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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1254-1255

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Die ersten Freigelassenen der Schöpfung. Versuche über die Freude an der Freiheit und das Wohlgefallen am Spiel. Hg. v. R. Egger. 2., durchges., aktual. u. erg. Aufl.

Verlag:

Aachen: Bernardus Verlag 2021 (1. Aufl.: München: Chr. Kaiser Verlag 1971). 127 Seiten. Kart. EUR 12,00. 9783810703538.

Rezensent:

Ralph Kunz

Jürgen Moltmanns Schrift über die Freude an der Freiheit und das Wohlgefallen am Spiel feiert ihren 50. Geburtstag mit einer Neuauflage. Wer sich die Mühe macht, das Büchlein zu lesen, stellt sich besser auf geistige Arbeit ein und wird reich belohnt! Es ist nicht nur die Schärfe und Klarheit der Gedanken, die beeindruckt. M. pflegt auch eine elegante Sprache. Er schreibt schön. Was ihn befeuert, ist die Freude an der Freiheit des Evangeliums, was ihn begeis-tert, springt wie ein Funke auf die Leserinnen und Leser über. Form und Inhalt stimmen überein. Vor allem aber spricht hier ein Visionär. Was er zu sagen hat, trifft (immer noch oder noch mehr als 1971) ins Herz unserer Zeit!
Den schönen Titel, »Die ersten Freigelassenen der Schöpfung«, hat sich M. von Johann Gottfried Herder ausgeliehen. M. knüpft an dieses Erbe an, wenn er fragt: Sind die Menschen freigelassene Geschöpfe? Im Gespräch mit den kritischen Herrschaftstheorien kommt er zu einem widersprüchlichen Befund. Nicht alle Menschen sind gleich frei – nicht alle spielen ein faires Spiel. Es ist komplizierter. Wer tritt ein für die Freiheit der Kranken? Wer macht sich stark für die Freiheit der Schwachen?
Schaut man auf die Produkte der Selbsthilfeindustrie, die im Buchladen angepriesen werden, haben die Begriffe Freiheit und Freude einen hohen Marktwert. Wer sehnt sich nicht nach Erfüllung, Glück und Unabhängigkeit? Schon in der Einleitung seiner Schrift macht M. klar, dass ihm an mehr gelegen ist. »Wir müssen zu unterscheiden lernen zwischen den entfremdenden Formen eines nur scheinbaren Glücks und den befreienden Formen der Freude.« (17) Wann war das aktueller als heute? In der Kritischen Theorie findet M. die Dialogpartner, um das falsche Spiel des Konsums zu entlarven. Wer den Spaß sucht, um sich zu betäuben, steht noch im Bann eines Zwangs, flieht vor dem Unveränderlichen, ist ein Gefangener von Herrschaften, die wenig Interesse an der Befreiung zeigen. Anders als das nostalgisch rückwärtsgewandte Spiel, das Ablenkung vom Unveränderlichen verspricht, findet Freude an der Freiheit, wer »spielend vorwegnimmt, was anders sein kann und was anders werden soll« (30).
Werden wir erst dann frei, wenn wir uns verändert haben? Vielleicht ist die politische Theologie, die sich mit dieser Moral einer Pflichtschuld seit den 1970er-Jahren zu Wort gemeldet hat, nicht ganz unschuldig an der geistlichen Austrocknung der Kirche. Das Pathos der Veränderung und der kulturpessimistische Furor der Weltverbesserer kann gehörig irritieren. M. ist zweifelsfrei ein Fürsprecher der politischen Theologie. Den Vorwurf, ein Spielverderber zu sein, kann man ihm allerdings nicht machen. Im Gegenteil! Die Begründung des befreienden Spiels führt ihn zur Schönheit Gottes, nicht zur angestrengten Selbstveränderung des Menschen, sondern zu seiner Verwandlung, die sich nach dem Wandel sehnt. Die Kraft der Veränderung ist in der Schöpfung angelegt, verdankt sich dem göttlichen Wohlgefallen, ist in sich und für sich ein Spiel, das keinem anderen Zweck gehorcht als dem, der kein Zweck mehr genannt werden kann, nämlich die Liebe zu erwidern, mit der sich Gott der Welt zuwendet. Das theologische Wort für diesen Kreislauf heißt Gnade. Aus dieser gnadenhaft zuvorkommenden und ge­schenkten Freiheit, Gottes Geschöpf zu sein, wächst zusammen mit der Lust, Gott zu genießen, die Bereitschaft, die Verhältnisse der Welt in freien Werken zu verändern.
M. gelingt es, sich auf diese Mitte zu konzentrieren und zu­gleich die Weite, Tiefe und Höhe der kosmischen Dimensionen des Evangeliums in Erinnerung zu rufen. Für ihn ist die Christusmitte kein blutleeres dogmatisches Postulat. Es ist das prall gefüllte Leben, ein Born, aus dem quillt, was Gott gefällt. Nie wird das kitschig und nie gefällig, immer bleibt der Stachel, dass das noch nicht erfüllt ist, was uns aus der Fülle Gottes entgegenkommt. Nie wird das melancholisch oder misanthropisch, immer bleibt die trotzig-t röstliche Umkehrung der Hoffnung, die sich die Zukunft in die Gegenwart holt: »Was von dieser Zukunft als Vorschein, Vorgeschmack und Vorspiel eines Ganz-Anderen in dieses sterbliche Leben hineinragt, das erst macht ja die Weltgeschichte als eine Leidensgeschichte erfahrbar und im Schmerz bewusst.« (65)
Eindrücklich und eindringlich sind die Schlusskapitel des Buches, wo M. die Konsequenzen des Freiheitsspiels für die Kirche aufzeigt. Wie sehr wünscht man sich, dass mehr von diesem Geist der Freude in ihr spürbar wird. Es ist vermutlich ganz im Sinne M.s, wenn die Rezension der Neuauflage seines Büchleins mit diesem ewigjungen Wunsch schließt – ihn und die Kirche, der er dient, einschließend: »Der Gott der Hoffnung aber erfülle uns mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass wir immer reicher werden an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.« (Röm 15,13)