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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

758–760

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

[Griffith, Sidney Harrison]

Titel/Untertitel:

Profile gelebter Theologie im Orient. Sidney Harrison Griffith zum 80. Geburtstag. Hg. v. M. Tamcke.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2018. 267 S. = Göttinger Orientforschungen. I. Reihe: Syriaca, 55. Kart. EUR 58,00. ISBN 9783447111485.

Rezensent:

Joachim Jakob

Der Sammelband enthält vor allem Beiträge, die aus einer Ringvorlesung mit dem Titel »Profile des orthodoxen Christentums: Syrien und Ägypten« an der Georg-August-Universität Göttingen stammen. Angesichts der Verwirrung, die die Vielgestaltigkeit des orientalischen Christentums mitunter bei westlichen Leserinnen und Lesern auslöst, hält der Herausgeber biographische Zugänge für hilfreich, »um an ausgewählten Beispielen besser verstehen zu können, wie sich Theologie oder eine historische Situation im Leben ausgewählter Vertreter der christlichen Kulturen des Orients auswirken« (7). Dementsprechend enthält der Band 15 Aufsätze, in denen biographische Beispiele »gelebter Theologie im Orient« er­läutert werden. Die Beiträge wollen laut Herausgeber »nicht unbedingt neueste Erkenntnisse offerieren oder stets auf neuesten [sic] wissenschaftlichen Stand sein, aber sie wollen Interesse wecken« (11).
Die Personen, die zusammen mit ihrem Wirken in dem Band vorgestellt werden, lebten in verschiedenen Zeiten und Kontexten. Das Spektrum reicht von Pseudo-Makarios im 4./5. Jh. (Beitrag von Martin Illert, 13–18) bis hin zum äthiopisch-orthodoxen Patriarchen Abunä Pawlos (1935–2012) im 20. und 21. Jh. (Aufsatz von Kai Merten, 233–243). Dabei sind die Beiträge in dem Band chronologisch nach den Lebenszeiten der jeweils vorgestellten Personen geordnet.
Ein Überblick über die einzelnen Aufsätze mag die inhaltliche Vielfalt dieses Sammelbandes verdeutlichen: Heike Behlmer stellt den koptischen Abt Besa vor, der im 5. Jh. das berühmte »Weiße Kloster« leitete und weitgehend im Schatten seines bekannteren Amtsvorgängers Schenute von Atripe (gest. 465) stand (vgl. 19–32). Aus den Reihen der Protagonisten der christologischen Auseinandersetzungen des 5. und 6. Jh.s werden zwei Bischöfe behandelt: Während Claudia Rammelt ein aufschlussreiches Porträt des Ibas von Edessa (gest. 457) als Vertreter der antiochenischen Tradition zeichnet (33–50), setzt sich Theresia Hainthaler mit Severus von Antiochien (gest. 538) als Repräsentanten der alexandrinischen Christologie auseinander (51–64). In den Bereich des Mönchtums führen die Beiträge von Andreas Müller zu Johannes Sinaites (65–74), einem »der bedeutendsten spirituellen Autoren der östlichen Welt« (74), sowie von Dmitrij F. Bumazhnov zu dem Ostsyrer Isaak von Ninive (75–88), dessen Werke teilweise über die Grenzen seiner eigenen Kirche hinaus rezipiert wurden.
Der Koexistenz von Christen und Muslimen im Orient sind zwei Beiträge gewidmet: Vasile-Octavian Mihoc (89–108) analysiert den Traktat über die Bilderverehrung des Theodor Abū Qurra (gest. um 830), der melkitischer Bischof der Stadt Ḥarrān war. Abū Qurra war einer der ersten christlichen Autoren, die auf Arabisch schrieben. Der christliche Bilderkult stellte für Abū Qurra laut Mihoc »das religiöse Differenzmerkmal zum Islam« (107) dar. Abū Qurras Werk aus der Frühzeit christlich-muslimischer Koexistenz markiert einen »Übergang von selbstverständlicher Tradierung zur kontextuellen Neuformulierung christlicher Lehrinhalte« (108). Mi­chael Kleiner steuert einen Artikel über den christlich-äthiopi-schen Herrscher Galaudeos (gest. 1559) bei (109–120), der die sein Reich umgebenden muslimischen Gruppen und Territorien unter ihrem Anführer Aḥmad b. Ibrāhīm mit der Unterstützung portu-giesischer Soldaten besiegen konnte und anschließend die por-tugiesischen Bekehrungsversuche gegenüber dem äthiopischen Christentum abwehren musste.
