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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

63–65

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Krawelitzki, Judith

Titel/Untertitel:

Gottes Macht im Psalter.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XI, 319 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 97. Kart. EUR 89,00. ISBN 9783161545702.

Rezensent:

Nina Meyer zum Felde

Bei diesem Werk handelt sich um die geringfügig überarbeitete Fassung einer bei H. Spieckermann entstandenen und im Wintersemester 2015/16 von der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angenommenen Dissertationsschrift. Judith Krawelitzkis Arbeit besteht aus sechs Kapiteln. Kapitel 1 enthält einleitende Überlegungen, benennt als Ziel der Arbeit, »ein Bild von der Vorstellung von Gottes Macht und ihrem im Psalter dokumentierten theologischen Wandel« (1) zu gewinnen, und legt nachvollziehbar das weitere Vorgehen dar.
Auf die Einleitung folgt ein forschungsgeschichtlicher Überblick (Kapitel 2). In den historisch-theologischen Enzyklopädien, in den systematisch-theologischen Enzyklopädien sowie in Darstellungen der Religionsgeschichte Israels und Theologie des Alten Testaments wurden Macht und (die auf das hellenistische Judentum zurückgehende und terminologisch in der Septuaginta greifbare Vorstellung von) Allmacht wegen eines selektiven Umgangs mit dem biblischen Befund fast immer synonym gebraucht, was aus exegetischer Sicht problematisch ist. Macht und Allmacht müssen unterschieden werden.
In den Bibelwissenschaften wurde seit den 1960er Jahren das Thema Macht Gottes wieder entdeckt und auch in neueren Arbeiten (R. Feldmeier, W. Dietrich/C. Link und M. Bachmann) behandelt. Jedoch wurden die Vorstellungen von göttlicher Macht im Alten Testament nicht ausführlich genug thematisiert. Ferner wurde bei Exegesen zunehmend weniger auf die Machtterminologie Bezug genommen. R. Feldmeier und H. Spieckermann setzten sich in ihrer 2011 erschienenen Gotteslehre »Der Gott der Lebendigen« in Ansätzen mit Wahrnehmungen von Gottes Macht im Psalter auseinander. K. baut in ihrer Studie auf Feldmeier und Spiec kermann auf und widmet sich ausschließlich dem Psalter, da dieser sowohl hinsichtlich der Belegfrequenz als auch der theologischen Verdichtung das Zentrum des alttestamentlichen Befundes für Vorstellungen von Gottes Macht darstellt.
In Kapitel 3 beginnt K. mit der thematischen Arbeit. Sie nimmt die exegetisch wichtige Unterscheidung zwischen Macht und Allmacht vor: »Die Frage, ob Gott allmächtig ist, wird in den Psalmen nicht gestellt. Entscheidend ist nicht der Geltungsbereich von Gottes Macht, sondern das Spezifische ihres Wesen (sic!) und ihrer Wirkung. Dies herauszustellen, ist Anliegen des Psalters, was sich deutlich in den Redeweisen von Gottes Macht widerspiegelt.« (41 f.) Den Vorstellungen von göttlicher Macht im Psalter nähert sich K. durch eine einleuchtende Systematisierung der 1369 Belegstellen. Sie trennt und analysiert Manifestationen, Metaphern aus dem Bereich der Körpersprache, Gottesnamen und Gottesepitheta sowie weitere Termini. Die weiteren Termini stellen zwar von der Belegfrequenz her lediglich die zweitgrößte Gruppe dar, jedoch verdichten sich in ihnen die Machtvorstellungen sprachlich und bündeln sich brennpunktartig. Daher stehen diese Termini im Zentrum der Untersuchung.
In Kapitel 4 benennt K. die vier zentralen Machttermini gĕbûrâ (»Macht, Kraft, Stärke«), ḥayil (»Kraft, Stärke«), kōaḥ (»Kraft, Stärke«) und ‘ōz (»Stärke, Macht, Kraft«), untersucht deren jeweilige Semantik und arbeitet als dahinterliegenden Vorstellungszusammenhang drei Aspekte von Gottes Macht heraus: Macht als Anteilgabe Gottes an seiner eigenen Macht an den Menschen, Macht als Eigenschaft Gottes und Macht im Handeln Gottes. Eine Tabelle (119 f.) listet übersichtlich die Belegstellen für die drei Aspekte göttlicher Macht im Psalter und außerhalb des Psalters auf.
