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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1207-1208

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die vierzig Gleichnisse Jesu.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020 (5. Aufl. 2021). 320 S. Geb. EUR 28,00. ISBN 9783451386701.

Rezensent:

Christoph Kähler

Mit dieser Auslegung der Gleichnisse Jesu bleibt Gerhard Lohfink in seinem akademischen Fach, setzt zugleich seine Reihe allgemeinverständlicher Werke fort und greift dafür auf Erfahrungen aus einem »literarischen Gesprächskreis« (291) zurück, in dem diese Texte besprochen wurden.
In einem ersten Teil (15–56) legt L. zehn Texte vor, von Amos 5,18–20 über Friedrich Rückerts »Es ging ein Mann im Syrerland« bis zu einer chassidischen Erzählung (nach Buber), die als Beispiele für seine Auffassung von sachgemäßer Gleichnisauslegung dienen. Dabei verzichtet er bewusst ebenso auf Begriffsklärungen wie auf den unmittelbaren Anschluss an die eine oder andere Metapherntheorie. Sein Resümee lautet: »Es wäre wenig sinnvoll, […] eine ausgefeilte Gleichnistheorie aufzubauen, die das Ziel hätte, sauber abgrenzbare Gleichnistypen zu konstruieren. Der normale Mensch spricht niemals in reinen Gattungen. Auch Jesus tat es nicht.« (56) Dennoch kennt er »wirkliche« Gleichnisse (61) und Allegorien, streut immer wieder einzelne Thesen zur Gleichnishermeneutik ein und wendet sich gegen die Behauptung einer ästhe-tischen Autonomie der Gleichnisse, wie sie Dan O. Via oder Wolf-gang Harnisch vertreten (19 u. ö.).
Der Hauptteil behandelt nacheinander die »vierzig Gleichnisse« Jesu, wobei auch der Spruch vom Weizenkorn Joh 12,24 und das Attentätergleichnis in ThEv 98 für den historischen Jesus in An­spruch genommen werden. Nach einer Vorbemerkung folgen je­weils eine Übersetzung und eine Auslegung des Textes. Mit großer Selbstverständlichkeit werden in diesem Kommentar die klassischen literar- und formkritischen Instrumente eingesetzt, um jesuanisches Gut und dessen spätere Auslegung zu trennen. Dabei werden im Konsens der Gleichnisexegese spätere Zusätze als Ausdruck der notwendigen Aneignung und Fortschreibung gewürdigt. Für die als ursprünglich in Anspruch genommenen Texte scheut sich L. nicht vor hypothetischen Ergänzungen der ersten Stufe (61 zu Anfang und Ende von Lk 12,39), um die vermutete Pointe ausdrücklich zu beschreiben. Dennoch betont er regelmäßig die beabsichtigte Kürze der kleinen poetischen Gebilde, die schon ur­sprünglich auf das Nötigste reduziert waren und vielfach erst später kommentiert wurden.
In einem dritten zusammenfassenden Kapitel wird »Das Besondere der Gleichnisse Jesu« zusammengefasst, die in ihrem rekonstruierten Kern sehr weitgehend als authentisch gelten (267–272). Vielfältige Stoffe charakterisieren sie ebenso wie die überlegen genutzten Formen, für die sich die Kenntnis der Fabeln Äsops jedenfalls nicht ausschließen lasse (262 f.). Als Thema aller Gleichnisse »ohne Ausnahme« (272) gilt L. die Gottesherrschaft, wobei er regelmäßig deren Gegenwart nach Lk 11,20 zur Pointe erklärt (283 f.). Zugleich wird damit auch als »Thema im Thema« eine dem ur­sprünglichen Text implizite Christologie postuliert (285 ff.), was in manchen Fällen wie dem Urteilsspruch in Lk 18,14a einleuchtet, aber in solcher Häufung eher die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer solchen ständigen Selbstproklamation Jesu in der Gleichnisverkündigung aufwirft (64 zu Mk 3,27; 72 zu Mt 13,44–46; 74 zu Mt 13,28 f.). In Mk 12,1–12 spricht Jesus von sich selbst als »Sohn«, »an dem sich jetzt der Weg Israels […] entschied« (252). Anmerkungen, ein Register der Bibelstellen und eine Tabelle der Gleichnisse innerhalb der katholischen Sonntagslesungen schließen den Band ab.
An einigen Stellen hätte man sich deutlichere Auswirkungen der eigenen Erkenntnisse auf die Übersetzung gewünscht (87 f. zu Mk 4,8), an anderen mehr Genauigkeit bei pointierten Urteilen (z. B. auf S. 304, in Anm. 65 zum Taumellolch von Mt 13,24 ff. gegen Luz zur Stelle), an weiteren eine klarere Trennung zwischen historisch-kri-tischer Darlegung und ihrer dogmatischen bzw. homiletischen Anwendung. Nach der einleuchtenden Klärung der Bildebene in Mt 25,14–30, die mit Tim Schramm als Schelmenstück verstanden wird, könnte daraus mehr abgeleitet werden als eine Kritik an »Feiglingen, […] die sich ständig absichern wollen« (216). In diesem Gleichnis geht es wohl weniger um den Kleinmut verzagter Jünger als vielmehr um die regelbrechende Radikalität der Nachfolge, die allerdings dann für ThEv 98 konstatiert wird (225). Ähnlich wünschte man sich für d ie außergewöhnliche Bildebene von der armen Frau mit ihren Freundinnen in Lk 15,8–10 als Metapher für den Herrscher des himmlischen Hofstaats eine explizitere Deutung.
Insgesamt nimmt L. manche Linien der Gleichnisauslegung seit Jüngel auf und zieht sie christologisch sehr weit aus, verzichtet aber zu häufig auf die Suche nach unterschiedlichen Adressaten und ihrer womöglich nicht immer gleichen Situation. So ergibt sich für L. eine ziemlich einheitliche Pointe aller Gleichnisse: die Aufforderung zu einer Entscheidung für die Gottesherrschaft, die sich in Jesus manifestiert.