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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

627–628

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Öhlmann, Philipp, Gräb, Wilhelm, and Marie-Luise Frost[Eds.]

Titel/Untertitel:

African Initiated Christianity and the Decolonisation of Development. Sustainable Development in Pentecostal and Independent Churches.

Verlag:

Abingdon u. a.: Routledge 2020. 354 S. m. 2 Abb. = Routledge Research in Religion and Development. Geb. £ 120,00. ISBN 9780367358686.

Rezensent:

Andreas Heuser

In diesem Sammelband kulminiert ein Forschungsprogramm im weiteren Diskurs um Religion und Entwicklungspolitik. Das seit einigen Jahren an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelte und sehr rührige Projekt forscht im engeren Sinn zu »Religiösen Gemeinschaften und nachhaltiger Entwicklung« im sub-saharischen Afrika. Hinter dem Herausgeberteam des hier zu besprechenden Bandes verbirgt sich zugleich die treibende Kraft des Projekts, das mit der Durchführung von mehreren Workshops und Konferenzen in Pretoria (Südafrika), Kasoa in der Nähe von Accra (Ghana) und Berlin allmählich in den Jahren 2017–2018 seine Ge­stalt und Begrifflichkeit gefunden hat.
Unter den entwicklungspolitischen Vorzeichen der Nachhaltigkeitsdebatte konstruieren Öhlmann, Gräb und Frost den Terminus der »African Initiated Christianity«. Darunter fassen sie Kirchen recht unterschiedlicher Herkunft, theologischer Prägung und ek­klesiologischer Ausgestaltung. Die Formel vereint im Kern historisch neue Kirchenbewegungen um Afrikanische Unabhängige Kirchen und Pfingstkirchen. Das gemeinsame definitorische Element, das dieses Spektrum afrikanischer Kirchen zusammenhält, ist seine bisherige Randposition in der internationalen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Im Gegensatz zu den sogenannten historischen, aus der Missionsbewegung heraus gewachsenen afrikanischen Kirchen, stellt der Sammelband das hohe Potential an Eigenständigkeit und Handlungsmacht heraus, das der African Initiated Christianity zugeeignet wird und das gerade in die postkoloniale Gesellschaftsentwicklung einfließen soll. Unter den Autoren und Autorinnen des Bandes finden sich zahlreiche Mitwirkende an den besagten Konferenzen; daher machen afrikanische Autoren den Großteil der Beiträge aus. Ein weiteres Charakteristikum ist, dass dieser Band distanzierte Außenperspekt iven mit kirchlichen Binnenperspektiven vereint, beigesteuert von Repräsentanten einer Reihe von afrikanischen Kirchen, die als sogenannte »distinguished church leader« Essays kenntlich ge­macht werden. Hierin drückt sich die praktische Absicht aus, mögliche Projektperspektiven einer aktuellen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zu eröffnen. Ein geographischer Schwerpunkt liegt in Beiträgen zu westafrikanischen Kirchen. In großen Unterkapiteln zu Nigeria, Ghana und Burkina Faso finden sich Einzelstudien zu Kirchen und spezifischen Nachhaltigkeitsthemen. Weitere Länderschwerpunkte bilden Simbabwe und Südafrika. Allem vorangestellt ist ein Kapitel zu grundsätzlichen Perspektiven, in dem sich allgemeine thematische Hinführungen zu Themen von Nachhaltigkeit und dem im Band angesprochenen Kirchenspektrum afrikanisch-initiierter Kirchen und deren Verständnis von nachhaltiger Entwicklung.