In Kapitel 5 werden für jeden Aspekt zwei Psalmen exegesiert: Ps 21 und 63 für Macht als Eigenschaft Gottes, Ps 59 und 84 für Macht als Anteilgabe an den Menschen und Ps 108 und 145 für Macht im Handeln Gottes. Die Textanalysen bestehen jeweils aus Übersetzung, Beobachtungen zur Kohärenz, Rekonstruktion des Grundtextes, Gliederung und einer Analyse des theologischen Profils. Die Einzelexegesen sind gründlich und gehaltvoll, mit umfangreichen Anmerkungen versehen und lassen einen reflektierten Methodengebrauch erkennen. Beispielsweise zeigt K. in der Exegese von Ps 63 die Gefahr dessen auf, zu hohe theoretische Erwartungen an einen Text heranzutragen sowie zu sehr auf feste Gattungsmuster und auf die Rekonstruktion einer möglichen kultischen Situation, in der der Psalm gebetet worden sein könnte, zu vertrauen. In der Forschungsgeschichte zu Ps 63 hat dies dazu geführt, dass der Text nicht mehr in seiner ursprünglichen Form und Eigenheit wahrgenommen wurde (157). Daher nimmt sich K. zum Ziel, »den Wortlaut von Ps 63 ernst zu nehmen und seinen Inhalt jenseits von übergreifenden Theoremen zu verstehen zu versuchen« (158). Des Weiteren zeigt sie in ihren Analysen des rekonstruierten Grundtextes und Endtextes einzelner Psalmen auf, welche Intentionen Redaktoren verfolgt haben könnten und welche neuen theologischen Akzente der Text durch die Erweiterungen bekommen haben könnte. Somit gewinnt sie durch Literarkritik einzelexegetische und theologische Erkenntnisse.
In Kapitel 6 fasst K. die Ergebnisse der Studie zusammen und stellt Überlegungen zur theologiegeschichtlichen Entwicklung der göttlichen Macht an.
Die Vorstellung von der Anteilgabe an der Macht Gottes ist die wohl älteste Vorstellung. Macht als Wesenseigenschaft dürfte eine jüngere Vorstellung sein, die die Vorstellung von der Anteilgabe theologisch anreichert. Macht im Handeln Gottes stellt die jüngste Vorstellung dar. Dabei betont K., dass es sich bei der skizzierten Abfolge nicht um einen linearen Verlauf handelt, bei dem ein Aspekt einen anderen ablöst. Vielmehr waren alle Vorstellungen zu allen Zeiten vertreten, jedoch je nach zeitgeschichtlicher Situation und Herausforderung unterschiedlich häufig.
Als entscheidende Erkenntnisse der Studie nennt K., dass die Rede von Gottes Macht ihren Schwerpunkt, Ort und Ursprung im Psalter, d. h. im Gebet, hat sowie dass Gottes Macht »Rettungsmacht für den Einzelnen wie für das Volk als konkreter Erweis der Macht seiner Liebe« (288) ist. Darüber hinaus hält sie fest, dass die im Psalter ausgebildeten Vorstellungen von der Macht Gottes die weitere Rede von Gottes Macht in den übrigen Schriften des Alten Testaments prägen. Abgeschlossen wird die Studie mit einem Literaturverzeichnis und einem ausführlichen Stellen- und Sachregis-ter mit deutschen und hebräischen Begriffen.
Die Arbeit hinterlässt einen durchweg positiven Eindruck. Sie ist sprachlich präzise und stilistisch ansprechend formuliert, gut lesbar und im Druck nahezu fehlerfrei. Die umfangreichen Regis-ter ermöglichen eine Erschließung des gesamten Werkes, aber auch einzelner Texte, Themen und Fragestellungen. Die inhaltlichen Stärken der Studie liegen in der Systematisierung eines komplexen Befunds, in gründlicher lexikalischer und semantischer Analyse der Machtterminologie, in genauer und methodisch re­flektierter Textarbeit sowie in Erkenntnissen für die Theologiegeschichte der Macht Gottes. So ergibt sich zum Schluss nur eine Anmerkung: Es wäre wünschenswert gewesen, detaillierter als im Fazit (287 f.), d. h. in Einzeltextarbeit, aufzuzeigen, wie die im Psalter elaborierte Theologie der göttlichen Macht in anderen Schriften des Alten Testaments rezipiert wird. Dadurch hätten die überzeugende These vom Psalter als Zentrum des alttestamentlichen Befundes und die skizzierte theologiegeschichtliche Entwicklung noch mehr an Profil gewonnen.