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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

623–625

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bernhardt, Reinhold

Titel/Untertitel:

Jesus Christus – Repräsentant Gottes. Christologie im Kontext der Religionstheologie.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2021. 386 S. = Beiträge zu einer Theologie der Religionen, 23. Kart. EUR 53,00. ISBN 9783290184360.

Rezensent:

Martin Hailer

Reinhold Bernhard, Ordinarius in Basel und seit Langem für Arbeiten zur Theologie der Religionen bekannt, legt ein Buch vor, in dem die großen Themen der Christologie in dieser Perspektive durchmustert werden. Er distanziert sich deutlich von affirmativen pluralistischen Behauptungen, plädiert aber für die Denkmöglichkeit, dass Gott sich in nichtchristlichen Religionen auf heilschaffende Weise selbst vergegenwärtigt. Dafür wird das Programm einer Repräsentationschristologie vorgestellt und dann auf gut 130 Seiten entfaltet. Erst danach erfolgt das Gespräch mit der jüngeren Theologiegeschichte seit Schleiermacher und mit ausgesuchten gegenwärtigen Positionen. So wird bereits in der Gliederung der Vorrang des Arguments vor der theologiegeschichtlichen Rückversicherung deutlich.
Die religionstheologische Problemstellung führt zu einer Chris-tologie, die Wege sucht, um Gottes Präsenz in Christus und zu­gleich seine mögliche Gegenwart in anderen Religionen zusammenbringen zu können. Es geht um Theozentrismus, nicht um Christozentrismus. Kernkonzept dafür ist das der Repräsentation: Christus ist die erfahrbare Repräsentation Gottes, der selbst nicht direkt erfahrbar, jedoch anwesend ist. Christus ist dabei in doppelter Weise Repräsentant: Er repräsentiert Gott bei den Menschen und qua seiner Menschlichkeit die Menschen mit ihrem Glanz und Elend vor Gott. Die Nähen zu einer Theologie des Symbols nach Paul Tillich werden dabei deutlich, die der Vf. aber eigens weiterdenkt und im Konzept der Repräsentation für klarer ausdrückbar hält.
Gegenstand intensiver Debatten ist die Zweinaturenlehre von und nach Chalcedon 451. Der Vf. kritisiert Züge der Identischsetzung von Gott und Christus, wie er sie in der alexandrinischen Christologie sieht und wie sie in der Enhypostasielehre ihre nachchalcedonensische Bekräftigung erfahren hätten, als doppelt nachteilig: Die wahre Menschlichkeit Christi kann nicht ausgesagt werden, zudem bleibt undenkbar, dass Gott ohne Christi Vermittlung in fremden Religionen heilshaft gegenwärtig ist. Er empfiehlt die Abwendung vom Substanzdenken und plädiert für eine Christologie, die die wichtigen Aussagen über Jesus im Sinne dynamischer Beziehungen tätigt. Ist Christus der Repräsentant Gottes, dann hat die antiochenische Gestalt der Christologie, die die beiden Naturen in ihm tendenziell getrennt sieht, mehr Plausibilität für sich. Entsprechend optiert der Vf. gegen die lutherische Tradition und ihre mehr oder weniger deutliche Tendenz zur alexandrinischen Schule und für die – in sich plural gesehene – reformierte Seite, die hier bekanntlich eher antiochenisch tendierte. Universalität Gottes ist keine christologische Universalität. Formelhaft: Christus ist ganz Gott (totus Deus), aber nicht das Ganze Gottes ( totum Dei).
Entsprechend wird auch die Inkarnation zu einem metaphorischen Ausdruck für die Repräsentation Gottes in Christus. Christus verkörpert Gottes Identität, ist aber nicht identisch mit ihm. Vor diesem Hintergrund werden die Traditionen der Geistchristologie mit Sympathie gelesen, nicht jedoch gegen die Logoschristologie exklusiv behauptet. Das gilt auch für das Anliegen einer Weisheits-christologie: Die Weisheit Gottes erfüllt Jesus Christus ganz und gar, ohne dass er mit ihr identisch würde. Nur knapp wird die Trinitätslehre angesprochen: Sie ist keine Rahmentheorie (Christoph Schwöbel et al.), sondern Implikation der hier entfalteten Christologie.
