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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

613–615

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bender, Kimlyn J., and D. Stephen Long [Eds.]

Titel/Untertitel:

T & T Clark Handbook of Ecclesiology.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2020. 504 S. = T & T Clark Handbooks. Geb. £ 126,00. ISBN 9780567678102.

Rezensent:

Dirk Evers

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Slattery, John P. [Ed.]: T & T Clark Handbook of Christian Theology and the Modern Sciences. London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2020. 384 S. m. 2 Abb. = T & T Clark Handbooks. Geb. £ 126,00. ISBN 9780567680426.

Zu besprechen sind zwei englischsprachige Handbücher aus dem Verlag T & T Clark. Man kann seit einiger Zeit eine starke Zunahme von Handbüchern und Enzyklopädien im englischsprachigen Raum beobachten, auch und gerade in Sachen Religion und Theologie, also einem notorisch unübersichtlichen und zugleich inhaltlich strittigen wie methodisch heiklen Gegenstandsfeld, das erhebliche hermeneutische, linguistische (z. B. Quellensprachen), historische und diskursive Fähigkeiten erfordert. Dabei haben diese Werke meist nicht den Charakter klassischer Nachschlagwerke mit Stichworteinträgen, sondern versammeln einführende, überblicksartige Essays. Die inzwischen durchaus hoffähig gewordene Bezeichnung für solche Unternehmen ist die eines Guide for the Perplexed. Die beiden Werke sind denn auch Teil einer ganzen Serie von T & T Clark Handbooks. Die Website des Verlags zeigt inzwischen 27 Titel dieser Reihe an, von Jesus and Film über Food in the Hebrew Bible zu Christian Theology and Climate Change, weitere sind im Entstehen. Der eine zu besprechende Band ist dem Gespräch zwischen christlicher Theologie und den neuzeitlichen empirischen Wissenschaften gewidmet, der andere dem klassischen dogmatischen Lokus der Ekklesiologie.
Das Handbook of Christian Theology and the Modern Sciences ist herausgegeben von dem nordamerikanischen Theologen, Historiker und Wissenschaftskoordinator John P. Slattery, der dem Dialogue on Science, Ethics, and Religion Program der American Association for the Advancement of Science angeschlossen ist. Er hat in diesem Band 24 Beiträge von vorwiegend nordamerikanischen und britischen Autorinnen und Autoren in drei Teilen zusammengestellt. Der erste Teil enthält elf historische Erkundungen vom Alten Testament bis ins 19. Jh., ein Beitrag zum Neuen Testament fehlt. Der zweite Teil umfasst nur drei konfessionell orientierte Beiträge (katholisch, orthodox, protestantisch), die dem Übergang vom 20. zum 21. Jh. gewidmet sind. Den dritten Teil bilden dann noch einmal zehn Texte, die gegenwärtige christlich-theologische Diskurse vorstellen, die sich jeweils auf die Auseinandersetzung mit einem Fach oder Thema beziehen, das einen Bezug zu empirisch orientierter Wissenschaft zeigt. »Science« wird dabei verstanden als »scholarly study of natural things« (2).
Der Herausgeber möchte mit diesem Band dem im englischsprachigen Raum verbreiteten Dialog zwischen Science and Religion in einen breiteren historischen und inhaltlichen Rahmen einbetten, ihm neue Stimmen, Perspektiven und Themen hinzuzu-fügen und ihn aus dezidiert christlich-theologischer Perspektive führen. Entsprechend hat er Repräsentanten der drei großen christlichen Konfessionen (römisch-katholisch, orthodox, protes-tantisch) ausgewählt sowie Themen, die üblicherweise nicht in diesen Diskursen vorkommen. Außerdem ist ihm wichtig, historische, und das heißt in diesem Fall vorwiegend vorneuzeitliche, Figuren je­weils eigenständig vorzustellen, die sonst in entsprechenden Darstellungen kaum vorkommen. Anstelle von Kepler, Galilei, Newton