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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

713–715

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Beeke, Jonathon D.

Titel/Untertitel:

Duplex Regnum Christi. Christ’s Twofold Kingdom in Reformed Theology.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. XIV, 255 S. = Studies in Reformed Theology, 40. Kart. EUR 57,00. ISBN 9789004440661.

Rezensent:

Michael Weinrich

Diese kirchengeschichtliche Dissertation (Groningen) von Jonathon D. Beeke befasst sich mit der unterschiedlichen theologischen Verortung des zweifachen Regiments Jesu Christi bei den Reformatoren und dann in der reformierten Orthodoxie vor allem des 17. Jh.s. Während die Reformatoren das Motiv im Horizont der Ekklesiologie bedacht haben, wurde es in der Rezeption der Orthodoxie durchgängig in der Christologie im Zusammenhang der Unterscheidung von Person und Werk Jesu Christi erörtert. Damit ist eine fundamentale Verschiebung der inhaltlichen Erschließungskraft dieser Lehre verbunden. Der Fokus der Reformatoren war sowohl auf die Unterscheidung als auch auf die Beziehung von Kirche und Welt gerichtet. In der Orthodoxie galt dagegen die Aufmerksamkeit dem Unterschied zwischen der Partizipation Christi an der Herrschaft des dreieinigen Gottes über seine Schöpfung ( regnum essentiale) und seinem besonderen Handeln in der versöhnenden Zuwendung zur Rettung des gefallenen Menschen (regnum mediatorum), wie sie in der Lehre vom dreifachen Amt Jesu Christi (König, Priester und Prophet) vorgetragen wurde.
Der Vf. macht skizzenhaft darauf aufmerksam, dass die Zwei-Reiche-Lehre bzw. die Zwei-Regimenten-Lehre keine Erfindung der Reformatoren war, sondern in recht unterschiedlicher Gestalt be­reits in der Alten Kirche und auch im Mittelalter thematisiert wurde. Das kann nicht wirklich überraschend sein, weil sie ein Problem aufgreift, das sich unausweichlich zu jeder Zeit stellt, denn die Herrschaft Gottes wäre zu kurz gedacht, wenn sie sich nur auf die Kirche bezöge und nicht auch die politische Macht in der Welt in den Blick nähme. Zur Vermeidung jeder Vorstellung von einer dualis-tisch beherrschten Welt ist es erforderlich, die Herrschaft Gottes differenziert zu betrachten, was eben zumindest eine Unterscheidung zwischen Gott als dem Schöpfer und Gott als dem Versöhner und Erlöser der Welt nahelegt. Exemplarisch zeigt der Vf. an fünf einschlägigen Positionen (Johannes Chrysostomus, Augustin, Papst Bonifatius VIII., Thomas von Aquin und William von Ockham) sowohl auf, wie essenziell die qualitative Differenzierung des Herrschaftsverständnisses Gottes war, als auch, in wie unterschiedlicher Weise diese unter jeweils verschiedenen Umständen vorgenommen werden konnte.
Bekanntlich hat Johannes Heckel Luthers Zwei-Reiche-Lehre als einen Irrgarten bezeichnet, tatsächlich bleibt sie aber gerade in ihrem Facettenreichtum der grundlegenden Beziehung von dem geistlichen und weltlichen Reich auf das geistliche und weltliche Regiment Gottes die entscheidende Referenz auch für die reformierte Rezeption. Es ist die Welt der Sünde, deren Abgründe durch göttlich legitimierte menschliche Herrschaft unter Androhung von Gewalt so weit beherrscht werden, dass zumindest relative irdische Gerechtigkeit und Frieden gewährleistet sind. Während sich die gefallene Welt am Gesetz zu bewähren hat ( iustitia activa), lebt die Kirche aus der sie begründenden Freiheit des Evangeliums, in der sie immer schon von ihrer in Christus durchgesetzten Rechtfertigung herkommt (iustitia passiva). Bucer und Calvin wussten sich im Grundsatz Luther verpflichtet, betonten aber sowohl polemisch gegen den Machtmissbrauch der römischen Kirche und den Anarchismus der Täufer als auch im Blick auf die für sie virulente Flüchtlingsproblematik deutlicher die Schutzverantwortung der weltlichen Herrschaft für die Kirche (74.81). In jedem Fall ging es um die theologische Ausgewiesenheit des Verhältnisses der Kirche zu der sie umgebenden politischen Macht, wie auch umgekehrt um die Bestimmung der weltlichen Machtausübung für die Existenz der Kirche.
