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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

244–246

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Haberer, Johanna

Titel/Untertitel:

Die Seele. Versuch einer Reanimation.

Verlag:

München: Claudius Verlag 2021. 152 S. Geb. EUR 16,00. ISBN 9783532628614.

Rezensent:

Friedemann Richert

Es gibt in Bezug auf die Seele nichts Neues. Folglich kann das Neue nur das Falsche sein. – Mit diesem gedanklichen Maßstab durchschreitet die an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg lehrende Professorin für christliche Publizistik, Johanna Haberer, den Begriff vom Wesen der Seele in Geschichte und Gegenwart. In 16 Kapiteln bringt sie dem Leser wichtige Meilensteine des Seelenverständnisses im wissenschaftlichen und alltäglichen Sprachgebrauch nahe. »Die Seele ist eine globale Idee« (8), die aber mit Beginn der Neuzeit einem geistigen Artensterben ausgesetzt ist. »Es vertrocknen jahrtausendalte Theorien über das, was den Menschen ausmacht.« (9) Diesem Notstand will H. Abhilfe schaffen, weswegen sie die Seele wiederbeseelen will: Versuch einer Reanimation lautet darum der Untertitel ihres Buches. Es ist schön zu lesen und führt den Laien kundig in die vielfältige Denkwelt über die Seele ein: Die Seele ist eine Metapher für des Menschen inneren Reichtum (10); zugleich verbindet uns die Seele mit anderen Geschöpfen (12); Seele meint nach Aristoteles das formgebende Ungeformte (26).
Mit Hilfe dieses wiederentdeckten Seelenlebens wendet sich H. gegen die wissenschaftliche Ersetzung der Seele durch säkulare Begriffe wie »Ich«, »Selbst«, »Person«, »Persönlichkeit« (14). Zu Recht stellt sie fest, dass das Seelensterben mit René Descartes’ philosophischem Rationalismus (Ich denke, also bin ich) begann, dessen gedankliche Spur bis in die Computerwissenschaft unserer Tage reicht, die den Menschen als seelenloses Programm denkt (13). Demgegenüber betont H., dass der Seelenbegriff in der Alltagssprache sowie in der Kirchen- und Religionssprache unverändert vital ist (31) und somit das Ganze des Lebens widerspiegelt. Hierdurch bestärkt, wendet sie sich gezielt gegen neue Formen des wissenschaftlich-entseelten Denkens, etwa des Dataismus, des Transhumanismus, des Posthumanismus oder der Neurowissenschaft. Denn Menschen sind und haben eine Seele, leben aber nicht nach einem algorithmischen System, einem Code gemäß (47). Die neuen technischen Utopien jedoch behaupten dies, werden darum aber dem Ganzen des Lebens nicht gerecht, sondern betreiben vielmehr eine Selbstabschaffung des Menschen (72). Denn der Mensch ist mehr als die Summe seiner Daten (69 f.). Mit ihrem technisch-systemischen Denken aber sagen diese »neuen« Theorien wirklich nichts Neues, was nicht schon im neuzeitlich-utopischen Diskurs reichlich verhandelt worden wäre. Auf diese Erkenntnis freilich greift H. leider nicht zurück. Dennoch steht für sie fest, dass sich der Mensch über sein Denkvermögen allen technischen Ideologien entzieht (76). Ist doch der Mensch ein religiöses Wesen und Religion wiederum das Signum des Menschen als Seelenwesen. Religion aber be­darf der Sprache, weswegen H. auch den Kern des Menschlichen und der Seele in der Sprache ausmacht (83). Hier betritt H. nun das klassisch-biblische Terrain: Mittels der alttestamentlichen Seelenlehre ( näphesch) gewinnt H. ein Seelenverständnis zurück, das die »Seele in, mit und durch den Körper« entfaltet sieht (89). Folglich erklingt ein Lob auf den Körper, der mittels seiner Seele in Seelenverwandtschaft zur Tier- und Pflanzenwelt steht.
Dass hier H. – in Abkehr von Descartes und den algorithmischen Systemen – ausgerechnet auf Platons Spuren wandelt, bleibt ihr verborgen (116). Denn für Platon kommt der Seele (psyché) die Aufgabe zu, nicht nur den Menschen, sondern auch den Tieren und Pflanzen Leben (zoe) zu verschaffen (vgl. Timaios 77a–c). Darum lehrt Platon des Menschen Angleichung an Gott (vgl. Theaitetos 176a–b), ein Gedanke, den Aristoteles mit dem Gedanken der Eudaimonia als ethisches Gut aufnimmt (vgl. Pol. VII, 3. 1325a 32). Diese Einsicht könnte H. aufgreifen, übernimmt sie doch den Gedanken von Aristoteles, dass die Seele das Prinzip des Lebens als Ganzes ist. (108 f.) Der Begriff Seele ist darum für H. eine »tiefe Metapher für das Lebendige« (46). Den damit verbundenen Gedanken der Unsterblichkeit der Seele lässt H. als offene Frage zurück (31), obwohl sie mit ihrer Körper-Seele-Einheit nahe an Thomas von Aquins Seelendefinition anima forma corporis kommt, der so Platon und Aristoteles zu verbinden sucht.
Mit Luthers Seelenverständnis (Magnifikat, Genesisvorlesung, 93–96; Morgensegen, 128) freilich hätte H. die Seele in der Freiheit des ewigen Lebens denken können, ist doch nach Luther die Seele durch die Taufe zum ewigen Leben berufen. Und auch wenn sie die von Platon stammende Metapher vom Menschen als »Gewächs des Himmels« (vgl. Timaios 90a) nicht aufgreift, redet sie dennoch im Sinne Platons von der Seele als göttlicher Natur des Menschen (123). Den damit verbundenen metaphysischen Schritt will H. aber nur zögerlich gehen.
Insgesamt kommt H. das große Verdienst zu, der Seele eine schönwendige Beseelung wiedergegeben zu haben, die nicht nur in der Theologie wieder zur Sprache gebracht werden muss.