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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1205-1207

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klauck, Hans-Josef

Titel/Untertitel:

Studien zum Korpus der johanneischen Schriften. Evangelium, Briefe, Apokalypse, Akten.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. IX, 485 S. = Wissenschaftliche Untersu-chungen zum Neuen Testament, 439. Lw. EUR 159,00. ISBN 9783161595165.

Rezensent:

Nadine Ueberschaer

Dieser Band stellt eine Sammlung von Aufsätzen des katholischen Neutestamentlers Hans-Josef Klauck dar, in deren Zentrum die Auseinandersetzung mit dem vierten Evangelium und den Johannesbriefen sowie der Apokalypse des Johannes und den Johannesakten steht. In einem Schlussteil finden sich unter der Überschrift »Varia« einzelne Beiträge, die über die genannten Schriften hinausgehen. Während der erste Beitrag des Bandes »Von Kana nach Kana (Joh 2–4): Die erste Missionsreise Jesu« eine Erstveröffentlichung darstellt, handelt es sich bei den übrigen Abhandlungen um zurückliegende Werke aus dem Œuvre des Autors. Diese wurden zum Teil um Anmerkungen ergänzt, die als solche graphisch sichtbar gemacht wurden. Bis auf zwei englische Beiträge sind alle Artikel auf Deutsch abgefasst. Im Folgenden werden einzelne Abhandlungen aus den verschiedenen Schriftengruppen ausführlicher dargestellt und diskutiert.
Zu Beginn sei auf den bereits erwähnten Artikel »Von Kana nach Kana (Joh 2–4): Die erste Missionsreise Jesu« verwiesen, der 66 Seiten umfasst. K. intendiert nachzuzeichnen, dass Joh 2–4 als erste Missionsreise Jesu gestaltet sei, die der vierte Evangelist als Hochzeitsreise mit dem Ziel, eine Familie zu gründen, inszeniert habe. Hierfür legt er zunächst Rechenschaft über seine methodische Herangehensweise ab, die er selbst als narrative Exegese bezeichnet (7). Besonderes Augenmerk legt er dabei unter Hinweis auf die Funk-tion von Analepsen und Prolepsen auf die Intratextualität sowie auf Metaphern, die er im Laufe seiner Textanalysen als »Cluster« herausarbeitet, durch die »ein komplexes intertextuelles Verweis-system« (16) etabliert wird. Hinzu treten kulturelles Wissen und weitere außertextliche Referenzen. Zu ihnen rechnet K. den Autor, der ihm »noch nicht ganz tot zu sein« (6) scheint, sowie die Adressaten und ihre Situation. Dieses »Ensemble von Autor, Text und Leser« (6) versteht K. nach Ricœur als »intentionale Textur« (7), die die Koordinaten der Auslegung vorgeben. Im Bewusstsein der Ge­f ahren und der möglichen Kritik, die eine allegorische Exegese birgt bzw. der sie sich ausliefert und die K. selbst thematisiert, gelingt es ihm im Folgenden, ein argumentativ überzeugendes Beispiel zu liefern. Das dürfte auch daran liegen, dass K. seine inter- und intratextuellen Beobachtungen, die er für eine symbolische Deutung fruchtbar macht, argumentativ bspw. durch Hinweise auf den Dionysosmythos und archäologische Funde untermauert und dabei zugleich seinen kritisch abwägenden Umgang in der Auswertung ebendieser Quellen(funde) zu erkennen gibt. Vor diesem Hintergrund legt er ausgehend von Joh 4,35–38 den Textabschnitt Joh 2–4 als Missionsreise Jesu aus, die bestimmt ist durch die Vermählung Jesu mit der sich konstituierenden Gemeinde, die zu einer Familie wird. Einzig der Abschnitt zur Bedeutung von »Rundreisen« fällt gegenüber dem Vorhergehenden ein wenig ab. Hier wäre eine stärkere Ausarbeitung der christologischen »Reise«-Bewegungen Jesu im Joh, die K. nur kurz erwähnt, sicher gewinnbringend für eine Auslegung des vierten Evangeliums gewesen.
Im Beitrag »Bekenntnis zu Jesus und Zeugnis Gottes. Die chris-tologische Linienführung im ersten Johannesbrief« geht K. »dem Zusammenhang von Bezeugen, Bekennen und Glauben im Rahmen der Christologie« (159) des 1Joh exemplarisch an 1Joh 4,1–3 als Beispiel für die Verbindung von Bekennen und Glauben sowie 1Joh 5,9–12 für die Zusammengehörigkeit von Bezeugen und Glauben nach. In Ersterem erkennt er eine durch die konkrete Situation ausgelöste Reflexion über das Bekenntnis, das dadurch eine aktualisierende Ausweitung erfahren habe und die Glaubenden auf einen Bezugspunkt außerhalb ihrer selbst verweise. Zwar kann K. darin zugestimmt werden, dass die historische Situation, die zur Reflexion geführt habe, nicht den bleibenden Wert und die mögliche Gültigkeit der Bekenntnisaussagen im 1Joh zu bestimmen braucht. Dennoch wäre ein aus den Briefen sowie aus dem Evangelium erhobenes Profil der Gegner, das zur Ausbildung der im 1Joh greifbaren theologischen Positionen geführt hat, für ein umfassenderes Verständnis wünschenswert gewesen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der interessanten Ausführungen zu Textkritik und Rezeptionsgeschichte von 1Joh 4,3a. Andererseits ist hervorzuheben, dass es K. in diesem Artikel in beeindruckender Weise gelingt, das Potential für eine gegenwärtige Bedeutung von Evangelium und 1Joh darzulegen, indem er den zeitlichen Abstand dieser Schriften zu den in ihnen behandelten In­halten des Zeugnisses und Bekenntnisses konsequent in die Auslegung einbezieht.
