindruckender Weise eine theologische Gesamtkonzeption bietet, die entlang bestimmter theologischer Weichenstellungen in sich schlüssig ist und auf kreative Weise einen Umgang mit der theologischen Tradition findet. Inkarnation, Kreuz oder Auferweckung – oder gar Pfingsten als paradigmatisches Zentrum der Theologie? Diese Frage wird wohl auch mit dem vorliegenden Band nicht abschließend beantwortet. Aber sie wird vielleicht auf neue Weise interessant.