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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1262-1264

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kropač, Ulrich, u. Ulrich Riegel [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Religionsdidaktik.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2020. 616 S. m. 3 Abb. u. 8 Tab. = Kohlhammer Studienbücher Theologie, 25. Kart. EUR 42,00. ISBN 9783170390300.

Rezensent:

Bernhard Dressler

Mit diesem Buch wird ein anspruchsvolles Vorhaben realisiert: ein Handbuch, das – zugleich »ausdrücklich als Lehrwerk« (7) – einen vollständigen Überblick über alle Aspekte der Religionsdidaktik verspricht. Eine angemessene Rezension ist kaum möglich angesichts der Fülle von Artikeln, in denen 51 Autorinnen und Autoren in zwölf Kapiteln 62 thematische Stichwörter abhandeln. Allein schon die Koordinations- und Redaktionsleistung bei der Erstellung dieses umfangreichen Buches ist beachtlich. Neben den Autorinnen und Autoren zu islamischem, jüdischem, orthodoxem und religionskundlichem Unterricht sind außer evangelischen Religionspädagoginnen und -pädagogen vor allem katholische Autorinnen und Autoren vertreten. Der Maxime, die Artikel in »ökumenischem Geist« zu verfassen (7), wird in der Regel entsprochen.
Dass eine Rezension einem solchen Werk nicht in allen Aspekten gerecht werden kann, liegt auf der Hand. Ich konzentriere mich auf einen Überblick über die Kapitel und einige wesentliche Stichworte, sodann auf wenige zu würdigende oder kritisch zu beurteilende Aspekte.
Die zwölf Kapitel: I: Religiöse Bildung in der Schule, II: Religionsunterricht in den Denominationen und Religionen, III: Personen des Religionsunterrichts, IV: Befunde zum Lernen im Religionsunterricht, V: Modelle des Religionsunterrichts, VI: Religionsdidaktische Konzeptionen und Ansätze, VII: Religionsdidaktische Lernformen, VIII: Planung von Religionsunterricht, IX: Exemplarische Lernwege im Religionsunterricht, X: Religionsunterricht in den verschiedenen Schularten, XI: Religionsunterricht im Kontext, XII: Religionsdidaktik als Wissenschaft. Alle Stichwort-Artikel werden durch ein knappes abstract eingeleitet und mit einem kurzen Verweis auf weiterführende Literatur abgeschlossen. Es finden sich freilich, trotz aller Mühe um einen einheitlichen Maßstab, recht unterschiedliche Formate: teils für die übersichts-orientierende Studienbegleitlektüre von Lehramtsstudierenden gut geeignet, teils aber eher im Dienst der Verortung einzelner religionsdidaktischer Themen im Wissenschaftsdiskurs.
Dass man als Rezensent bei dieser Fülle von Aspekten und Perspektiven manches, auch im Blick auf die Kapitel- und Stichwortsystematik, anders bzw. kritisch sieht, ist unvermeidlich. Nicht recht erschlossen hat sich mir die Auf- teilung der Kapitel VI (1. »Korrelation als religionsdidaktische Fundamental-kategorie«, »Kinder- und Jugendtheologie«, 3. »Performativer Religionsunterricht«, 4. »Konstruktivistische Religionsdidaktik«) und VII (»Lernen mit Symbol- Zeichen« und »ästhetisches«, »ökumenisches«, »interreligiöses«, »ethisches Lernen« sowie »Lernen an Kirchengeschichte«, »Perspektivenübernahme und Perspektivenwechsel«, »Didaktik religiöser Bildung für nachhaltige Entwicklung«, »Religiöses Lernen an außerschulischen Lernorten«). Dass die Artikel »Kompetenzorientierung« und »Elementarisierung« nicht den »Konzeptionen« oder »Lernformen«, sondern im Kapitel VIII der »Planung von Reli­gionsunterricht« zugeordnet werden, ist, vorsichtig gesagt, diskussionswürdig. Gerade als Vertreter einer performanzorientierten Religionsdidaktik würde ich diese weniger als eine »Konzeption« thematisieren, sondern sie – so der noch immer gültige Vorschlag Peter Biehls – zu einem »Ensemble didaktischer Strukturen« im unverzichtbaren Zusammenhang traditionserschließender, problemorientierter und symboldidaktischer Erschließungsformen zuordnen.
Den einzelnen Beiträgen ist als »konzeptionell übergreifende Leitfrage« aufgegeben, den Beitrag des jeweiligen Themas für ein learning from religion zu benennen (7.27). Das gelingt zwar zumeist überzeugend. Indes: Man handelt sich durch den Bezug auf eine im anglophonen Bereich übliche Alternative (from vs. about) das Problem ein, dass diese Frage gegenüber einer bildungstheoretischen Perspektive etwas quer liegt: Religion ist ein Modus des Weltverstehens, bei dessen Erschließung in einer mehr als nur informierenden Perspektive about und from komplementäre Lerndimensionen bezeichnen, die nicht gegeneinander auszuspielen sind.
