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Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1035–1037

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Reed, Annette Yoshiko

Titel/Untertitel:

Demons, Angels, and Writing in Ancient Judaism.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2020. 362 S. m. 3 Tab. Geb. £ 90,00. ISBN 9780521119436.

Rezensent:

Claudia D. Bergmann

Im Alten Orient, in der Antike und auch im frühen Judentum sind Welt, Kosmos und alle Bereiche dazwischen reich bevölkert. Während man in der Hebräischen Bibel nur selten von solchen unsichtbaren guten oder bösen Kräften und Wesen hört, die weder Gott noch Mensch sind, eigenständig handeln, eine gewisse Macht und ganz sicher einen Willen haben, ändert sich das in der jüdischen Literatur, die etwa im 3. Jh. v. Chr. entstanden ist. Annette Yoshiko Reeds Monographie verfolgt diese Entwicklung und versucht, ihren Anfang zu rekonstruieren, sei sie doch »one of the most striking intellectual shifts during these politically turbulent and culturally creative centuries« (6). R. sieht in den gelehrten Schreibstuben und der Bildungspraxis des vom Hellenismus beeinflussten frühen Judentums den Ort, in dem das Nachdenken über Dämonen- und Engelwesen schriftlich niedergelegt, systematisiert und kreativ ausgeweitet wurde.
In der Einführung, »Introduction«, gibt R. einen Überblick zur Forschungsgeschichte. Sie diskutiert den Bedeutungswandel und die Validität von Begriffen wie »pseudepigrapha«, »authorship« »intertestamental«, oder »post-biblical«. Außerdem begründet sie die Wahl der von ihr genutzten Quellen, nämlich die aramäische jüdische Literatur aus frühen hellenistischen Zeiten: die aramäische Texte und Fragmente, die später in das Astronomische Buch (1Hen 72–82) und das Buch der Wächter (1Hen 1–36) einflossen; weitere aramäische Texte aus dem Korpus der Qumranliteratur; die aramäische Levi-Überlieferung; das Buch der Visionen Amrams. In diesen Texten werde das Wissen von guten und bösen Mächten außerhalb von Gott zum ersten Mal aufgeschrieben, erklärt R. Die W esen werden benannt, klassifiziert, lokalisiert, in Hierarchien eingeteilt. Ihre Ursprünge, Funktionen und Entwicklungswege werden diskutiert und aufgezeigt.
Im ersten Kapitel, »Multiplicity, Monotheism, and Memory in Ancient Israel«, setzt sich R. mit der Frage auseinander, wie man mit Engeln und Dämonen umging, wenn man sich dem Monotheismus verpflichtet sah, und betrachtet dabei vor allem die hebräische Bibel, die in dieser Frage so ganz anders verfährt als die Literatur, die im Alten Orient kursierte. Unterscheiden müsse man, unterstreicht R., zwischen dem, was Jüdinnen und Juden im antiken Israel glaubten, und dem, was man über Kräfte und Wesen tatsächlich aufschrieb (37).
Das zweite Kapitel, »Rethinking Scribalism and Change in Second Temple Judaism«, untersucht, was sich in der Zeit der Herrschaft der Ptolemäer änderte und dazu führte, dass das Interesse an den Wesen der Welten zwischen Himmel und Erde an Fahrt aufnahm. Dabei wendet sich R. von möglichen theologischen Erklärungsversuchen ab. Dieses Interesse an Dämonen und Engeln entstand nicht aus dem Gefühl heraus, dass Gott fern(er) sei und man deshalb eine Art Mittlerfiguren brauche. Stattdessen vertritt R., dass das Schreiben über diese Wesen Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins sei, das hellenistisch geprägte jüdische Schreiber ge­wannen, als sie sich mit der kulturellen Revolution der Ptolemäerzeit auseinandersetzen mussten (114).
