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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

602–603

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

Titel/Untertitel:

›Vorlesungen über dieMethode des academischen Studium‹, ›Philosophie und Religion‹ und andere Texte(1803–1805). Hgg. v. P. Leistner u. A. Schubach.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2021. XII, 552 S. m. 2 Abb. = Historisch-Kritische Ausgabe. Reihe I: Werke, 14. Lw. EUR 298,00. ISBN 9783772826443.

Rezensent:

Georg Neugebauer

Der anzuzeigende Band umfasst unterschiedliche Beiträge und Schriften Schellings, die in den Jahren 1803–1805 erstmals veröffentlicht wurden. Dazu gehören sogenannte Gelegenheitsschriften: eine Übersetzung aus Petrarca (1804) sowie Ueber Göthe’s Eugenia (1805). Des Weiteren ist in diesen Band Schellings Nachruf auf Immanuel Kant aufgenommen worden, der 1804 verstorben war. Im Zentrum der Edition stehen jedoch zwei umfangreichere Arbeiten, die werk- und philosophiegeschichtlich besonders bedeutsam sind: Schellings Jenaer Vorlesungen über die Methode des academischen Studiums (1803); bei der anderen handelt es sich um den Beitrag Philosophie und Religion (1804).
Die Texte fallen in die identitätsphilosophische Phase des Schellingschen Denkens. Die besagten Vorlesungen gehören zu den be­rühmtesten Schriften des Philosophen und auch dieser selbst hat ihnen ein besonderes Gewicht innerhalb seines Œuvres beigemessen. Sie nehmen insofern eine herausgehobene Stellung ein, als sie die identitätsphilosophischen Prinzipien auf den Bereich der Enzyklopädie anwenden und ausweiten. Auch innerhalb der Theologie sind sie breit rezipiert worden, nicht zuletzt deswegen, weil Schelling hier den ambitionierten Versuch unternimmt, das Christentum – wie er sagt – historisch zu konstruieren und der Theologie innerhalb des absolutheitstheoretisch begründeten Organon des Wissens ihren Ort zuzuweisen. Die historische Konstruktion des Christentums besitzt weitreichende geschichtsphilosophische Im­plikationen. Denn mit dem Christentum, so Schellings These, hebt allererst eine geschichtliche Weltanschauung und damit die Ver- geschichtlichung des Wissens an. Die für sein Denken signifi-kante Nähe von Geschichts- und Religionsphilosophie wird an dieser Stelle unmittelbar greifbar. Die spannende Rezeptionsgeschichte der Methodenvorlesungen wird im editorischen Bericht dargelegt, der darüber hinaus daran erinnert, dass sie nicht nur die Arbeit an den Begriffen dokumentieren, sondern auch Teil einer zum damaligen Zeitpunkt kontrovers geführten Debatte um die Neuorganisation der Universitätslandschaft sind.
Die schwer zu greifende Schrift Philosophie und Religion arbeitet sich an alten metaphysischen Fragen ab, die hier unter den Bedingungen der nachkantischen Philosophie in einem absolutheitstheoretischen Gewand auf die Bühne des Denkens treten. Die dauernde Unruhe in Schellings Identitätsphilosophie wird hier – auch angeregt durch Eschenmayers Schrift Uebergang zur Nichtphilosophie (1803) – offen zum Thema gemacht: das Problem der Differenz bzw. der Abkunft des Endlichen aus dem Unendlichen. Schelling weitet diese Fragestellung bis in den Bereich des Praktischen aus. Den Prämissen seines Begriffs des Absoluten entsprechend lässt sich dieses Problem nicht mittels eines Kontinuitätsmodells beantworten, vielmehr klaffe zwischen dem Absoluten und der Sinnenwelt ein »Sprung«. Der Weg zur berühmten Freiheitsschrift von 1809 zeichnet sich hier ab, worauf Schelling selbst später hinweisen wird. Auch bezogen auf diese Schrift sei der edi-torische Bericht ausdrücklich erwähnt. Die dort vorgenommene Kontextualisierung mit der zeitgenössischen Debattenlage ist ebenso informativ und lehrreich wie die ausführliche Schilderung der Rezeptionsgeschichte von Schellings Abhandlung.
Der Band ist erneut nach allen Regeln der Kunst ediert worden und fügt sich nahtlos in die jüngere Erfolgsgeschichte der kritischen Schelling-Ausgabe ein. Umso bedauerlicher ist es für den Leser, von einem der Herausgeber der historisch-kritischen Schellingausgabe, Jörg Jantzen, im Vorwort zu erfahren, dass diese Ausgabe seit 2021 nicht mehr als Vorhaben der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen des Akademieprogramms gefördert wird. Es ist nur zu gut nachzuvollziehen, wenn Jantzen in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Schelling nicht nur 48 Jahre lang Mitglied dieser Akademie gewesen ist, sondern ihr auch 14 Jahre vorstand. Glücklicherweise bedeutet dieser Vorgang aber nicht das Ende dieses Projekts. Der Österreichische Wissenschaftsfond (FWF) hat Mittel für die Fortführung der Edition des Schellingschen Werks bereitgestellt und damit der Werke des Philosophen, dem der Bayerische König Maximilian II. einst ein Grabmal mit der Inschrift Dem ersten Denker Deutschlands setzen ließ.