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Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1065–1067

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Dingel, Irene, Leppin, Volker, u. Kathrin Paasch [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Zwischen theologischem Dissens und politischer Duldung. Religionsgespräche der Frühen Neuzeit.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 323 S. m. 3 Abb. = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 121. Geb. EUR 75,00. ISBN 9783525570876.

Rezensent:

Luise Schorn-Schütte

Religionsgespräche sind keine Schöpfung im Angesicht konfessioneller Gegensätze des ausgehenden 16. Jh.s, sie konnten vielmehr an mittelalterliche Formen des akademischen Austauschs anknüpfen. Diese formale Tradition bot dem Bedürfnis nach Kommunikation angesichts immer bedrohlicher werdender Verquickung von politischen und konfessionellen Konflikten seit dem 16. Jh. eine vermittelnde Ordnung für die Struktur des Austauschs. Bis ins ausgehende 18. Jh. lässt sich unter dieser formalen Einheit eine Fülle von Gesprächen (als Disputation und/oder Religionsgespräch) identifizieren, die sich in der Definition der Herausgeber des vorliegenden Bandes als »weltliche[s] religions- und konfessionspolitische[s] Steuerungsinstrument« (9) zum Ausgleich der Differenzen erwiesen haben. Angesichts der damit verbundenen inhaltlichen Konflikte und deren vielfältigen politischen Rahmenbedingungen ist der Versuch einer vergleichenden Systematisierung anspruchsvoll. Den Grund dazu legte die wissenschaftliche Tagung im Juli 2015, die in der FB Gotha stattfand.
Der Band gliedert sich in drei große Teile: I. Religionsgespräche im politischen Spannungsfeld, II. Religionsgespräche als Mittel theologischer Klärung, III. Wirkungen. Die Beiträge beziehen sich zum Teil aufeinander und knüpfen hin und wieder auch aneinander an, eine inhaltliche Verzahnung der Vielfalt, die sich über 300 Jahre von den ursprünglichen Ansätzen ausgehend differenzierte, konnte nur selten gelingen. Dass es sich bei dem Phänomen um ein europäisches handelte, wird in der regionalen Streuung der Beiträge (u. a. vom Alten Reich über Frankreich, die polnische res publica bis nach Siebenbürgen) ebenso sichtbar wie in der konfessionellen Vielfalt (lutherische stehen neben griechisch-orthodoxen, reformierte neben antitrinitarischen und katholischen Konfessionsangehörigen) und der chronologischen Abschichtung vom 16. Jh. über die Irenik des 17. bis zur aufklärerischen Debatte des 18. Jh.s. Eine Systematisierung der Elemente dieser »interreligiösen Gespräche« (10), deren Kontexte, deren Träger, deren Ziele, deren Wirkungen ist in den einzelnen Beiträgen angelegt, in der Zu-sammenschau einer Rezension wird sie erkennbarer als im Band selbst.
In der Forschung der letzten Jahre hat sich eine Typologie etabliert, die den meisten Beiträgen zugrunde gelegt wurde. Städtische Religions- bzw. Ratsreligionsgespräche werden von 2. fürstlichen oder territorial ausgerichteten bzw. begrenzten Religionsgesprächen und 3. den Religionsgesprächen auf Reichsebene (Reichsreligionsgespräche) unterschieden, was sich mit spezifischen Abweichungen u. a. für Polen-Litauen (K. Daugirdas, Religionsgespräche und Disputationen, 201–215) und Frankreich (Y. Krumenacker, Religionsgespräche in Frankreich, 27–41) bestätigen lässt. Dieser Form stand – so bereits H. Jedin 1958 (zitiert bei M. Thomson, Auf der Suche nach Konsens, 61–76) – die Disputation gegenüber. Erstere Form war auf das Ziel einer bekenntnismäßigen Einheit ausgerichtet, letztere für den »kontrastierenden Zusammenprall« (202) gegensätzlicher theologischer Ansichten vorgesehen. Mit ihrem Hinweis, dass die evangelisch-russisch-orthodoxen Religionsgespräche des 16. Jh.s (43–60) sich dieser Typologie teilweise entzogen, hat Gisa Bauer den Blick für regionale Variationen geschärft.
