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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

701–703

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Czaika, Otfried, u. Wolfgang Undorf [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Schwedische Buchgeschichte. Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021. 253 S. m. 15 Abb. = Refo500 Academic Studies, 76. Geb. EUR 80,00. ISBN 9783525564974.

Rezensent:

Hannah Kreß

Der schwedische buchhistorische Diskurs war bisher vornehmlich auf den nordischen (Sprach-)Raum beschränkt, wie die Herausgeber, Otfried Czaika und Wolfgang Undorf, einleitend bemerken, um zugleich zu konzedieren, dass auch dieser Band keine Forschungslücke schließe, aber durch seine transnationale Perspektive auf die Buchgeschichte Anschlussfähigkeit an den kontinentalen Forschungsdiskurs herzustellen bestimmt sei.
In neun chronologisch geordneten Beiträgen werden Schlaglichter auf verschiedenste Aspekte von Buchgeschichte im Zeitraum des späten 15. Jh.s bis zum Beginn des 19. Jh.s (in weiter Interpretation der Begrifflichkeiten von Reformation und Konfessionalisierung) geworfen. Dabei wird Buchgeschichte in einem Sinn verstanden, der neben Fragen nach der Quantität und Verbreitung von Büchern auch werkbiographische Untersuchungen, die Auseinandersetzung mit speziellen Gattungen, Wechselwirkungen von Politik und literarischer Publikation sowie Überlegungen zu Buchkultur und Literalität integriert. Mit der Bezeichnung »schwedisch« sind dabei die nach heutigem Verständnis getrennten, im Untersuchungszeitraum aber noch zusammengehörigen Länder Schweden und Finnland beschrieben.
Eine statistische und bibliographische Orientierung auf den Buchmarkt des schwedischen Reiches und seiner übernationalen Vernetzung gibt der Beitrag von Wolfgang Undorf anhand einer Auswertung einheimischer Druckproduktionen sowie von Druckimporten, die durch nachgelassene Bibliotheken und Erwerbungslisten nachweisbar werden. Dabei bezieht er sich wesentlich auf Ergebnisse seiner im Jahr 2014 veröffentlichten Dissertation.
Der Beitrag von Remi Kick stellt Laurentius Petri (1499–1573, seit 1531 Erzbischof) ins Zentrum und wertet dessen Schriften, die bis heute nicht als Gesamtausgabe vorliegen, werkgeschichtlich aus. Dabei zeigt sich Laurentius Petri, der vorrangig mit der Erarbeitung kirchlich-praktischer Grundlagenwerke (Kirchenordnung, Postille) zur Konsolidierung der Reformation assoziiert wird, auch als ein Autor, der mit seinen Schriften zu zeitgenössisch aktuellen Kontroversen Stellung bezog, wenngleich diese mitunter erst viele Jahre später im Druck erschienen.
Die Reformation im heutigen finnischen Teil des schwedischen Reiches thematisiert der Beitrag von Jason Lavery, der den Erfolg Mikael Agricolas (1510–1557) als Reformator und Wegbereiter der finnischen Schriftsprache insbesondere aus dessen Rückgriff auf ein unterstützendes Netzwerk rekonstruiert. Agricola habe zu­nächst seine Schriften in einer verständlichen finnischen Schriftsprache abgefasst, die er zugleich durch seine erste Publikation, ein ABC-Buch (Abckiria), zu vermitteln suchte. Sodann habe er den Zugang zur königlichen Druckerei genutzt, um seinen Veröffentlichungen, die er mithilfe studentischer Mitarbeiter und der Rezeption reformatorischer Literatur anderer Autoren erarbeitete, Öf­fentlichkeit und Verbreitung zu verschaffen. Laverys Darstellung rekurriert dabei auf seine im Jahr 2017 erschienene Dissertation, Reforming Finland.