Ein letzter Erwägungsgang des Kapitels fragt, wie durch den so verstandenen Christus sich Heil ereignet: Durch Christi Tun und Erleiden wird Heil nicht erworben und ausgeteilt, vielmehr repräsentiert er das von Ewigkeit her vorhandene Heilshandeln Gottes. Entsprechend kommt dem Tod Jesu auch keine Heilsbedeutung zu: Hier ist nur Unheil und Verblendung derer, die Christus ans Kreuz brachten. Freilich umfängt Gott auch dies Ereignis mit seinem Heilswillen, was sich im eschatologischen Ereignis der Auferweckung zeigt.
Damit liegen die wesentlichen Argumente auf dem Tisch. Diskussionswürdig sind u. a. folgenden Punkte: 1.) Das Chalcedonense wird als Ausdruck antik-substanzhaften Denkens interpretiert. Einzuwenden ist, dass es a) Substanzdenken an entscheidender Stelle durchstreicht und b) als Reflex auf soteriologische Bestimmungen zu lesen ist. 2.) Die – erklärtermaßen – modalistische Trinitätslehre partizipiert an allen Nachteilen des theologischen Modalismus. Sie lehrt letztlich einen streng numerischen Monotheismus, in dem die zweite Person der Trinität zu einer Repräsentationsform unter mehreren wird. 3.) Die Gegenüberstellung konstitutive versus repräsentative Christologie schafft mehr Probleme als sie löst. Der Vf. verbindet sie mit der Unterstellung, dass die konstitutive Christologie das stellvertretende Strafleiden Christi zur Zornesstillung Gottes lehrt. Das trifft auf manche Sektoren der Tradition zu, hat aber bei den großen neueren Debatten über Opfer und Sühne keinen Anhalt. Die Gegenüberstellung führt auch das Problem mit, dass dann nicht gesagt werden kann, Gott setze in Christus sich selbst tatsächlich der Weltbegegnung aus. 4.) Totus Deus und totum Dei: Diese Unterscheidung ist näher beim abgelehnten christozentrischen Universalismus, als es den Anschein haben mag. Wenn Christus ganz und gar Repräsentation Gottes ist, dann ist er doch Repräsentation des Wesentlichen Gottes. Ist dies nun universaler Heilswille, so ist präzise diese Universalität ein christologisch wesentlicher Zug. Dass Gott sich anders zeigt, als Christenmenschen es zu lesen vermögen, ist ohne Weiteres zuzugeben. Wenn Christus aber Repräsentant des Wesentlichen Gottes ist, dann wird sich Gott ad extra nicht als ein anderer zeigen als der, der sich in Christus zeigte.
Zurück zum Faden des Buches: Es folgen unterschiedlich intensive Referate zu Vorläufern und aktuellen Vertretern repräsentationschristologischer Erwägungen. Knapp kommt der Vf. auf Schleiermacher zu sprechen, widmet sich aber deutlich ausführlicher Alois E. Biedermann und Albrecht Ritschl. Die Darstellungen sind analytisch klar und machen den großen zeitlichen Abstand nahezu vergessen. Hier werden Klassiker zu Gesprächspartnern. Das gilt auch für die beiden Zeitgenossen Schubert M. Ogden und Roger Haight. Bei beiden werden die repräsentationstheologischen An­teile klar benannt und die jeweiligen Nähen und Fernen zum re-ligionstheologischen Pluralismus herausgearbeitet. Dass der Ab­schnitt zu Haight mit »Fragen« schließt, ist sicher auch als Kritik an seiner vatikanischen Aburteilung durch ein allgemeines Lehr- und Publikationsverbot seit 2009 zu lesen.
Der elfseitige Schlussabschnitt deutet weitere Debatten an und sagt, dass es nicht religionstheologische Aufgabe sein kann, nichtchristliche Selbstvergegenwärtigungen Gottes namhaft zu ma­chen, wohl aber, mit ihrer Möglichkeit zu rechnen.
Der Vf. hat ein gelehrtes, sich klar positionierendes und im bes-ten Sinne zur Diskussion verlockendes Buch vorgelegt. Dass wei-tere Arbeiten zu zentralen theologischen Themen in religionstheologischer Perspektive aus seiner Feder folgen sollen, ist gerade aus der Sicht derer zu begrüßen, die, wie der Rezensent, Gesprächsbedarf anmelden.