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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1265-1266

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Berg-Chan, Esther, u. Markus Luber [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Christentum me-dial. Religiöse Kommunikation in digitaler Kultur.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2020. 192 S. = Weltkirche und Mission, 11. Kart. EUR 34,95. ISBN 9783791731544.

Rezensent:

Daria Pezzoli-Olgiati

Die rasanten technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben zur Gestaltung neuer Lebensdimensionen geführt. Diese heben sich insofern von der Unmittelbarkeit menschlichen Lebens ab, als sie die zwischenmenschliche Kommunikation von räumlichen und zeitlichen Bedingungen herauslösen: Digitale Kommunikationsformen können überall und jederzeit stattfinden, abgerufen und beliebig reproduziert werden. Dieser Band adressiert die durchaus dringende Frage, wie sich Kirchen in diesem neuartigen digitalen Raum positionieren und wie sich unterschiedliche Praktiken und Inhalte religiöser Gemeinschaften dementsprechend verändern (sollen).
Der Band ist von der Religionswissenschaftlerin Esther Berg-Chan und von Markus Luber SJ, dem kommissarischen Direktor des Instituts für Weltkirche und Mission in Frankfurt a. M., herausgegeben worden. Darin finden sich theologische, religionswissenschaftliche und medientheoretische Analysen sowie Reflexionen aus der Innenperspektive römisch-katholischer Kirchen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Das Buch kann als eine informative erste Sondierung vielfältiger Aspekte des Einflusses von Mediatisierungs- und Digitalisierungsprozessen auf religiöse Praxis unterschiedlicher christlicher Gemeinschaften gelesen werden. Darin liegen die Stärken sowie die Schwächen des Bandes. Auf der einen Seite zeigt dieses Projekt exemplarisch auf, wie wichtig und nachhaltig der Einfluss von Medien im digitalen Zeitalter ist und, damit verbunden, welche Fragen sich Theologie und Kirche stellen sollen, um diese Veränderungen religiöser Kommunikationsformen fundiert verstehen und konstruktiv gestalten zu können. Wohltuend ist die Verbindung von Beiträgen von Autoren und Autorinnen aus unterschiedlichen Ländern wie den Philippinen, Australien, Brasilien, Italien, dem Vatikan und Deutschland.
Besonders weiterführend ist die Studie »Popmusik als Evangelisierungsformat« von Esther Berg-Chan, die das sogenannte »Cross-over-Projekt« der neocharismatischen Megakirche City Harvest Church in Singapur untersucht. Die Fallstudie gründet auf einer sorgfältigen Kontextualisierung der Quellen und einer klaren Fragestellung, mit der die Autorin und Bandherausgeberin den Einsatz von inhaltlich nicht religiös konnotierter Popmusik als Verbreitungsstrategie dieser Megakirche untersucht. Dabei analysiert sie mehrere Dimensionen der involvierten Kommunikationsprozesse, in denen unterschiedliche Medien, Akteure bzw. Akteurinnen und Sichtweisen in einer komplexen Dynamik interagieren. Obwohl klar auf den spezifischen Kontext der ehemaligen britis chen Kolonie fokussiert, zeigt dieser Beitrag exemplarisch die Tragweite einer medientheoretischen Analyse der Konstruktion und Entwicklung einer zeitgenössischen neocharismatischen Gemeinschaft auf. Ähnliches gilt für den letzten Beitrag »Interreligiöser Online-Dialog, Friedensförderung und die Kusogmindannaw-Yahoo-Gruppe« von Agnes M. Brazal, in dem die Rolle von digi-talen Medien zur Förderung des interreligiösen Dialogs und des Friedens zwischen unterschiedlichen religiösen Traditionen auf Mindanao, der zweitgrößten Insel der Philippinen, untersucht wird.
Als Ganzes betrachtet schöpft der Band sein wissenschaftliches Potenzial nicht ganz aus, denn die Beiträge wirken wie lose Variationen zum Thema Medialität von Religion: Sie verbinden durchaus interessante Beobachtungen, die jedoch ohne eine gemeinsame Fragestellung oder eine geteilte theoretische Reflexion nebeneinanderstehen. Auch die kurze Einleitung vermag es nicht, ein artikuliertes Konzept von Kommunikation zu liefern, das eine systematische Verbindung der einzelnen Beiträge erlauben würde. Die differenzierte, aktuell intensiv geführte wissenschaftliche Debatte um die Wechselwirkung von (digitalen) Medien und Religion wird kaum rezipiert. Auch die Verbindung zwischen theologischen und religionswissenschaftlichen, beschreibenden Zugängen und In­nensichten aus der Perspektive der kirchlichen Institution wird nicht explizit reflektiert. Trotzdem zeigt diese Veröffentlichung auf, dass Mediatisierungsprozesse neue Formen religiöser Praxis mit sich bringen, die Institutionen vor Fragen der Anthropologie, der Lebensgestaltung, der Beziehung zwischen Kirchenleitungen und Laien, der Gemeindebildung sowie des Zugangs und der Regulierung von Macht stellen, die einer weiteren, vertieften wissenschaftlichen, interdisziplinären Forschung bedürfen.