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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

694–696

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kinzig, Wolfram

Titel/Untertitel:

Das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel(381). Herkunft, Geltung und Rezeption. Neue Texte und Studien zu den antiken und frühmittelalterlichen Glaubensbekenntnissen II.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. XIV, 223 S. m. 5 Abb. = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 147. Geb. EUR 92,95. ISBN 9783110714616.

Rezensent:

Markus Vinzent

Vor nicht allzu langer Zeit durfte ich bereits Band I von Wolfram Kinzigs »Neue Texte und Studien zu den antiken Glaubensbekenntnissen« in dieser Zeitschrift besprechen, und zwar in Verbindung mit dem vierbändigen, von ihm herausgegebenen Werk Faith in Formulae. A Collection of Early Christian Creeds and Creed-related Texts (ThLZ 143 [2018], 1287–1290). Ich hatte damals schon der Freude Ausdruck gegeben, diese neuen Einsichten meines Kollegen und Freundes, mit dem ich über viele Jahre im Gespräch auch zu den Bekenntnissen bin, studieren zu dürfen und wieder aufs Neue von ihm zu lernen und bereichert zu werden. Stupende Kenntnis, akribische Detailarbeit und methodologische Re-flexion paaren sich auch in der vorliegenden Monographie erneut mit Wagnis, Spekulation und Innovation, die jedoch gründlich bedacht und mit einer Fülle von Beobachtungen und Argumenten gestützt werden. Gerade in dem sicher stärker als viele andere be­forschten Gebiet der Alten Kirche, nämlich dem wichtigsten Be­kenntnis des Christentums von Konstantinopel (381), bewähren sich sein geübter Blick und seine Kenntnis altkirchlicher Glaubensbekenntnisse, in welcher ihm derzeit niemand gleichkommt.
Die Studie entwickelt einen neuen genealogisch gewonnenen Zugang zu diesem Bekenntnis, sowohl zu seiner Genese als auch zu seiner inhaltlichen Aussage. Wie er selbst bescheiden angibt, mag sich die Leserschaft, die sich nicht mit den »im Einzelnen sehr anspruchsvollen und technischen Beweisführungen« beschäftigen will, »mit der Lektüre der Kapitel 2 und 3 begnügen« (3), doch ich darf bereits all denen, die sich auf diesen twitterhaften Zugang einlassen möchten, mitteilen, dass sie sich das Herz dieses Buches entgehen lassen würden. Dieses besteht nämlich gerade in den vielfachen Vergleichen verschiedener Bekenntnisse, die, chronologisch geordnet, in der detaillierten Gegenüberstellung die genealogische Methode selbst erhärten und vor Augen führen, warum K. berechtigterweise zu seinen Schlussfolgerungen kommt.
Einen leichten Einstieg in die Thematik bietet die Grafik auf S. 18, die wie bei einer Handschriftengenealogie das Stemma der wichtigsten Bekenntnisse des 4. Jh.s gibt. Ausgehend von Antiochien 324/325 bzw. dem Bekenntnis des Eusebius, wird das Nizänum 325 als zentraler Ausgangspunkt der weiteren Bekenntnisentwicklung vorgeführt. Daneben steht unabhängig das römische Bekenntnis (R, besser bekannt ist das später auf diesem aufbauende Apostolikum), wobei vermittels wichtiger, verschiedener und komplexer Zwischenschritte die Zusammenfügung dieser beiden Bekenntnisquellen zum Bekenntnis von Konstantinopel, C, führt. Doch auch, was das Endergebnis betrifft, kann K. noch einmal zwei Bekenntnisstufen unterscheiden, C1 und C2. Das Nizänum und C2 werden dann in Chalkedon 451 in den Mittelpunkt gestellt.
Die genealogische Methode hatte K. schon gedient, die Ge­schichte der Tauffragen aufzuschlüsseln (1999), sie erlaubt ihm hier, die komplizierte Geschichte der Bekenntnisse der zweiten Hälfte des 4. Jh.s eindrücklich neu zu schreiben, die nur selten und erst allmählich zu Taufbekenntnissen avancieren (das Nizänum in Alexandrien etwa), sondern vielmehr »Kollektivbekenntnisse« darstellen, zusammengesetzt aus den Bausteinen früherer Bekenntnisse, Elemente der liturgischen Tradition und vorangegangener und aktueller theologischer Debatten, oft auch genährt aus solchen Bekenntnissen der mit diesen Instrumenten abgelehnten theologischen Positionen (denen des Markell von Ankyra, des Apolinarius von Laodizea etwa und anderer). Ich halte also gerade die Beweisführungen in diesem Buch für die spannendsten Kapitel.