Otfried Czaika zeigt in seinem Beitrag über schwedische Ge­sangbücher und Lieddrucke des 16. Jh.s exemplarisch die verschiedenen Aspekte und Herausforderungen in der Auseinandersetzung mit skandinavischer Buch- und Druckgeschichte auf. Seine Überlegungen zu kanonischen Büchern, Büchern des Archivs und verlorenen Büchern – in Rekurs auf Aleida und Jan Assmann – könnten Mutmaßungen über Auflagenstärke, die Vitalität des Buchmarktes sowie das Interesse der Lesenden anregen und weitere Forschungsfragen stimulieren. Die für den schwedischen Kontext nur geringe Überlieferungsquote vieler Drucke mache besonders Sammelbände zu wichtigen Informationsträgern und erlaube, durch die Auffindesituation Rückschlüsse auf Gebrauchsweisen zu ziehen.
Anhand der Übersetzungspraxis des Petrus Johannis Gothus (1536–1616) in seiner Schrift Sköna och märkliga skriftens sentenser (1597) zeigt Kajsa Weber, wie durch eine buchhistorische Herangehensweise (u. a. Identifikation und Umgang mit der zu übersetzenden Vorlage, Untersuchung von ergänzenden Paratexten, Layout und Emblematik) neue Einsichten in das Verhältnis von (theologischer) Publikation und Politik gewonnen werden können, die ganz abgesehen von den Inhalten den Blick auf die (konfessionelle) Positionierung des Autors freilegten.
Die beiden folgenden Beiträge von Elena Dahlberg und Martin Berntson untersuchen jeweils eine spezifische Gattung in ihrem größeren Kontext. Die Inkorporation der im Dreißigjährigen Krieg durch König Gustav II. Adolf geraubten Bücher in die Universitätsbibliothek Uppsala sei auf das Engste mit dem Staatsbildungsprozess verbunden und werde in zwei neulateinischen Gedichten gerühmt. Aus buchhistorischer Perspektive seien diese Ereignisse mit den Büchern als Raubgut einerseits sowie durch ihre poetische Kommentierung mit dem Ziel der Selbstprofilierung des schwedischen Reiches andererseits von Interesse (Dahlberg). Die Unter-suchung des schwedischen religiösen Theaters (1550–1700) zeigt Vergleichbarkeiten zum deutschen religiösen Theater dieser Zeit, vermag aber zugleich den Blick auf die konfessionellen Ausprägungen im 16. und 17. Jh. zu diversifizieren. Während diese genauso pädagogisch-moralisierend ausgerichtet seien wie jene, würden daneben andere Aspekte lutherischer Orthodoxie (etwa die Lehre der Verbalinspiration) vernachlässigt und mitunter sogar Wert schätzung innerweltlicher Vergnügungen zum Ausdruck ge– bracht (Berntson).
Einen Überblick über die Lesekultur in Finnland vom 17. bis zum Beginn des 19. Jh.s, insbesondere in bäuerlichen Kontexten, gibt der Beitrag von Tuija Laine, der darstellt, wie religiöse Literatur genutzt wurde, um nicht nur Lesefähigkeit, sondern auch Inhalte zu verbreiten. Die Konsolidierung der Literalität habe die Produktion von Literatur in allen Gesellschaftsschichten angeregt, damit aber auch der Verbreitung separatistischer Ansichten Vorschub geleistet.
Der abschließende Beitrag von Esko Laine untersucht unter Re­kurs auf die Verbreitung deutscher pietistischer Literatur in Finnland (vor allem Johann Arndts) deren Beitrag zur Konstruktion eines modernen Ichs in der finnischen Gesellschaft durch einen individuellen Ruf in Verantwortung.
Der Band macht aktuelle Forschungen zur schwedischen Buchgeschichte einem breiteren Rezipientenkreis – außerhalb der nordischen Sprachen – erstmals zugänglich und vermag durch den Facettenreichtum der Zugangsweisen Anknüpfungspunkte an den kontinentalen Forschungsdiskurs herzustellen und trotz der gemeinhin schwierigen Quellenlage weitergehende Forschungsfragen aufzuzeigen. Warum Olaus Petri (1493–1552), der maßgebliche Publizist der Einführung der Reformation im schwedischen Reich, hier unberücksichtigt ist, mag man dennoch fragen und wünschen, dass manch schriftsprachliches Versehen die Lesefreude nicht trübte. Ein Personenregister sowie 15 Abbildungen, die einen illustrativen Eindruck schwedischer Buchgeschichte geben, ergänzen den Band.