Das Vorwort der Herausgeber schließt eine kurze Lagebeurteilung der Bedingungen des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen ein und akzentuiert, völlig sachgerecht, den »Bildungsbegriff«, der »am besten geeignet« sei, »sowohl die gesellschaftlichen Erwartungen an den Religionsunterricht als auch den Eigensinn religiösen Lehrens und Lernens zu fassen.« (7) Dem entsprechend wird das Handbuch durch den gewichtigen und höchst instruktiven Artikel »Religiöse Bildung« (I.1) von Ulrich Kropač eröffnet, mit dem Schwerpunkt einer Entfaltung des »Gegenstands« religiöser Bildung über seine Aspekte »Religion«, »Religiosität«, »Religionskultur« und einer abschließenden differenzierten Bestimmung »religiöser Kompetenz«. Zu Recht wird besonders die »Wiederverwendung des Bildungsbegriffs in den 1980er Jahren« (17) als eine Schlüsselkonstellation zur Korrektur der zuvor dominierenden katechetisch-erzieherischen (und auch der »problemorientierten«) Konzepte betont. Bei den ebenfalls von Ulrich Kropač verfassten »Begründungen religiöser Bildung an der Schule« (I.3) wäre eine energischere Begründung des Artikels 7.3 Grundgesetz im Lichte des deutschen positiven Religionsverfassungsrechts (also mit Be­zug auf Artikel 4) wünschenswert, ohne die der schulische Religionsunterricht in Deutschland gegenüber den Praxen in anderen europäischen Ländern nicht deutlich genug profiliert und in seiner Eigenart legitimiert werden kann. (Gleiches gilt auch für den Artikel »Konfessioneller Religionsunterricht« [V. 2] von Monika Jakobs.) Dieses erste Schwerpunktkapitel erhält sein Gewicht weiter durch Artikel zu den »Gesellschaftlichen Rahmenbedingungen religiöser Bildung« mit bemerkenswerten zeitdiagnostischen Akzenten von Henrik Simojoki (I.2), zur »Religiöse[n] Bildung in der Schule« mit Bezug auf den »aktuellen Bildungsdiskurs« von Manfred L. Pirner (I.4), zur »Religiöse[n] Bildung in der Schule und ausgewählte(n) Themen des gesellschaftlich-politischen Diskurses« von Bernhard Grümme und (erneut von Ulrich Kropač) zum »Religionsunterricht im Spiegel kirchlicher Leittexte« (I.6). Einspruch erheben würde ich gegen die Behauptung Grümmes, dass der »Mainstream der Religionspädagogik […] sich performativ und ästhetisch (verortet)« (51) – das kann man leider wirklich nur sagen, um die eigene politisch-soziale »Verortung« auf diese Weise kontrastiv zu begründen.
Unverzichtbar, auch wenn der Trend zu kooperativen Unterrichtsformaten drängt, ist das II. Kapitel zu »Denominationen und Religionen«, mit Beiträgen von Reinhold Boschki (katholischer Religionsunterricht), Bernd Schröder (evangelisch), Fahimah Ulfat (muslimisch), Mark Krasnov (jüdisch) und Yauheniya Danilovich (orthodox). Bemerkenswerte neue Akzente werden gesetzt zu »Schülerinnen und Schüler in ihrer digitalen Welt« (Eva-Maria Leven und Jens Plakowitsch-Kühl, III.3) – ein zeitgerechter Blick auf neue Entwicklungen, die der Rezensent für unvermeidlich, wenn auch für hoch problematisch hält; zur bislang noch wenig entwi-ckelten Ermittlung der »Effekte von Religionsunterricht« (Friedrich Schweitzer, IV.2); zur »Artikulation« als erweiterndem Methodenbegriff (Norbert Brieden, VIII.3); und zur oft (auch im Sinne einer Art pneumatologischer Perspektive) vernachlässigten »Musik für religiöse Bildung« (Klaus König, IX,3) – um nur eine höchst subjektive Auswahl zu nennen.
Kritische Einwände richten sich gegen den Artikel »Schülerinnen und Schüler in ihrer religiös-weltanschaulichen Entwicklung« von Wolfgang Weirer (III.1). Es scheint mir doch sehr fraglich zu sein, ob man mit der Würdigung der strukturgenetischen Konzepte von Oser/Gmünder und Fowler der gegenwärtigen Diskussionslage (und mehr noch: der Problemlage) gerecht wird, zumal angesichts deren kritischer Revision etwa durch Heinz Streib und Carsten Gennerich (die nur mit einem kurzen Seitenblick wahrgenommen werden). Hier sind doch Forschung und Theorieentwicklung, auch in religionstheoretischer Hinsicht, deutlich über die Sachlage der 1980er und 90er Jahre fortgeschritten.