Etwas näher gehe ich ein auf den Grundsatzbeitrag der Herausgeber und der Herausgeberin des Sammelbandes, denn in ihrer Einführung definieren sie den von ihnen geprägten Begriff der »African Initiated Christianity«. Mit dieser Formel gruppieren sie die in der Forschungsliteratur unter Afrikanischen Unabhängigen Kirchen (AUK) bekannten Aufbrüche innerhalb des afrikanischen Christentum seit etwa Beginn des 20. Jh.s und die afrikanische Pfingstbewegung zusammen, die vor allem mit ihren jüngsten Megakirchenbildungen die gegenwärtige Kirchenszene drastisch verändert haben, und zwar nicht allein in afrikanischen, lokalen Kontexten, vielmehr auf internationaler Bühne. Es mag daher ge­wagt erscheinen, diese beiden Großformationen des afrikanischen Christentums kategorial zusammenzufassen. Werden doch AUK zumeist an ihren energischen Versuchen erkannt, christliche Glaubensprägungen mit afrikanisch beschriebener Weltauffassung zu hybridisieren. Entgegen der in AUK vorgenommenen Afrikazentrierung, die sich speziell in der organisatorischen Verfasstheit dieser Kirchen oder etwa in ihrem innovativen Repertoire an ritueller P raxis umsetzt, verstehen sich speziell die jüngeren Formen der Pfingstbewegung als weltoffen, d. h. verwoben mit der globalen Pfingstbewegung, zeigen sich auf internationalem Parkett und sind transnational vernetzt. Zudem machen die meisten Pfingstkirchen keinen Hehl daraus, dass sie afrikanische Religion(en), insbesondere auch die Ritualwelt der AUK, verachten und als »dämonisch« verfallen signifizieren.
Diese Unterscheidungen werden sehr wohl benannt, jedoch nivelliert. Der Band fügt beide Kirchentraditionen recht um­standslos zusammen, und zwar durch das sie einigende Kennzeichen einer entwicklungspolitischen Randposition: »While mission-initiated Christianity in Africa, in the shape of the Catholic and historic Protestant Churches of European and North American provenience, have long been recognised as development actors both in the academic literature and in the international development policy discourse, African Initiated Christianity in the shape of African Independent and Pentecostal Churches lack such recognition.« (3) Demgegenüber verweisen Öhlmann, Gräb und Frost auf die gleichs am noch unentdeckte Akteurschaft afrikanisch-initiierter Kirchen, eben um diese als bisher ungewohnte entwicklungspoli-tische Partner für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen vor-zuschlagen. Damit bereichern die Autoren und Autorinnen die Nachhaltigkeitsdebatte zunächst – entgegen jeder eurozentrisch gelagerten Säkularitätsbehauptung – um die religiöse Dimension. Kirchenformationen, die kirchen- und missionshistorisch marginalisiert wurden, kommen nun als Trägermilieus einer afrika-nischen Zukunftshoffnung in Frage. Dies umso mehr, als das so bezeichnete afrikanisch-initiierte Christentum sowohl als anti-koloniale (in Form der AUK) wie postkoloniale (in Form der Pfingstbewegung) religiöse Bewegung dazu prädestiniert sei, Konzep­-tionen von nachhaltiger Entwicklung im postkolonialen Umfeld afrikanischer Staaten einzubringen. Das gilt es, in empirischen Fallstudien auszuleuchten, und der Sammelband begeht die erste Wegstrecke dazu.
Allerdings verschwindet die Gravität von AUK gegenüber dem Hype um die gegenwärtige Pfingstbewegung. Die Kategorie der afrikanischen »Initiative« harmonisiert allzu leichtfertig das AUK-Spektrum mit der afrikanischen Pfingstbewegung. Die blockartige Begriffskonstruktion einer African Initiated Christianity lässt viele Fragen (etwa theologischer, traditions- und gedächtnisbildender, herkunftsgeschichtlicher, ritualpraktischer oder auch ekklesiologischer Art) offen. Die Bewegung der AUK scheint in dem Sammelband, bei allen dessen Verdiensten, stark unterrepräsentiert und geht im Pool einer pentekostal chiffrierten Dynamik im afrikanischen Christentum unter – insofern steht der Terminus der Afri-can Initiated Christianity als Containerbegriff in pentekostalgeschichtlicher Umklammerung in Frage.