oder Darwin bekommt man deshalb Aristoteles, Augustinus, Basilius und die Kappadokier, Maximus Confessor und Johannes von Damaskus, Hildegard von Bingen, Thomas von Aquin, Johannes Calvin, George Washington Williams, Frederick Douglass und Maria Stewart (drei Personen mit afro-amerikanischem Hintergrund, die in die Debatten gegen den Rassismus im 19. Jh. involviert waren) sowie neoscholastische Opponenten der Evolutionstheorie aus dem 19. Jh. vorgeführt. Diesen Beiträgen vorgeschaltet sind Kapitel zur Genesis und zur hebräischen Weisheit, die auf ökologische Fragestellungen hin interpretiert und mit den modernen, naturwissenschaftlich inspirierten Perspektiven direkt in Verbindung gebracht werden. Das zieht sich im Übrigen durch viele dieser historischen Beiträge durch, dass sie auf eine für die deutsche Theologie ungewöhnliche Weise vorneuzeitliche Positionen direkt auf gegenwärtige Fragestellungen beziehen, wenn z. B. Augustinus als Gegenposition zur Kosmologie des Physikers Stephen Hawking beschrieben wird oder der Beitrag zu Thomas von Aquin die Hoffnung artikuliert, dass eine Wiedergewinnung sei-nes Denkens eine Rückkehr zu einer relativ befriedeten, positiv gestimmten Beziehung zwischen Theologie und Naturwissenschaften ermöglichen könnte. Und Calvin wird als wesentlicher intellektueller Beitrag zur Entwicklung der modernen Naturwissenschaften gelesen. Interessant sind der Text zum Status der »Rassenkunde« in den USA des 19. Jh.s und ihr Verhältnis zur christ-lichen Theologie, ein inzwischen viel diskutiertes Thema, und der Schlussbeitrag, der eine Verbindung zwischen sozialkritischen Figuren neoscholastischer Soziallehre und der Ablehnung der Evolutionstheorie im 19. Jh. aufzeigt. Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass awe, wonder und humility irgendwie Religion und science zusammenschließen und auch den garstigen Graben der Ge­schichte zu überbrücken versprechen. Das ist im Vergleich zu den Debatten der deutschsprachigen protestantischen Theologie, die kaum hinter die An­fragen an die Modernefähigkeit der Theologie von Troeltsch und erst recht nicht hinter die Wasserscheide der Kantschen Wende zurückgreifen, von einem starken Vertrauen in die Kontinuität des Christentums geprägt mit teilweise restaura-tivem Zug. Das Fazit des Herausgebers in der Einleitung jedenfalls lautet: »The more theology changes, grows, and learns from the latest scientific advances, the more it is required to stay the same.« (11)
Jeweils gute Übersichten bieten die drei Beiträge des zweiten Teils, die die wichtigsten Stimmen im Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaften im 20. Jh. aus der jeweils eigenen Tradition vorstellen. In römisch-katholischer Perspektive werden zwei große Stränge dargestellt, die sich jeweils auf Teilhard de Chardin sowie George Lemaître zurückführen. Der erste steht für eine teleologische, vom Verfasser des Beitrags kritisch bewertete Gesamtperspektive, während der zweite auf Fortschrittsnarrative verzichtet und den direkten Austausch sucht. Der orthodoxe Beitrag ist dagegen thematisch sortiert und kommt zu dem Schluss, dass von ortho-doxer Theologie nicht »westlicher Dialog« zwischen Religion und Naturwissenschaften, sondern ein kosmologisches Integrationsmo-dell verfolgt wird. Die Darstellung der protestantischen Stimmen beginnt mit der Kontroverse zwischen theologischem Liberalismus und der Formierung des Fundamentalismus in den USA, skizziert dann etwas schematisch die Barthsche Ablehnung der natürlichen Theologie und deren Überwindung durch T. F. Torrance und stellt dann die Etablierung des Dialogs zwischen Naturwissenschaften und Theologie im angelsächsischen Raum seit den 1960er Jahren bis zu einer naturalistischen Wende in der Gegenwart vor. Für den dritten Teil seien nur noch ein paar der behandelten Themen er­wähnt, die jeweils aus einer bestimmten christlich-theologischen Perspektive behandelt werden. Es geht u. a. um die Physik (aus or­thodoxer Perspektive), das Anthropozän, medizinischen Fortschritt (in politisch-theologischer Perspektive), Sozialwissenschaften, Black Music, Liturgie und Ökologie (aus koptischer Perspektive).
