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Ausgabe:

April/2022

Spalte:

326–327

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wagner, Gerald, u. François Vouga

Titel/Untertitel:

Der erste Brief des Petrus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. VIII, 166 S. = Handbuch zum Neuen Testament, 15/II. Lw. EUR 89,00. ISBN 9783161593420.

Rezensent:

Karl-Heinrich Ostmeyer

Gemeinsam verantworten Gerald Wagner und François Vouga den 2020 in der Reihe »Handbuch zum Neuen Testament« erschienenen Kommentar zum ersten Petrusbrief. Wagner verdankt sich »der größere Teil und die Redaktion« der als »Teamarbeit« verstandenen Kommentierung (V). Inhaltlich orientiert sich die Auslegung stark an Wagners unveröffentlichter Dissertation »Dissidenten der Hoffnung. Eine Studie zur Theologie des 1. Petrusbriefes« (Dortmund 2011).
Die Vf. gliedern den ersten Petrusbrief in drei Hauptteile (I. »Zum heiligen Wandel gerufen«; 1Petr 1,13–2,10; II. »Anweisungen für das Leben als Fremde«; 1Petr 2,11–4,11; III. »Aufgaben, Erfolge und Unterstützung«; 1Petr 4,12–5,7). Als den Haupteilen vorgeschaltet erkennen die Vf. das Präskript (1Petr 1,1 f.) und die »These« (1Petr 1,3–12), die sie als »Status der Gegenwart als Gedicht« spezifizieren (VII; 28).
Korrespondierend zur »These« vor dem ersten Hauptteil nennen die Vf. ihren dritten Hauptteil »Synthese« (1Petr 4,12–5,7). Der zweite Abschnitt des Hauptteils III (IIIb; 1Petr 5,1–7) heißt »Zusammenfassung«. Auf den dritten Hauptteil folgen in 1Petr 5,8–11 der »Briefschluss« mit einer »Wiederholung des Appells zur Nüchternheit, Zusage und Doxologie« und einem »Postskript« in 1Petr 5,12–14.
Hilfreich wäre gewesen, wenn die Vf. deutlich gemacht hätten, worauf konkret sich die Termini »Synthese« und »Zusammenfassung« beziehen und worin die Überlegenheit der gewählten Einteilung gegenüber anderen Gliederungen des ersten Petrusbriefes besteht.
Gegenüber Entscheidungen in Einleitungsfragen und einer konkreten zeitlichen oder räumlichen Verortung des Schreibens äußern sich die Vf. zurückhaltend (5). Daraus, dass sie eine Verbindung zur Plinius-Trajan Korrespondenz ausschließen (143.147), lässt sich zumindest ablesen, wo und wann ihrer Auffassung nach der Brief nicht anzusiedeln ist. Silvanus gilt als pseudepigraphischer Verfasser (165), der sich seine Autorität von Petrus als Zeugen der Leiden Christi leiht.
Die im ersten Petrusbrief überdurchschnittlich häufig begegnenden alttestamentlichen Bezüge verstehen die Vf. »als ästhetisch passende Formulierungen, [die] meistens in einem übertragenen Sinne« angeführt werden (6). Vor diesem Hintergrund ist das sich anschließende Urteil, dass jede »Auseinandersetzung mit dem Ju­dentum und mit der jüdischen Tradition fehlt« (6), konsequent. Mehrfach werden Schriftbezüge als für das Verständnis irrelevant identifiziert, etwa ein Exodusbezug von 1Petr 1,13 (41) oder die Herkunft des Heiligkeitszitats (45); auch eine Verbindung zur Passa-Haggada wird zurückgewiesen (49). Das Motiv des Lammes deuten die Vf. als Bild für Christi Passivität. Jesu Makel- und Fleckenlo-sigkeit bezeichne seine Nicht-Reaktivität gegenüber Gewalt (52). Nicht erklärt wird, wann und unter welchen Bedingungen ein alttestamentliches Zitat dann doch als »Autoritätsargument« (160) zu gelten hat.
Die Vf. verstehen »Dissidenz«, »Gewaltlosigkeit« und »Nicht-Reaktivität« als die Zentralmotive des ersten Petrusbriefes. Sie sehen in einer davon geprägte Haltung ein subversives und wirksames Konzept. Es handele sich im ersten Petrusbrief – im Unterschied zu den defensiv eingestellten Pastoralbriefen (8) – nicht um einen Aufruf zur Anpassung an die Gesellschaft, sondern um eine Aufforderung zur aktiven Beteilung daran, »das Haus Gottes in der Welt mit-aufzubauen« (8).
Mit Blick auf die misshandelten Sklaven (1Petr 2,18–25) wäre zu diskutieren gewesen, ob sie überhaupt eine andere Handlungsoption als die der Gewaltlosigkeit und Nicht-Reaktivität gehabt hätten. Auch bleibt zu fragen, ob im ersten Petrusbrief nicht zumindest in einigen Fällen die Deutung ungerechter Leiden für die Christusgläubigen im Vordergrund stand.
Der im Kommentar als Zentralbegriff verwendete Terminus der »Dissidenten« geht nicht auf den Wortlaut des Briefes selbst zu­rück. Die Vf. gebrauchen »Dissidenten der Hoffnung« synonym für »Adressatinnen«, »Empfänger« oder »Gemeindeglieder« und verwenden die Bezeichnung auch an Stellen, an denen die Aspekte der Dissidenz oder der Hoffnung nicht im Vordergrund stehen. Indem durchgängig »die Dissidenten der Hoffnung« als Angeredete er­scheinen, erhält die Auslegung ein recht einheitliches Gepräge.
Der Kommentar ist philologisch präzise gearbeitet; auf Einzelaspekte gehen die Vf. in eingestreuten Exkursen (in Petit) ein. Den Vorgaben der Reihe entsprechend, behandeln die Vf. die Angaben der Sekundärliteratur nicht in Anmerkungen, sondern innerhalb des Fließtextes.
Im Konzert der Auslegungen zum ersten Petrusbrief bieten die Vf. mit ihrem Akzent auf der Dissidenz eine Stimme mit hohem Wiedererkennungswert.