Der bei Weitem umfangreichste Beitrag des Bandes stammt von Tobias Kröger, der sich dem Wirken des Herrnhuter Missionars Carl Nottbeck unter den europäischen Sklaven in Algier von 1745 bis 1748 widmet (121–180). Martin Tamcke beschäftigt sich in seinem Artikel – wie schon in mehreren Publikationen zuvor – mit dem aus der iranischen Urmia-Region stammenden Christen Yuḥannon Pera (181–194), der in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s im niedersächsischen Hermannsburg ausgebildet wurde. Als ordinierter lutherischer Pastor kehrte Yuḥannon Pera in seine Heimat zurück, wo er mit der Erlaubnis des Patriarchen in seiner Ursprungskirche, der Kirche des Ostens, als Priester wirkte.
Andreas Pflitsch setzt sich mit dem Werk Der Prophet des liba-nesisch-amerikanischen Schriftstellers Kahlil Gibran (Ḫalīl Ǧib-rān, 1883–1931) auseinander (195–200). Maibritt Gustrau nimmt den evangelischen Theologen und Religionspsychologen Karl Beth (1872–1959) in den Blick (201–204), der kurz nach der Jahrhundertwende eine eigene Sichtweise auf das orientalische Christentum entwickelte, dessen Kirchen er – im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen – aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer je eigenen Existenzbedingungen verstehen wollte.
Aho Shemunkasho stellt den bedeutenden syrisch-orthodoxen Ge­lehrten und Metropoliten Mor Philoxenos Yuḥanna Dolabani (1885–1969) vor (203–218), zu dessen Person und Wirken es nur wenige Studien in westlichen Sprachen gibt. Dass die orientalische Orthodoxie nicht allein auf den Nahen und Mittleren Osten beschränkt ist, zeigt der Beitrag von Lukas Pieper (219–231), der sich dem indischen Metropoliten Paulos Mar Gregorios (1922–1996) widmet.
Dem Band sind zwei englischsprachige Beiträge beigefügt, die in keinem direkten Zusammenhang zu den vorangegangenen Aufsätzen stehen: Irfan Shahîd (1926–2016) erläutert aufschlussreich, dass sich das »Heilige Land« in der Spätantike nicht allein auf das palästinische Gebiet westlich des Jordans erstreckte, sondern dass sich auch die Christen in der römischen Provinz Arabia östlich des Jordans als Teil des »Heiligen Landes« verstanden (245–261). Den Abschluss bildet eine Ansprache des Katholikos Baselios Marthoma Paulose II. (1946–2021) von der Malankara-Orthodoxen Syrischen Kirche Indiens an der Universität Göttingen im Jahr 2017 (263–267).
Der Sammelband enthält insgesamt ein buntes Kaleidoskop von Personen aus der Geschichte des orientalischen Christentums. Es sind keine Kriterien für die Auswahl der vorgestellten Personen ersichtlich, was aber auch den Vorteil hat, dass nicht nur ohnehin schon bekannte Akteure aus der Geschichte des orientalischen Christentums in den Blick genommen werden. Die Beiträge vermitteln einen Eindruck von der Vielfältigkeit des orientalischen Christentums und erklären zugleich die Besonderheiten dieses Christentums anhand ausgewählter Beispiele, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Am orientalischen Christentum Interessierte finden in diesem Band wertvolle Informationen sowohl zu einzelnen Repräsentanten des orientalischen Christentums als auch zu den Beziehungen zwischen westlichem und orientalischem Christentum.