Folgerichtig waren einerseits die Gruppen, die die Gespräche führten, unterschiedlich zusammengesetzt. Während sich weltliche Amtsträger wie Kanzler, Ratsherren, Landesherren, juristische Berater, in Polen hochadlige Amtsträger, in Russland der Zar, in Frankreich hochadlige Laien, in Siebenbürgen hochadlige Ständevertreter, gelehrte Universitätsrektoren (siehe U. Wien, Abschied von der Trinitätstheologie, 77–110) und Universitätstheologen so­wie Hofprediger (u. a. Brenz, L. Osiander, M. Dillinger) in den Religionsgesprächen zusammenfanden, wurden die Disputationen sehr bald nur noch unter den Theologen geführt. Für die er­wähnte Kommunikation in Russland war dies der Patriarch von Konstantinopel; für innerlutherische Disputationen des ausgehenden 16. Jh.s gehörten dazu Universitätstheologen wie F. Illyricus und V. Strigel bzw. J. Stössel und N. Selnecker. In allen Konfessionen bildete sich rasch eine soziale/amtsbezogene Hierarchie heraus, so dass Laien, die zumindest in Frankreich im 16. Jh. an den Gesprächen als Zuhörer teilnehmen konnten, bald ausgeschlossen waren (28 f.). Initiatoren für die Aufnahme von Religionsgesprächen waren wiederholt weltliche Obrigkeiten, die die Theologen in ihre politischen Ziele einbezogen. Besonders anschaulich skizziert dies V. Leppin anhand des Religionsgesprächs zwischen württembergischen und pfälzischen Theologen am Ende des 16. Jh.s (161–182). Der theologische Deutungskampf verzahnte sich hier mit den politischen In­teressen. In einer Welt, in der eine dritte Position neben Wahrheit und Unwahrheit undenkbar war, wurden Andersdenkende von Anfang an ausgeschlossen (178.182).
Das gilt sehr ähnlich auch für die französischen Religionsgespräche des 16./17. Jh.s, die im Konfessionskampf die eigene religiöse Legitimität untermauern sollten. Dass dies nicht zur Versöhnung der Konfessionen führen konnte, war insbesondere den beteiligten Theologen klar, die Religionsgespräche wurden vielfach als nutzlos charakterisiert. Einige wenige irenische Vorstöße versandeten, letztlich blieb es u. a. für die französischen Varianten das Ziel, die Protestanten zwangsweise in die katholische Kirche zu­rückzuführen. Entsprechende politische Absichten lassen sich für die Religionsgespräche zwischen Täufern und reformierten Theologen/Amtsträgern konstatieren (A. von Schlachta, Zwischen Konversionsdruck und Bekenntniseifer, 183–199).
Lässt sich die zeitgenössische Skepsis gegenüber dem Sinn der Religionsgespräche aus der Sicht der Historiker relativieren? Das zeige sich, so die These von K. G. Appold darin, dass sich das Konzept frühneuzeitlicher Religionsgespräche in Methodik und Diskurs weiter entwickelt habe (231–238). Denn trotz der in der Forschung betonten Trennung zwischen Religionsgespräch und Disputation blieben beide Formen der Kommunikation eng verwandt. Deshalb ist zu beobachten, dass die Religionsgespräche zunehmend stärker von der akademischen Disputationskultur geprägt wurden, und zwar nicht nur von derjenigen im Luthertum, sondern auch durch diejenige, die auf katholischer Seite durch die Jesuiten geprägt wurde (233). Ein zwischen den Konfessionen typischer Streit um die Methode solcher Gespräche erwies sich als zentral: Welche Rolle soll die Heilige Schrift in der Disputation spielen? Diese Frage wurde im 17. Jh. nicht entschieden, die protestantische Position, dass sich mit Hilfe der Offenlegung von Wahrheit aus der Schrift konsensuale Erkenntnis ermöglichen lasse, war nicht konsensfähig. Zumindest aber ist es gelungen, durch die Form des Religionsgesprächs (etwa 1601 Regensburg oder Thorn 1645) religiöse Gemeinschaft und damit Sinn zu stiften (237). Für die Weiterentwicklung auf diesem Weg sind die Beiträge zur protestantischen Irenik (Schunka und Hund) sowie im Rahmen der Aufklärung (Spehr) aufschlussreich.
Die Kulturen des Religionsgesprächs und der konfessionellen Disputation waren zweifellos für die Entwicklung frühneuzeitlicher Kommunikation jenseits von politischer Instrumentalisierung bedeutsam. Der hier vorgelegte Band belegt zahlreiche kluge Ansätze dafür, eine weiterführende Systematisierung aber bleibt als Aufgabe offen.