Um nur eines dieser Kapitel herauszugreifen. In Kapitel 5 (»De­batten um die Suffizienz von N unter den Nizänern«) und dem damit zusammenhängenden Kapitel 6 (»Die römische Synode von 377/78«) stellt K. heraus, dass diese Diskussion »in dem Moment an Fahrt« aufnahm, als man sich die Fragen stellte, »(1) ob der christologische Artikel […] gegen Auffassungen schützte, in denen die Menschheit des Inkarnierten zu wenig betont wurde, und (2) ob der knappe pneumatologische Artikel ausreichte, um die Homousie des Geistes sicher zu stellen.« (63) Es wurde den Teilnehmern dieser Debatten demnach klar, dass das Nizänum aus einer arianisch-eusebianischen Diskussion hervorgegangen war, in der um das Verhältnis von Vater und Sohn und die Präinkarnation des Sohnes gestritten wurde. Die Auseinandersetzungen um den Status des Inkarnierten und schließlich des Geistes folgten nach Nizäa. Während man in Serdika (342) und Rimini (359) an der Unverbrüchlichkeit des Nizänums festhielt und noch für Basilius dieses Bekenntnis »das orthodoxe Referenzdokument« darstellte (65, vgl. 68), wie auch für Athanasius »in seinem Brief an Epiktet von Korinth um 372« (66), zwang der Antiapolinarismus dazu, »auf das Leiden« abzuheben, »jene Passion«, die »im Romanum […] ausführlicher als in N dargelegt« ist (85). Ich hatte schon vor Jahren darauf hingewiesen – und es ist mir nach den hier vorgelegten Ausführungen ein noch größeres Rätsel –, wie der von mir herausgestellte markellische, antiapolinaristische Charakter dieses Romanums in der Forschung übersehen bzw. geleugnet wird, zeigt doch auch die Rezeption dieses Bekenntnisses, wie sie von K. vorgeführt wird, präzise dessen genealogische Stellung als ein Bekenntnis, welches von Markell im Jahr 341 formuliert, an Julius von Rom gerichtet und zur Vorbereitung von Serdika diente, wo Markell eine bedeutende Rolle spielte, eben als nizänischer Mittelweg zwischen Eusebianern und Apolinarius und seinen frühesten Äußerungen (Ps.-Ath., C. Ar. IV; Ps.-Ath., C. Sab.). Wenn K. schließlich auf »einen weiteren Hinweis auf die römische Synode« aufmerksam macht, der »in der Forschung bisher zu wenig beachtet« wurde (86), und »das berühmte Edikt Cunctos populos« (ibid.) zitiert, so stellt er genau die »eine Gottheit Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes in gleicher Majestät und heiliger Dreifaltigkeit« heraus, die zuvor Liberius von Rom und Markell von Ankyra in deren Briefwechsel expliziert hatten (worauf K. nicht eigens eingeht, auch wenn er Liberius kurz erwähnt, 94).
Warum es gerade N und C2 waren, die als »Normbekenntnisse« auf dem Konzil von Chalkedon (451) approbiert wurden, legt K. in den Kapiteln 10 und 11 dar, die Rezeption von C2 im Schlusskapitel 12, wobei deutlich wird, dass N immer stärker zurücktritt, während C2 im 8. Jh. zum eigentlichen Normbekenntnis im Osten wird. Auch im Westen wird die immer stärkere Rezeption von C2 deutlich, etwa bei Gregor dem Großen (590–604), der Lateransynode von 649, und gerät dann in die Taufliturgie im Altgelasianischen Sakramentar – um 650 (177).
Wie diese kurzen Ausführungen zeigen, hat K. mit dieser Monographie eine wichtige Studie vorgelegt, die zeigt, zu welch neuen und wichtigen Einsichten in die generelle Bekenntnisentwicklung man gelangen kann, wenn man methodologische Reflexion, textkritische und literarische Detailstudien mit kritischer Spekulation verbindet. Ob das Buch im englischsprachigen Raum wahrgenommen werden wird, bezweifle ich, weshalb es bedeutsam wäre, wenn die angekündigte größere und breitere Leserschichten ansprechende Geschichte der Bekenntnisse auch in Englisch vorgelegt werden könnte. Derzeit werden Studierende in den englischsprachigen Ländern dieser Welt meist noch mit Kelly’s Early Christian Creeds in die Prüfungen geschickt, und man wundert sich nicht, dass selbst die jüngste Forschung sich noch auf Kelly als neuesten Forschungsstand stützt. Dem könnte K. mit seinen umstürzenden Einsichten abhelfen.