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Ausgabe:

April/2022

Spalte:

356–357

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kleinert, Markus

Titel/Untertitel:

Andere Klarheit. Versuch über die Verklärung in Kunst, Religion und Philosophie.

Verlag:

Göttingen: Wallstein Verlag 2021. 277 S. m. 20 Abb. Geb. EUR 29,90. ISBN 9783835339927.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Der Buchtitel dieser interdisziplinär angelegten Göttinger Habilitationsschrift von Markus Kleinert für das Fach Neuere deutsche Literatur spielt auf einen beziehungsreichen Vers aus Hölderlins »Friedensfeier« an, der seinerseits eine denkwürdige Etappe in der Be­griffs-, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des biblischen Motivs der »Verklärung« (Mk 9,2–13 par.) zwischen Kunst, Religion und Philosophie darstellt (239 ff.). K. geht in seinem ebenso schön geschriebenen wie mit zahlreichen Abbildungen ansprechend gestalteten Buch (mit nur einem einzigen Druckfehler auf S. 64: »Origenes« statt »Origines«) dieser Geschichte historisch wie systematisch umsichtig, kenntnisreich und hermeneutisch einfühlsam nach.
Raffael und Mozart, Goethe und Stifter, Jean Paul und Dostojewski, Wagner, Nietzsche und Emerson gehören dazu, um hier nur einige und die vielleicht bekanntesten zu nennen. Aber auch »verklärungs«kritische Stimmen wie die von Luther (78 ff.) und Kierkegaard (95 ff.) werden von K. ausführlich aufgenommen und durchdacht. Sie alle und noch einige mehr haben je auf ihre Weise zu Transformationen des »Verklärung«-Begriffs beigetragen, die es K. möglich machen, diesen an ästhetischen Aspekten überaus reichen Begriff als eine theologisch-philosophisch erstaunlich leistungsfähige Kategorie zu entdecken, bewusst zu machen und zu empfehlen (41), anstatt sie im Namen eines alten oder neuen »Realismus« argwöhnisch alles beschönigenden oder verharmlosenden Träumern, Schwärmern und Esoterikern zu überlassen (11.40). Und so verfolgt K. mit seiner Studie zwei Ziele: »Sie soll die Relevanz und kulturelle Produktivität der Verklärung aufzeigen und zu­gleich deren (alltagskulturelle wie wissenschaftliche) Missachtung verständlich machen« (235). Beide Ziele hat K. souverän erreicht.
Aus theologischer Sicht erhält »Verklärung« eine vor allem christlogisch interessante Relevanz (»Verklärung des Erlösers«, 9), aus philosophischer eine eher anthropologische (»Verklärung der Erlösten«, 9) »zwischen Zeit und Ewigkeit« (10) – was kein Gegensatz sein muss. Christologisch bedacht könnte »Verklärung« (Metamorphose; Verwandlung; Transfiguration) eine auch und gerade ökumenisch in Richtung ostkirchlicher Theologie und Frömmigkeit anschlussfähige (34 ff.57.71) und bedeutsame Alternative zu einer besonders in reformatorischen Traditionen zentralen, aber inzwischen weitgehend problematisch und unverständlich gewordenen Konzentration auf Kreuz und Auferstehung im Kontext einer juridisch oder moralisch eng geführten Rechtfertigungslehre werden (57). Hier können wir uns von einigen »Taboriten« (wie z. B. bei Catharina Regina von Greiffenberg, 80 ff.) durchaus inspirieren lassen und Neues lernen. Anthropologisch bedeutsam könnte »Verklärung« eine auch im Blick auf aktuelle (z. B. medizin-)ethische Debatten um ein angemessenes Verständnis von Personalität hilfreiche Perspektive zur Erfassung einer Leib-Seele-Einheit sein, die Schelling (den K. ebenfalls hätte aufnehmen können) »Essentifikation« genannt hat (»Clara oder über den Zu­sammenhang der Natur mit der Geisterwelt«, 1810).
Dass solche christlogischen wie anthropologischen Verbindungen von Natur und Übernatur, Sünde und Vervollkommnung (168 ff.) über konfessionelle Unterschiede hinweg nicht zu leichtfertigem oder kitschigem Überspielen einer rauen Wirklichkeit führen (müssen), sondern durchaus auch in soteriologischer Hinsicht Leid, Passion und Gericht zur Geltung wie zum Ausdruck bringen (können), zeigt K. an einigen Beispielen eindrücklich auf (51 u. ö.). Eine theologia gloriae muss nicht im kontradiktorischen Gegensatz zu einer theologia crucis stehen (79 f.), und ein theologisch interpretierter Verklärung-Begriff mit seiner Dialektik von Erhöhung und Erniedrigung (160) hebt auch bei aller »Teilhabe« (methexis) nicht zwangsläufig die kategoriale Differenz zwischen Gott und Mensch auf (87), wie zumeist in Schul-Dogmatiken befürchtet wird. Es geht vielmehr um einen Perspektivenwechsel der Realitätswahrnehmung (116 f.176) in einer analogen Weise von Kunst, Religion und Philosophie (intellektuelle Anschauung, metanoia; periagoge), eben um eine »andere Klarheit« zwischen Aufklärung, Idealisierung und Sublimierung (Nietzsche, 119 ff.). Sie muss noch nicht als das Letzte ausgegeben werden, sondern kann (mit Goethe und Stifter, wie auch mit biblischen Weisheitstraditionen) in ein prä-eschatisches, vorletztes »Warten« eingetragen (137.149) oder auch humoristisch-versöhnlich gebrochen werden wie bei Jean Paul (182 ff.) oder Theodor Fontane (192 ff.). In klassischer theologischer Terminologie kann man hier, wenn der Begriff »Verklärung« bei allem theoretischen Verständnis existentiell doch zu unvertraut sein und bleiben sollte, von der Wahrnehmung von »Segen« im Unterschied zum »Heil« sprechen.