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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1189-1191

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lo Sardo, Domenico

Titel/Untertitel:

Post-Priestly Additions and Rewritings in Exodus 35–40. An Analysis of MT, LXX, and Vetus Latina.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XXI, 307 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 119. Kart. EUR 84,00. ISBN 9783161595868.

Rezensent:

Peter Juhás

Das Buch ist eine unter der Leitung von Stephen Pisano verfasste und am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom eingereichte Dissertation (second reader: Federico Giuntoli), die wohl zu den letzten gehört, die Stephen Pisano († 7.10.2019) betreute.
Die von Domenico Lo Sardo behandelten Abschnitte (Ex 35–40), in denen die Anfertigung der Stiftshütte samt ihrer Ausstattung geschildert wird, sind äußerst kompliziert und voll von technischen Vokabeln, deren Bedeutung in manchen Fällen unsicher bleibt. Im ersten Kapitel (1–10) skizziert der Vf. das Problem und stellt seine Arbeitshypothese sowie seine Methodologie dar. Der frappante Unterschied zwischen der hebräischen MT-Fassung der zweiten Stiftshüttenperikope (Ex 35–40) und ihrer griechischen LXX-Parallele, der sowohl quantitativer als auch qualitativer Natur ist, bietet für eine wissenschaftliche Beschäftigung genügend Material. Die LXX-Fassung ist nämlich kürzer und die Abschnitte darin sind teilweise anders angeordnet.
In diesem Zusammenhang weist der Vf. auf andere vergleichbare Fälle im Alten Testament hin. Unter anderem nennt er zu Recht das Jeremiabuch (4 und 29). Allerdings vermisst man in dieser Hinsicht unter den bibliographischen Hinweisen die methodologisch einschlägigen Arbeiten von Hermann-Josef Stipp (vgl. etwa seine Textkritische Synopse zum Jeremiabuch und Studien zum Jeremiabuch [FAT 96; Tübingen 2015]). Was die Methode angeht, stellt die Dissertation des Vf.s einen der Fälle dar, die einen hoffentlich andauernden Trend in der Bibelwissenschaft zeigen. Etliche Exegeten nehmen nämlich wahr, dass im Rahmen einer exegetischen Arbeit eine scharfe Trennung zwischen der Text- und Literarkritik nicht möglich ist, sondern dass sich die beiden genannten Zugänge in einer beträchtlichen Zahl von Fällen klar überlappen. Die Arbeitshypothese des Vf.s lautet dann: Ad 1) Die hebräische Vorlage der LXX stellt gegenüber MT eine ältere Textstufe von Ex 35–40 dar. Ad 2) In persischer und hellenistischer Zeit ist mit einem »post-priestly work of reinterpretation and rewriting« zu rechnen (Näheres s. u.).
Im Kapitel 2 (11–25) bietet der Vf. einen forschungsgeschichtlichen Überblick, in dem er auf mehrere Problempunkte der früheren Arbeiten hinweist. Kritisch wird besonders die Forschungsrichtung gesehen, die mit D. W. Gooding Ende der fünfziger Jahre eingeschlagen wurde (17–18). Dieser war nämlich überzeugt, dass MT die Vorlage der LXX gewesen sei und die vorhandenen Unterschiede zwischen den beiden Fassungen auf die Freiheiten des griechischen Übersetzers zu buchen seien. Außerdem rechnete Gooding noch mit einem späteren Editor, der für weitere Änderungen in LXX verantwortlich sei. In einem forschungsgeschichtlichen Überblick (oder in Kapitel 3) wäre eine Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Joachim Schaper in Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare, oder zumindest dessen Erwähnung, angebracht gewesen.
Das umfangreiche dritte Kapitel (27–120) enthält detaillierte textkritische Untersuchungen der problematischen Passagen in Ex 35–40. Dabei wird besondere Aufmerksamkeit einem Textzeugen der Vetus Latina gewidmet, die als eine der sogenannten Tochterübersetzungen der LXX in den Fokus der neueren textkritischen Forschung rückt, nämlich dem Codex Monacensis (VL 104). Dieser Palimpsest bietet an manchen Stellen einen gegenüber der LXX differierenden Text, so dass er (sehr wahrscheinlich) eine ältere Stufe des griechischen Textes repräsentiere. Nach einer sorgfältigen Untersuchung kommt der Vf. zum Schluss, dass der MT eine elaborierte und jüngere Stufe des Textwachstums darstellt. Nimmt man etwa den Abschnitt Ex 36,8b–34MT, der in der LXX fast komplett fehlt (vgl. Ex 37,1–2LXX), als Beispiel, stellt der Vf. fest (119): »It is hard to believe that a translator wanted to cut twenty-six verses without any valid reason from an editorial and theological point of view, above all, in a context where and in a period when the tendency was exactly the opposite, to preserve, safeguard, and expand.