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Ausgabe:

Mai/2022

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Katalog der Handschriften aus dem Nachlass Ernst Salomon Cyprians (1673–1745). Aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft sowie aus den Beständen des Landesarchivs Thüringen – Staatsarchiv Gotha und der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Gotha – Augustinerkloster. Beschrieben v. D. Gehrt.

Verlag:

Harrassowitz Verlag 2021. LVI, 747 S. m. 8 Abb. = Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha, 5. Geb. EUR 198,00. ISBN 9783447116053.

Rezensent:

Stefan Michel

Die Forschungsbibliothek Gotha (FBG) gehört zu den herausragenden Bibliotheken in Deutschland mit einem historisch gewachsenen Bestand an frühneuzeitlichen Handschriften und Drucken. Um ihre Erschließung, die modernen wissenschaftlichen Anfor-derungen genügt, bemühte sich die Bibliotheksleitung seit Jahren und wurde dabei durch die Fritz Thyssen-Stiftung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt. Zum Kern der Handschriftensammlung gehört neben den Reformationshandschriften (vgl. ThLZ 141 [2016], 490–492) und dem Nachlass Johann und Jo­hann Ernst Gerhards (vgl. ThLZ 142 [2017], 1221 f.) die Sammlung des Gothaer Kirchenrats und Bibliothekars Ernst Salomo Cyprian (1673–1745, fortan: C.). Alle drei Segmente wurden maßgeblich von Daniel Gehrt bearbeitet, der damit wohl der beste Kenner dieses einmaligen Quellenschatzes ist.
C., ein ernestinisches Landeskind, wandte sich nach medizinischen und theologischen Studien in Leipzig und Jena ganz der Beschäftigung mit der Kirchengeschichte zu. 1699 erhielt er die Stelle des Professors für Geschichte und Logik an der Universität Helmstedt. 1700 wurde er als Theologieprofessor an das Casimirianum nach Gotha berufen. 1713 erfolgte schließlich der Ruf als Kirchenrat nach Gotha, wo unter anderem die Leitung der Bibliothek zu seinen Aufgaben zählte. Hier sorgte er für eine Katalogisierung und Mehrung der vorhandenen Schätze. Daneben war C. weiterhin publizistisch tätig: Er brachte 1714 nicht nur einen Katalog der Gothaer Reformationshandschriften, sondern auch eine Edition von Reformationsbriefen heraus. 1715 folgte die Ausgabe der bis d ahin ungedruckten Reformationsgeschichte des Gothaer Reformators Friedrich Myconius. Eine umfangreiche Sammlung von Quellen zum 200. Reformationsjubiläum brachte C. 1719 unter dem Titel »Hilaria Evangelica« auf den Markt. Zentral sind seine kontroverstheologischen Auseinandersetzungen mit Gottfried Arnolds »Kirchen- und Ketzerhistorie« sowie mit der Diskussion um eine Union zwischen Lutheranern und Calvinisten. Weitere Schriften wären zu nennen, wollte man diesen vielseitig interessierten Gelehrten umfassend würdigen. Diese Details bilden für die (kirchen)historische Forschung einen Glückfall, da hier ein Gelehrter am Werk war, dessen Materialien und Arbeitsweise noch so umfangreich erhalten sind, dass man sie in Gotha im Hinblick auf verschiedene Fragestellungen untersuchen kann.
Der gestalterisch wunderbare Band (Bindung, Papier und Satz) wird durch ein Vorwort der Direktorin der FBG, Kathrin Paasch, eröffnet, in dem sie auf das Erschließungsprojekt zurückblickt, das zwischen 2014 und 2019 durchgeführt wurde (VII f.). Die instruktive Einleitung verfasste der Bearbeiter Daniel Gehrt (IX–LV). Darin stellt er zunächst »die Sammlung der Handschriftenbände aus dem Nachlass Ernst Salomon C.s« vor, wovon 8825 Einzelstücke in diesem Katalog erschlossen wurden. 29 Handschriftenbände, vor allem zur Reformationsgeschichte, konnten bereits in früheren Projekten beschrieben werden. Gehrt berichtet über die Tätigkeitsfelder C.s in Gotha und die sich davon erhaltenen Bestände, die Aus kunft über die Leitung der Bibliothek, die kirchenhistorischen Publikationen sowie seine amtliche Korrespondenz geben. C.s Bib­liothek wurde nach seinem Tod zerschlagen, so dass in Gotha nur wenige Bände daraus erhalten blieben. Außerdem bietet die Einleitung eine »Bibliographie der gedruckten Werke« C.s (XXXVIII–LIII) mit 112 Nummern. Acht ganzseitige Abbildungen veranschaulichen die Darstellung (3–10). Der Katalog erschließt 136 Handschriftenbände, acht Drucke sowie weitere ausgewählte Briefe und Quellen (13–563). Davon entfallen 49 Akten auf das Thüringische Staatsarchiv Gotha und eine Akte auf die Kirchgemeinde Gotha. Der größte Teil der Quellen befindet sich also in der FBG. Die verwendete Literatur wird durch Kurztitel nachgewiesen (565–592). Um­fangreiche Register über »Personen und Schriften« sowie Sachen erleichtern das Auffinden einer Quelle (593–747).
Es wäre zu wünschen, dass der Katalog zahlreiche Forschungen anregt. Themen aus dem Bereich der Reformation und dem frühneuzeitlichen Luthertum sind in Fülle vorhanden. Insbesondere dürften die Sammlungen C.s für die Erforschung der lutherischen Erinnerungskultur interessant sein, zumal beispielsweise deutlich mehr Quellen zum Reformationsjubiläum 1717 in Gotha vorhanden sind, als sie in der »Hilaria evangelica« gedruckt wurden. Der Katalog bietet einen Überblick über die 26 Bände mit Briefen vor allem an C. (145–359), die nicht nur biographische Einblicke, sondern Aufschluss über C.s Briefnetzwerk gewähren, zu dem u. a. Erdmann Neumeister oder Valentin Ernst Löscher gehörten. Der Katalog enthält die Beschreibung des Bibelhandexemplars von Friedrich Myconius (436–438), aber auch kulturgeschichtlich in­teressantes Material z. B. zum Kirchstuhlstreit in Gräfentonna aus dem Jahr 1715 (392 f.). Für die Pietismusforschung ist der Nachlass C.s eine Fundgrube, da sich dieser mit Friedrich Breckling beschäftigte. Über den vorliegenden Handschriftenkatalog kann man sich sehr freuen, weil er dazu beiträgt, die reiche Sammlung auf dem Friedenstein in Gotha über die Grenzen einer kleinen Nutzerschar hinaus sichtbar zu machen.