In ihrem zweiten Hauptteil wendet sich die Untersuchung dann der reformierten Orthodoxie zu. Methodisch konzentriert sich der Vf. auf exponierte Vertreter von drei bedeutenden Zentren reformierter Theologie, nämlich Leiden (Franciscus Junius und Antonius Walaeus), Genf (Francis Turretin und Bénédict Pictet) und Edinburgh (John Sharp und David Dickson). Nach einer Skizze der signifikant unterschiedlichen sozio-politischen Gegebenheiten bzw. der historischen Dynamiken in den drei Zentren werden jeweils exemplarisch die einschlägigen Einlassungen zum Thema betrachtet. Dabei galt es insbesondere der Frage nachzugehen, ob sich die dargestellten kontextuellen Differenzen auch in dem jeweiligen Verständnis der voneinander zu unterscheidenden Regimente Gottes widerspiegeln. Trotz aller zweifellos bestehenden Unterschiede so­wohl im Blick auf die Terminologie als auch auf die systematischen Verweisungszusammenhänge identifiziert der Vf. interessanterweise in mehrfacher Hinsicht einen von den kontextuellen Unterschieden weithin unberührten sachlichen Konsens.
Zusammengefasst sind es drei fundamentale Aspekte, in denen die unterschiedlich ausgewiesenen Lehrkonzepte inhaltlich übereinstimmen. 1. Der reformatorische Fokus auf die ekklesiologisch perspektivierte Differenz von geistlicher und weltlicher Herrschaft bzw. dem göttlichen Regiment einerseits in der Kirche und andererseits durch die politische Gewalt verschiebt sich auf die Wahrnehmung unterschiedlicher Dimensionen des Herrschens Gottes in der Gotteslehre bzw. in der Christologie. Entweder folgt die Orientierung der ökonomischen Trinität oder der christologischen Differenz von Person und Werk Jesu Christi. Entsprechend den besonderen Appropriationen der drei Erscheinungsweisen der Trinität konnte die duale Perspektive auch zu einer dreifachen erweitert werden (vgl. 110–114). In der Regel wurde aber die Partizipation der Herrschaft Christi an dem universalen Regiment der Trinität von dem mediatorischen Regiment Christi als des Versöhners unterschieden (217). 2. Inhaltlich war die Lehre von den zwei Regimenten in der Orthodoxie exegetisch vor allem von Mt 18,18–20 und 1Kor 15,24–28 geprägt, polemisch war sie gegen die Sozinianer gerichtet und dogmatisch eng in die Bundestheologie eingebunden (128). 3. Den entscheidenden Gewinn des orthodoxen Konzepts scheint der Vf. mehr implizit als explizit in der konsequenten Klarstellung zu sehen, dass die Zwei-Regimenten-Lehre strikt den Einsichten konsequenter Gotteserkenntnis und nicht etwa den Bedarfen eines von der Kirche ins Auge zu fassenden Weltverhältnisses zu f olgen habe (225). Möglicherweise schwingt in dieser Wahrnehmung auch eine gegen mögliche Politisierungen gerichtete konservative Selbstverortung des Vf.s mit.
Die Monographie durchschreitet ein äußerst weit gespanntes Gegenstandsfeld, so dass es nachvollziehbar ist, dass sie nicht durchgängig vom Quellenstudium, sondern immer wieder auch von einschlägiger Sekundärliteratur lebt. Interessant wäre es noch gewesen, etwas mehr über die Bedeutung der Zwei-Regimenten-Lehre innerhalb der untersuchten Positionen zu erfahren. In jedem Fall wird hier die Rekonstruktion einer erstaunlichen Konvergenz der reformierten Orthodoxie zur Diskussion gestellt, die gewiss auch noch die eine oder andere weitere Differenzierung erwarten lässt.