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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

453–455

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Dziri, Amir, Hilsebein, Angelica, Khorchide, Mouhanad, u. Bernd Schmies[Hgg.]

Titel/Untertitel:

Der Sultan und der Heilige. Islamisch-Christliche Perspektiven auf die Begegnung des hl. Franziskus mit Sultan al-Kamil (1219–2019).

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2021. X, 736 S. Geb. EUR 82,00. ISBN 9783402246443.

Rezensent:

Volker Leppin

Jubiläen haben ihren Platz zwischen Erinnerung und Aneignung – gerade hieraus entstehen synergetische Kräfte und auch Reibungen, ganz gleich, ob man das Konzil von Konstanz, den Beginn der Reformation oder die Begegnung zwischen Franz von Assisi und dem Sultan al-Malik al-Kamil im Jahre 1219 zelebrieren will, um nur die wichtigsten jüngeren Jubiläen im Bereich von Theologie und Kirche zu nennen. Für das letztgenannte Jubiläum ist dabei für die meisten die Frage, dass etwas stattgefunden hat, nicht strittig – auch wenn der vorliegende Band Anlass gibt, selbst hierüber nachzudenken (s. u.). Komplizierter wird es schon, wenn man nach den genauen Abläufen fragt – etwa: Wie konnten sich die beiden, der Sultan aus Ägypten und der Armutsprediger aus Umbrien, eigentlich sprachlich verständigen? Erst recht schwierig wird es, wenn man das Ereignis des frühen 13. Jh.s mit den Erfahrungen und Erwartungen des 21. Jh.s konfrontieren und hier womöglich als Anregung verstehen will. Der beschwerliche Weg vom unsicheren historischen Ereignis zur Orientierung in der Gegenwart kann nur gemeinsam beschritten werden. So ist es bemerkenswert und außerordentlich erfreulich, dass sich für Beiträge und zur Herausgabe der vorliegenden voluminösen Sammlung zum Jubiläum jenes Ereignisses christliche und muslimische Forscherpersönlichkeiten zusammengefunden haben.
Entsprechend breit ist die Anlage des Bandes mit seinen 25 Beiträgen, der in den wenigen Spalten einer Rezension nur ansatzweise gewürdigt werden kann. Er spannt den Bogen nicht nur chronologisch weit von dem historischen Ereignis selbst über seine Rezeption und Nachwirkung bis hin zu heutigen Dialoganliegen. Auch inhaltlich sind die Beiträge in produktivem Sinne uneins. Die Auffassungen reichen von dem Bekenntnis zu einem Frieden, »wie Franziskus ihn gelebt hat« und der »zutiefst bedeutsam für unsere Zeit« ist ( Willem Marie Speelman, 487), bis zu der nüchternen Feststellung Michael Borgoltes: »Deshalb ist die Franz von Assisi nachträglich zugeschriebene Friedensmission mit dem modernen An­liegen eines allgemeinen Religionsfriedens nicht zu verwechseln; der Überlieferung nach ging es dem charismatischen Asketen nur um den Schutz der christlichen Kreuzritter.« (38)
Diesem historischen Befund Borgoltes, den er aufgrund souveräner Sachkenntnis in ein breites Panorama mittelalterlicher Be­gegnungen zwischen den monotheistischen Religionen einbettet, ist aus Sicht der Quellen, die Bernd Schmies, konzentriert auf die christlich-lateinische Überlieferung, in fast monographischer Ausführlichkeit vorstellt (203–278), nichts entgegenzusetzen. Bezieht man die islamische Überlieferung mit ein, wird die Situation, gelinde gesagt, nicht besser: Kurt Franz hat deren Untersuchung unter die bezeichnende Überschrift »Franciscus ignotus« gestellt – und seine abschließenden Überlegungen (331–333) laufen auf den Befund hinaus, dass eine tatsächliche Begegnung zwischen Franziskus und dem Sultan zwar aufgrund dieser Quellen nicht auszuschließen ist, durch ihr völliges Schweigen darüber aber doch in ihrer Historizität nicht gestützt wird.