Auf eines der wenigen krassen Fehlurteile des Handbuchs stößt man bei Manfred Rieggers Artikel zu »Lernen mit Symbol-Zeichen – Symbolisieren lernen« (VII.1), der sein sehr eigenwilliges individuelles Theorie-Profil, vor allem in nicht sachgerechter Abgrenzung zur Zeichendidaktik (Michael Meyer-Blanck u. a.), zum maßgeblichen state of the art dieses Themas erklärt, statt die Thematik seines Stichworts unvoreingenommen zu skizzieren.
Natürlich stellt sich insbesondere die Frage, ob es den Autorinnen und Autoren, die zugleich Protagonisten bestimmter Positionen und Konzepte sind, immer gelingt, eine kritische und nicht einseitige Gesamtdarstellung ihres Stichworts zu bieten. Hans Mendls Artikel zum »Performativen Religionsunterricht« (VI.3) bietet in dieser Hinsicht kaum Anlass zur Kritik. Wenn Thorsten Knauth, der das nach wie vor höchst umstrittene »Modell«, den im Kontext des »Hamburger Wegs« eines »Religionsunterrichts für alle« konzipierten »dialogischen Religionsunterricht«, als dessen engagierter Protagonist vorstellt (V.5), dürfte es kaum verwundern, dass der Rezensent, bei aller Anerkennung des sichtbar werdenden Engagements, inhaltliche Einwände vorzutragen hätte, für die hier der Raum nicht ausreicht.
Thomas Schlag referiert seine Position zur »Kinder- und Jugendtheologie« (VI.2), als gäbe es dazu keine kritischen Einwände – und der Rezensent sieht die Kritik bestätigt, dass im Rahmen dieses Konzepts der Theologiebegriff (etwa im Vergleich zur wissenschaftstheoretischen Fruchtbarkeit seiner professionstheoretischen Profilierung durch Friedrich Schleiermacher) entgrenzt und trivialisiert wird und zugleich der Religionsbegriff verunklart wird. Im Blick auf die »Konstruktivistische Religionsdidaktik«, durchaus sachkundig und nicht nur engagiert von Hanna Roose skizziert (VI.4), wird m. E. deutlich, welche Probleme man sich einhandelt, wenn, um vermeintlich auf der Höhe der Zeit zu bleiben, ursprünglich naturalistische Theoreme (ähnlich wie bei den sogenannten Neuro-Didaktiken) adaptiert werden, wo hermeneutische oder semiotische Theorien nicht nur zu vergleichbar fruchtbaren lerntheoretischen Einsichten führen, sondern vor allem auch dem Gegenstand »Religion« affiner und damit auch didaktisch angemessener sind. Dass demgegenüber z. B. Martina Kumlehn, die avancierteste Vertreterin einer hermeneutischen, am Konzept narrativer Identität orientierten Religionsdidaktik, im gesamten Buch nahezu unerwähnt bleibt, nehme ich als eine erstaunliche Unwucht wahr. Prononciert, aber wohl berechtigt ist die pointierte Darstellung von Clauß P. Sajak (»Kompetenzorientierung«, VIII.3) zur mangelnden »kognitiven Aktivierung der Schülerinnen und Schüler«, die auf eine »Versachkundlichung« des Religionsunterrichts hinauszulaufen scheint – oder sollte man sagen: droht?
Die Differenzen zwischen katholischer und evangelischer Perspektive, die bei dem einen oder anderen Thema durchaus noch sichtbar werden, treten zunehmend hinter eine christlich-ökumenische Gesamtperspektive zurück, worin sich denn auch die Zukunftsmöglichkeiten des deutschen Modells eines Unterrichts abzeichnen, mit dem »Religion« weiterhin nicht nur religionskundlich, sondern auch binnenperspektivisch-positionell erschlossen werden soll. Wie weit das – so wird es derzeit in Niedersachen diskutiert – über (durchaus nicht in allen Bundesländern praktizierte) Konzepte konfessioneller Kooperation hinaus auf einen christlich-ökumenischen Religionsunterricht hinausläuft, bleibt abzuwarten. Die Zukunft des Religionsunterrichts insgesamt erscheint keinesfalls so sicher, wie es das Volumen und die Qualität des Handbuchs zu versprechen scheinen.
Das Personenverzeichnis im Anhang ist leider wenig nützlich, weil Personen, auf die in den Stichwortartikeln hingewiesen oder Bezug genommen wird, in ihm sehr unterschiedlich registriert werden. Hilfreich sind dagegen ein ausführliches Stichwortverzeichnis und ein umfangreiches Literaturverzeichnis mit der Gesamtheit der im Handbuch erwähnten Veröffentlichungen.