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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

242–244

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Beck, Wolfgang, Nord, Ilona, u. Joachim Valentin [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Theologie und Digitalität. Ein Kompendium.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2021. 528 S. Geb EUR 39,00. ISBN 9783451388491.

Rezensent:

Frank Weyen

Die Zeichen der Zeit wollen die Autoren und Autorinnen des Sammelbandes zum Verhältnis von Theologie und Digitalität deuten. Sie legen ein Buch vor, das im Gewand eines Romans daherkommt, aber inhaltlich die wissenschaftliche Tiefe zeigt, die diesem wichtigen kirchentheoretischen Themenbereich aus theologischer Perspektive derzeit angemessen zu sein scheint.
Beginnend mit der »Kultur der Digitalität« (21–134) setzt der Band mit einem von Wolfgang Beck geführten Interview zu ebendieser Gesellschaftsdeutung mit dem Zürcher Kulturwissenschaftler Felix Stalder ein. Theologisch-anthropologische Erkundungen (135–256) eröffnen die Sicht auf den Menschen im Zeitalter einer Digitalisierung, während ekklesial-sozialförmiges Erkunden (257–346) zu theologischen Kernfragen führt, die in einem vierten Ab­schnitt als die Rede von Gott im digitalen Umfeld (347–427) und zum Abschluss des Bandes unter medienethischen Einordnungen (447–518) ihre fünfte Kapitelabrundung erhalten.
Die Berliner Designforscherin Gesche Joost stellt das Erforder-nis von Teilhabe unter einem erweiterten Teilhabeverständnis heraus, das mit Hilfe von Digitalität gewahrt bleiben solle. Insbe-sondere Strukturen sozialer Ungleichheit befördere der Wirkungshorizont »Digitale Moderne«. Dies nicht nur hinsichtlich eines intendierten Kulturbruches durch eine Machtkonzentration in den Händen weniger digitaler Großunternehmen (J. Besoz, Branson, E. Musk), wie dies der Soziologietheoretiker Jonathan Kropf mit seinem Hinweis auf den Digitalen Kapitalismus als Nachfolgemodell des Neoliberalismus nachweist (53–56). Gesche Joost liefert dazu eine wichtige Grundentscheidung: »Heute müsste Pierre Bourdieus Werk zu den Strukturen der sozialen Ungleichheit weitergeschrieben werden – denn diese Strukturen werden nun automatisiert.« (38) Joost verweist damit zugleich auf das Kernproblem sozialer Ungleichheiten, die mithilfe einer Digitalen Moderne zusätzlich noch durch die Regulierung von Zugängen zum Digitalen sowohl millieu-, gender- und schichtenspezifisch, topographisch (Stadt-Land, 43) als auch geographisch (erste bis dritte Welt, 40–43) aufgelistet werden. Infrastruktur, Kompetenzen und Nutzen stünden dabei im engen Zusammenhang eines digital divide (38/39).
Der Würzburger Systematische Theologe Klaas Huizing hebt in seinem Beitrag hervor, dass heute Geräte, die seit Jahrhunderten meist im passiven Dienst des Menschen gestanden haben, mit dem Kennwort der (Künstlichen) Intelligenz versehen werden, was er als einen Bruch in der materiellen Kultur sieht (138). Die referierten Begegnungen zwischen Heidegger und Jaspers rundet Huizing mit der Kommentierung des Reafferenzprinzips in der Mustererkennung bei Armin Nassehi soziologisch ab. Dennoch: »Technik ist eine Kontingenzverhinderungspraxis schlechter Kontingenz (etwa Krankheit) und schafft damit Sicherheit, ohne Neuerung und Kreativität per se zu verhindern.« (145.153)
Einen Beitrag zur Bildmacht von visuellen Eindrücken steuert die Frankfurter Mediendidaktikerin Viera Pirker bei. »Visuelle Formen der Kommunikation und des Ausdrucks haben medial, online wie offline, in- und außerhalb von Social-Media-Plattformen […] zu einer immer latent vorhandenen, oftmals bestrittenen und vielfach umkämpften Macht gefunden.« (155) Im Sinne eines iconic oder pictual turn sieht Pirker die Durchsetzung der Bildmacht schlechthin. Denn Digitalität erweitere sich die soziale Basis (158), so dass sich gesellschaftliche Dimensionen zunehmend zu verschieben beginnen. Das Bild sei simultan, bzw. polysem, und nicht, wie die Schrift, chronologisch strukturiert (160). So eröffnen diese Möglichkeiten eines digital storytellings (162). »Authentizität wird von außen her zugesprochen und ist in Social Media nicht mehr als ein ›subjektives Gefühl der Stimmigkeit‹ […] zu verstehen, sondern wird auf Seiten der Rezipierenden konstruiert, wofür spezifische Authentizitätsmuster inszeniert werden.« (166) So kommt sie zu dem Schluss, dass der Mensch sich über Social-Media als soziales Wesen thematisiere.