« Allerdings sei in den spezifischen Fällen wie dem von Ex 38,18–20LXX (in MT nicht vorhanden) zu beobachten: »[…] that the author(s) were very skilled in their expansionist activity in order to conceal uncom-fortable and apparently superfluous elements […].« Bei aller sorgfältigen Arbeit ist vielleicht kritisch anzumerken, dass man den Vergleich der zitierten hebräischen, griechischen und lateinischen Verse optisch besser hätte gestalten sollen. Dies hätte jedenfalls das Nachvollziehen komplexer Argumentationen erleichtert.
Im weiteren umfangreichen Kapitel (121–200) widmet sich der Vf. den Texten aus diachroner Sicht. Dabei spielt seine Analyse der unterschiedlichen Terminologie (ןכָּשִִׁמִ vs. דעֵוֹמ להֶאׂ) und die traditions- sowie redaktionsgeschichtliche Verortung von Ex 33,7–11* eine besonders wichtige Rolle. Auch in diesem Rahmen setzt sich der Vf. mit der früheren Forschung auseinander. Beifall verdient seine Entscheidung, sich dabei hauptsächlich auf die diachron arbeitenden Autoren zu konzentrieren (168): »We have not given more space to synchronic proposals because of our opinion that their arguments are weak and their solutions unfounded.« Der Vf. ist der Ansicht, dass die in Ex 33,7–11* enthaltene – ältere, jedoch exilische – Tradition ( דעֵוֹמ להֶאׂ), die eine bestimmte konzeptuel-le Nähe zum ugaritischen Material aufweise, von priesterlichen Autoren (P) aufgegriffen und beim Verfassen von Ex 25–31 und 35–40 gebraucht wurde. Der ursprüngliche Kontext von Ex 33,7–11* sei die Theophanie in Ex 19 gewesen. Die andere in den untersuchten Texten greifbare Tradition, die als jünger einzustufen und mit post-P zu verbinden sei, ist die des ןכָּשִִׁמִ. Die Tätigkeit der post-P-Autoren habe sich über die ganze nachexilische Zeit erstreckt (zur theologiegeschichtlichen Einordnung s. u.). Bei der Darstellung des ugaritischen Vergleichsmaterials ist in linguistischer Hinsicht anzumerken, dass manches nicht vollständig korrekt wiedergegeben wird (etwa 142: tk gr ll‘m pḥr m‘d). Da das Ugaritische zwischen dem stimmlosen pharyngalen Frikativ /ḥ/ und dem stimmlosen velaren Frikativ /ḫ/ unterschied, lautet die richtige Form pḫr. Das Akkadische kennt nur den velaren Frikativ /ḫ/, der in den zitierten akkadischen Wörtern hätte geschrieben werden müssen. Die Verbindung »in the middle of the mountain« (142.145) heißt ugaritisch zudem tk ġr; die Bedeutung von gr ist hingegen »protected; guest, foreigner« (DUL s. v.).
Das fünfte Kapitel (201–230) beschäftigt sich hauptsächlich mit den theologischen Fragen, die im Hintergrund des Textwachstums standen. Ist für דעֵוֹמ להֶאׂ eine Vorstellung von der Transzendenz Gottes zentral (ein sporadisches Erscheinen Gottes, der nicht fest in einem Heiligtum residiert), betonen die ןכָּשִִׁמִ-Passagen hingegen seine Immanenz. Die exilischen P-Autoren, die sich ihre eigene geschichtliche Erfahrung zu bewältigen bemühten, seien an der Vorstellung der Transzendenz Gottes interessiert gewesen (PG). In persischer Zeit, im Zuge der Restauration, deren integraler Be­standteil der Tempel war, habe sich die Lage geändert. Dementsprechend habe sich das theologische Interesse auf die Immanenz Gottes, auf seine Präsenz im Tempel, konzentriert, das in den ןכָּשִִׁמִ-Passagen zum Ausdruck komme. Dass die post-P-Autoren verschiedene Situationen persischer und hellenistisch-hasmonäischer Zeit reflektierten, lasse sich in mehreren Texten erkennen, wie etwa der untersuchten MT-Erweiterung (Ex 36,8b–34), die die partikularistischen und identitätsschützenden Tendenzen zeigt (vgl. דחָאֶ ןכָּשִִׁמִהַ in 26,6/36,13).
Nach einem kurzen Kapitel 6 mit Conclusions (231–235) schließen mehrere nützliche Appendizes, ein Literaturverzeichnis und drei Register das Buch ab. Auch wenn Stimmen mit anderen An­sichten künftig sicherlich nicht fehlen werden, bietet das Buch eine anspruchsvolle, für die weitere Forschung wegweisende Lektüre.