Unter der Rubrik »Varia« findet sich der Aufsatz »Ein Wort, das in die ganze Welt erschallt. Traditions- und Identitätsbildung durch Evangelien«. Knapp und präzise zeichnet K. hier die Begriffsgeschichte des Nomens »Evangelium« sowie des dazugehörigen Verbes in der Entwicklung vom mündlichen Kerygma hin zur Bildung einer Gattung nach. Letztere ordnet er primär der Biographie zu und bezeichnet sie in Relation zur Historiographie als »personenbezogene Spielart des historiographischen Berichtens« (413). Dabei handelt es sich K. zufolge um »halb-fiktionale Texte« (410), sofern die in ihnen verarbeiteten Traditionen auf ihre Historizität hin befragt werden könnten. Als Gründe, die Markus als ältester Zeuge der Gattung Evangelium zur Abfassung seines Werkes veranlasst haben könnten, nennt K. vier Punkte: Das vorpaulinische formelhafte Kerygma, wie es in 1Kor 15,1–5 begegnet, bietet mit der Nennung von Tod, Begräbnis, Auferstehung und Erscheinungen Elemente, die sich zu einer narrativen Ausgestaltung anboten. Zudem wurde durch den Tod der ersten Tradenten eine Überführung in das »kulturelle Gedächtnis« (414) notwendig, um die Erinnerung zu gewährleisten. Die Krisenerfahrungen der Jahre 68–70 mit ihren politischen Unruhen lassen es plausibel erscheinen, die Gattung Evangelium als »Gegenentwurf […] zur Propagandatätigkeit des neuen, flavischen Kaiserhauses« (414) zu verstehen. Und schließlich weist K. darauf hin, dass die Evangeliumsschreibung der Identitätsbildung der frühen Christen gedient habe. Um erklären zu können, wie es »zum viergestaltigen Evangelium« (415) ge­kommen sei, referiert K. verschiedene Thesen, um letztlich unter Rekurs auf Irenäus von Lyon dafür zu plädieren, dass »die Vierevangeliensammlung um 200 bereits eine Sonderstellung und eine Autorität innehat, die auf ihre Kanonisierung hin zuläuft« (417). Dabei versäumt er es jedoch nicht, auf die bleibende Bedeutung mündlicher Traditionen hinzuweisen, von denen er annimmt, dass sie in sogenannten apokryphen Evangelien Einzug gefunden haben könnten. Das Phänomen apokrypher Evangelien reflektiert K. in einem gesonderten Punkt und macht dabei auf die Herausforderungen aufmerksam, die sich in der Beschäftigung mit den »geheimen« Überlieferungen stellen, in denen es insbesondere zur Ausgestaltung von Kindheits- und Ostererzählungen kommt. Zu diesen Herausforderungen gehören ihr fragmentarischer Charakter, die zum Teil erst sekundäre Bezeichnung als Evangelium, ihre Überlieferung in Kirchenväterzitaten sowie die disparate literarische Erscheinungsform, der die für die kanonischen Evangelien als konstitutiv erarbeiteten Gattungsmerkmale fehlen. Schließlich gibt K. zu bedenken, dass es de facto unmöglich ist, einen terminus ad quem für deren Entstehung festzulegen. Die Bedeutung apokry-pher Evangelien erkennt K. vor allem darin, dass sie einen Einblick in die historische Situation des 2. und 3. Jh.s gewähren. Zu­sammen mit den kanonisch gewordenen Evangelien weisen sie auf die Phänomene »legitime Pluralität und lebendige Vielfalt« (424) hin.
In die Welt der Apokryphen nimmt K. seine Leserinnen und Leser auch in dem Beitrag »Unterhaltsam und hintergründig. Wundertaten des Apostels in den Johannesakten« mit, in dem er wie in dem zuvor referierten Artikel seinen Leserinnen und Lesern einen detailreichen, informativen und stets klar gegliederten Überblick und Einblick in das jeweils behandelte Thema bietet. Insbesondere die wohldurchdachten, abwägenden Schlussfolgerungen, die K. jeweils zum Schluss eines Beitrags auf dem Hintergrund des Referierten zieht, vermögen zu überzeugen. Beeindruckend ist dabei die thematische und methodische Weite, die sich in der Aufsatzsammlung findet, und damit eine Vielfalt an Zugängen präsentiert, die es ermöglichen, neutestamentliche Exegese in einem umfassenden, den Schriften angemessenen Sinne zu betreiben.