Die Würzburger Religionspädagogin Ilona Nord leitet den praktisch-theologischen Reigen mit ihrem Hinweis auf die notwendige Erforschung der »Digital Religions« auch im deutschsprachigen Raum ein. Der Diagnose, dass die Digitalisierung der Kommunikation einer rein auf eine analoge Kommunikation des Evangeliums unter anwesenden Personen setzende (Geselligkeits-)Religion un­ter digitalen- und Pandemiebedingungen ein voller Bedeutungsverlust drohe, kontert sie auf Rudolf Stichweh, dass insbesondere die christliche Religion innerhalb ihrer Geschichte sich medial flexibel gezeigt habe und zeige. Für Nord besitzen die Kirchen ein großes Repertoire für die Mediennutzung in unterschiedlichen Zeitläufen und Situationen, um hier angemessen und ge­ genwartskonform reagieren und vor allem kommunizieren zu können. »Unterhaltung ist nutritiv, wenn sie Halt bietet, wenn sie Räume des Aufgehobenseins und der Entspannung bietet, die Erholung ermöglichen und darin zur Kraftquelle für den Alltag wird.« (273) Daher sei auch im deutschsprachigen Raume eine internationale Vernetzung im Rahmen eines Theoriekonstrukts einer »postdigitalen Kultur« erforderlich, die die zunehmende Fo­kussierung auf die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung beiseitelasse, um sich den sozialen Phänomenen im Sinne einer »Kultur der Digitalität« zu widmen (275–278).
Der Zürcher Praktische Theologe Thomas Schlag setzt mit seinem Hinweis auf die ekklesiologische Einordnung einer Digitalität der Kirche die Thematik fort. Die Corona-Krise habe die Kirchen auf allen Ebenen dazu bewegt, über eine zunehmende digitalisierte Kommunikation des Evangeliums nachzudenken und Schritte einzuleiten, die diesem Ziel Gestalt verliehen. Daher eröffnet Schlag die Perspektive einer digitalen Ekklesiologie, die es neu, auf der Grundlage der Dogmatik der Kirche, zu schreiben gelte. Dies im Rahmen einer digital induzierten Transformation (287). »In den […] Motivlagen marktgängiger Aufmerksamkeitserzeugung, interner Digital-Aufrüstung und ›aufgedrängten‹ Präsenzengagements zeigt sich also eine Pluralität, die keineswegs spannungsfrei ist« (290). Die Hauptaufgabe der Kirche sei es nun, innerhalb einer »Kultur der Digitalität« die Kirchenmitglieder »zu ethischer Reflexion über die Chancen und Gefahren digitaler Kultur und entsprechender eigener Handlungsvollzüge« (300) zu ermächtigen. Hierin könne sich Kirche als eine relevante, zivilgesellschaftliche Agentur mit politischem Gewicht als kontextsensible Kraft entwickeln (301).
Einem notwendigen Haltepunkt gleich fügt der Wiener Systematiker Christian Danz die »Kultur der Digitalität« auf die Vermittlung der media salutis zurück und grundiert damit zugleich die bisherigen Debatten des Bandes dogmatisch. Dem Innehalten im digitalen Diskurs folgt bei Danz auch die Kritik an der praktisch-theologischen Deutung der Medialität der Vergangenheit (W. Gräb). Hier habe es eine religionshermeneutische Überhöhung von Vermittlungsmedien des Religiösen gegeben.
»Ohne Medien gibt es keine Religion, aber Medien sind nicht selbst Religion« (398). »Zur Religion wird die Erinnerung an Jesus Christus erst in ihrer verstehenden Aneignung und dem Gebrauch durch Einzelne. Aneignung und Gebrauch bilden jedoch keinen Bestandteil der Überlieferung. Sie sind eigene Strukturelemente der Religion, die sich aus der in der Kultur übermittelten christlich-religiösen Kommunikation nicht ableiten lassen.« (400)