Der zweite zu besprechende Band ist der Ekklesiologie gewidmet und herausgegeben von Kimblyn J. Bender und D. Stephen Long, zwei US-amerikanischen Theologieprofessoren mit baptistischem bzw. methodistischem Hintergrund. Die Herausgeber stellen den Band als dezidiert dogmatisches Unternehmen vor, bei dem die eine Kirche – als heilsgeschichtliche Vermittlungsinstanz zwischen dem dreieinigen Gott und der Welt – in ihren pluralen historischen Gestalten und in der Fülle konfessioneller Interpretationen erkundet werden soll. Der Band will damit einer doppelten Absicht dienen: Er soll einen leicht zugänglichen Überblick über biblische, historische, dogmatische und ethische Quellen der Ek­klesiologie geben, und er soll damit weitere ekklesiologische Re-flexionen und Kirche gestaltendes Handeln anregen. Beigetragen haben 26 Autoren und vier Autorinnen, die fast alle in den USA lehren. Der Aufbau ist dreigeteilt. In einem ersten Teil beschäftigen sich vier Essays mit den biblischen Grundlagen. Dazu gehört auch ein Beitrag aus dem Alten Testament, der eine vierstufige narra-tive Entwicklung der Geschichte und des Selbstverständnisses Israels entfaltet und daraus, inspiriert von George Lindbeck, Konsequenzen für ein christliches Kirchenverständnis entwickelt. Im zweiten Teil finden sich 14 Beiträge zu historischen und konfessionellen Positionen der Ekklesiologie. Auch hier kann ich nur auf Weniges aufmerksam machen. Natürlich gehören Beiträge zum lateinischen Westen und griechischen Osten aus patristischer Sicht dazu sowie eine Darstellung römisch-katholischer Ekklesiologie vom Mittelalter bis zum I. Vaticanum. Dann aber folgen Darstellungen aus gegenwärtiger konfessioneller Perspektive, wobei die protestantischen Herausgeber Wert darauf legen, dass unterschiedliche protestantische Ekklesiologien im Sinne ihres Ansatzes als legitime Erscheinungsformen der einen Kirche anzusehen sind. Die Breite dieser Darstellungen dürfte für die deutschsprachige Theologie interessant sein, nicht nur, wenn es um Konfessionskunde und Ökumene geht, sondern auch, um dogmatische Reflexionen über eine europäisch zentrierte Christentumstheorie hinaus zu weiten. Neben anglikanischer, methodistischer und baptis-tischer Ekklesiologie finden sich auch Essays aus anabaptistischer, pentekostaler und evangelikaler Perspektive sowie über Entwicklungen junger Kirchen in Afrika. Der dritte Teil versammelt dogmatische, politische und ethische Themen. Zum einen werden die B eziehungen der Ekklesiologie zu anderen Themen christlicher Dogmatik wie Christologie und Pneumatologie untersucht. Zum anderen werden befreiungstheologische, gender-sensitive, ethnographisch-sozialwissenschaftliche, ethisch-politische, ökumenische und missionswissenschaftliche Fragestellungen erörtert. Ohne da­mit ein Werturteil zu verbinden, sei hingewiesen auf den Beitrag zur Bedeutung sozialer Dynamiken für eine auf die konkrete Ge­stalt von Kirchen bezogene Ekklesiologie sowie auf den Beitrag von Hauerwas und Tran zu Kirche und Politik, der Kirche als politische Entität versteht und eine kritische Perspektive auf ihre Verflechtung mit neoliberaler Politik und Ökonomie entwickelt.
Beide Bände bieten gut zugängliche und akademisch solide argumentierende Beiträge, die ein anregendes Komplement zu deutschsprachigen protestantischen Diskursen darstellen.