Dass Ereignisse, die man in Jubiläen begehen will, sich historisch zu verflüchtigen drohen, ist auch aus anderen Zusammenhängen nicht unbekannt. Historische Relativierung enthebt aber nicht der Frage nach der hermeneutischen Erschließung. Sie macht vielmehr sensibel dafür, dass diese auf unsicherem Grund steht und sich neben der historischen Ursprungskonstellation auch der tatsächlichen Rezeptionsgeschichte wie dem geformten kulturellen Gedächtnis zu stellen hat. Zur Rezeptionsgeschichte gehört auch so etwas wie die Kapuzinermission im Kongo-Reich, der sich Mariano Delgado widmet. Sie ist hiernach der Phase der Missionsgeschichte seit der Begegnung Europas mit dem amerikanischen Kontinent zuzuordnen. Die radikale Unduldsamkeit der Kapuziner gegenüber Andersgläubigen ist, wie Delgado zu Recht hervorhebt, »heute schwer« zu »verstehen« (485), bildet aber gerade in ihrer Diskrepanz zu den in die Deutungen eingeschriebenen Zügen des Ordensgründers auch einen Beitrag zu dessen gebrochener Rezeption. Von einer deutlich anderen Rezeptionsspur berichtet Andreas Renz (499–515), der zeigt, wie Louis Massignon und Jean-Mohammed Ben Abd-el-Jalil, ausgehend von der in Damiette gegründeten Gebetsbruderschaft Badalīya, im 20. Jh. durch das Konzept der abrahamitischen Religion einen neuen Zugang zum Islam entwickelten, der auch die Auffassung über den Islam beeinflusste, die in Nostra aetate auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil zur römisch-katholischen Lehre wurde.
Anders als solche explizite Rezeption formt sich das kulturelle Gedächtnis vor allem bildlich. Daher wurde in den Band die Übersetzung eines einschlägigen Abschnittes aus Chiara Frugonis Buch »Francesco e le terre dei non cristiani« von 2012 aufgenommen. Dieser Hintergrund erklärt, warum dieser Beitrag eher eine hochinteressante Materialsammlung bietet als eine klare These. Versucht man eine solche herauszufiltern, läuft Frugonis Argument darauf hinaus, dass mit der zunehmenden Prägung der bildlichen Darstellungen durch Bonaventuras Legenda maior die hier begegnende Feuerprobe in den Vordergrund trat, die Franz angeboten habe, um die Wahrheit seiner Worte zu beweisen – und die der Sultan aus Angst nicht angenommen habe. Durch dieses Element gewinnt die Darstellung einen agonalen Zug und lässt einen Sieger, Franz als Künder des christlichen Glaubens, in den Vordergrund treten. Niklaus Kuster sieht in den Franziskusfilmen des 20. Jh.s eine Anknüpfung an ein solches eher konfrontatives Verständnis der Begegnung und würdigt den Weg der Verfilmungen der vergangenen zwei Dekaden, gipfelnd in »The Sultan and the Saint« von 2017, zu einer zunehmenden Betonung der Friedensmission des Franziskus – die er, im Unterschied zu Borgolte, für historisch hält (448).
Dieses engagierte Plädoyer eines franziskanischen Franziskusforschers bereitet den Boden für verschiedene Studien zum gegenwärtigen Dialog der Religionen, in denen insbesondere die rö­misch-katholische und, noch einmal besonders, die franziskanische Sicht zur Sprache kommen. Die insgesamt im Band kaum berücksichtigte evangelische Perspektive kommt in diesem Zu­sam­menhang durch den auf den Dialog mit dem Buddhismus spezialisierten Theologen Ulrich Dehn (661–673) in Gestalt kritischer Selbstreflexion zur Sprache, die zu Recht das Fehlen verbindlicher Vorgaben für den Dialog auf evangelischer Seite benennt, freilich auch nicht recht die Orientierung gebende Suche nach solchen im Rahmen evangelischer Grundlagen erkennen lässt. Umso bemerkenswerter ist der Beitrag von Mouhanad Khorchide aus islamischer Sicht. Er verweist auf eine im Koran gewollte konfessionelle Pluralität (602) und verweist wiederholt darauf, dass nach islamischem Verständnis die Wahrheit Gott vorbehalten ist und nicht einen Besitz der Menschen darstellt. Zusammen mit den christlichen Beiträgen zum Dialog weist dieser Beitrag in eine Zukunft religiösen Dialogs, die sich durchaus am Kulturmuster Franz orientieren kann, auch und gerade, wenn sie sich der Differenz von acht Jahrhunderten bewusst ist.
Was die Einzelheiten angeht, kann man vieles, was in dieser Sammlung vorgetragen wird, anders sehen – wie angedeutet, ist sie ja gar nicht durch Einhelligkeit bestimmt, und das ist ein großer Vorteil. Der Band stellt in seiner vielstimmigen Form für künftige Befassung nicht nur mit dem behandelten Ereignis, sondern auch mit dem islamisch-christlichen Dialog heute eine unverzichtbare Referenz dar. Er ist zugleich ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen christlicher und islamischer Theologie im Horizont des Gesprächs mit der allgemeinen Geschichtswissenschaft entwickeln kann.