Im dritten Kapitel, »Writing Angels, Astronomy, and Aramaic in the Early Hellenistic Age«, beschäftigt sich R. dann mit dem Astronomischen Buch aus 1Henoch und den erhaltenen aramäischen Fragmenten desselben sowie dessen Vorstellungen von Engeln. Vergleichspunkte sind in ihrer Darstellung hier die astronomischen Texte aus Aratus, Berossus und Pseudo-Epolemus.
Das Wächterbuch aus 1Henoch und die erhaltenen aramäischen Fragmente dazu sind der Schwerpunkt des vierten Kapitels, »Tex-tualizing Demonology as Jewish Knowledge and Scribal Expertise«. Als älteste Apokalypse, die den Ursprung von Dämonen zu erklären versucht, sammelt und systematisiert das Wächterbuch ältere Vorstellungen von Dämonen, die sich in den Texten widerspiegeln, die heute zum sogenannten »magischen Textmaterial« aus Qumran gezählt werden.
Im fünften Kapitel, »Rewriting Angels, Demons, and the Ances-tral Archive of Jewish Knowledge«, zeigt R., wie das Nachdenken über Dämonen und Engel im antiken Judentum unter den Seleukiden und den Makkabäern noch einmal eine neue Richtung nimmt. Im Jubiläenbuch werden Dämonen nun mit Nicht-Juden assoziiert, die hebräische Sprache und der Toragehorsam werden wieder wichtiger, wie auch der Stolz auf die eigenen jüdischen Traditionen wieder lauter wird.
Eine Zusammenfassung, ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein übersichtlicher thematischer Index schließen das Buch ab.
Im wissenschaftlichen Denken werden Texte über unsichtbare Phänomene und Wesen oft in den Bereich der Magie oder der Esoterik gesteckt, jedenfalls gelten sie selten als Mainstream. R. ändert das mit ihrer Monographie. Sie schreibt: »The angels and demons of ancient Jewish literature often cross the lines of what modern thinkers often distinguish as ›natural‹ and ›supernatural‹, on the one hand, and ›religious,‹ ›scientific,‹ and ›magical,‹ on the other. And espcially at its inception, the practice of Jewish angelology and de­monology functioned as a knowledge-practice akin to – and closely connected with – cosmology and astronomy no less than theology.« (310) R. zeigt, dass das Nachdenken über solche Kräfte kein Schattendasein führte und nicht am Rand des Gesellschaft oder von nicht ernst zu nehmenden Esoterikern ausgeführt wurde, son-dern Teil des antiken religiösen Erlebens war. »Textualization of knowledge« (9) sei der Grund gewesen, warum man sich im frühen Judentum mit diesen Fragen beschäftigte, und letzten Endes war es auch der Grund, warum wir heute noch Zugang zu diesen Vorstellungen haben. Wissenschaftlich fundiert und gleichzeitig gut lesbar geschrieben schlägt Demons, Angels, and Writing in Ancient Judaism ein faszinierendes neues Kapitel für die Leserinnen und Leser auf, die sich für die Anfänge der jüdischen Vorstellungen von Dämonen und Engeln interessieren.
Zudem zeigt R.s Buch auch ein Desideratum in der Forschung auf. R. unterstreicht: »There is much to be done to understand these materials and to integrate them more fully into our understanding of ancient Jewish history and literature […]« (313). Aramäische jüdische Literatur, Schreibpraxis und Pädagogik sind Themen, die das Verständnis des antike Judentum in Auseinandersetzung mit dem Hellenismus weiter ausleuchten. In diesem Sinne erweitert R. das, was herkömmlich als Literatur des zweiten Tempels verstanden wird, um wichtige Quellen, nämlich die antike aramäische Literatur, vor allem aus Qumran. Ihre Monographie trägt dazu bei, gerade auch die ptolemäische Zeit, über die vergleichsweise wenig bekannt ist, in den Fokus der Forschung zu bringen. Das Augenmerk auf diese Texte und ihren Entstehungskontext zu richten und sie in Bezug auf ihr Verständnis von außerweltlichen Kräften und Mächten zu untersuchen, gelingt R. in herausragender Weise.