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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

987–989

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kling, David W.

Titel/Untertitel:

A History of Christian Conversion.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2020. 852 S. Geb. US$ 150,00. ISBN 9780195320923.

Rezensent:

Heinrich Balz

Dass der Autor eines wissenschaftliches Werkes zur vielfältigen Geschichte christlicher Konversion sich – außer dem Verweis auf W. James 1902, A. D. Nock 1933 und L. Rambo 1993 – von der Einleitung an als »Evangelical« vorstellt, ist ungewöhnlich und wird beim deutschsprachigen Leser Zurückhaltung, wo nicht Misstrauen bewirken. Doch solcher Reflex wäre irreführend und würde die Zurkenntnisnahme eines wichtigen, theologisch bedeutsamen Werkes zum Nachteil des Lesers verhindern. Das »Evangelikale«, das sich im Englischen nicht immer streng vom »Evangelischen« im deutschen Sinne unterscheidet, bewirkt im vorliegenden Fall einen tieferen Zugang zu Konversion, die mehr meint als das isolierte Ereignis einer Bekehrung. David W. Kling bringt einen Vorbegriff des zu erforschenden komplexen Gegenstandes ein, den er aber im Laufe der Untersuchung auch modifiziert. Sein Begriff von Konversion ist weit, aber nicht unbestimmt.
Für K. sind Autobiographien die wichtigste Textgattung, an welcher Konversion sich untersuchen lässt, angefangen mit dem 8. Buch der Confessiones Augustins, welches das Maß und die Befragungsliste für alle späteren Selbstberichte in Früh- und Spätmittelalter, in Reformation und Erweckungen in England und Amerika und in außeratlantischen Regionen abgibt. Bei Luther und Calvin stellt K. freilich das überwiegende Fehlen solcher Texte fest.
Synkretismus und Häresie sieht in der Alten Kirche er erst spät, ab der konstantinischen Zeit aufkommen; A. v. Harnacks andere Deutung der ersten drei Jahrhunderte wird nicht diskutiert (Kapitel 2–3). Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit sieht er die kollektiv-robusten Züge christlicher Ausbreitung am Werke, die modern individueller Bekehrung am fremdesten sind. Sie gehören aber dazu; was die äußerliche Annahme des Christentums für die vielen bedeutet, muss untersucht werden. Ihr steht im Spätmittelalter gegenüber die »innere« Konversion in Mönchtum, Bettelorden und Mystik (Kapitel 8).
Das frühe moderne Europa beginnt mit der Reformation und Gegenreformation, Ignatius von Loyola erhält als Bekehrter und Missionsbegründer größeren Raum, aber auch Teresa von Avila kommt mit ihren Selbstaussagen zur Sprache. An der Entwicklung des englischen Protestantismus im 16.und 17. Jh. interessiert K. besonders das Verhältnis zu und Verständnis der Konversion in der Puritanischen Bewegung, was W. Perkins und R. Baxter dazu schrieben. Das 18. Jh. erfüllt europaweit »The Rise of Evangelicalism«, Spener, Francke und Zinzendorf von der deutschen Seite, mit Uneinigkeit darüber, ob »Busskampf« notwendig der Bekehrung vorausgeht oder erst durch diese bewirkt wird (Kapitel 12). J. Wesley und der Methodismus werden kürzer behandelt.
Die europäische Geschichte christlicher Konversion ist damit abgeschlossen, nicht aber ihre weltweite Ausbreitung. Die Besonderheit, der Reiz des umfangreichen Buches liegt darin, dass es gewöhnlich unterschiedene Gebiete auf neue Weise miteinander verbindet. Der europäischen Geschichte folgt, nach einem Gelenk- und Übergangsteil über »die beiden Amerika« (Kapitel 13–15), der Ausblick auf die weitere Ausbreitungs- und Missionsgeschichte des Christentums, diese aber nicht enzyklopädisch vollständig, sondern in thematisch begründeter Auswahl: China und Indien in Asien: Was bringt das Entstehen christlicher Bewegungen in asiatischen Hochkulturen in christliche Konversion Neues hinein? Und schließlich Afrika: Was bringt die mehrheitliche Christianisierung eines kulturell einfacheren Kontinents im 20. Jh. zur Konversionsthematik und ihrer Zukunft hinzu? Im Vorwort bemerkt K. bescheiden, er habe in seinem Buch weder über »Theologie der Bekehrung« noch eine »Geschichte der Mission« geschrieben (XII): Der Leser wird es als glückliche Inkonsequenz empfinden, dass K. die Fragen beider Disziplinen sehr wohl im Sinn behält und auf seine eigene ungewöhnliche Weise angeht.
In der nordamerikanischen Entwicklung vom Puritanismus zur großen Erweckung im 18. und 19. Jh., seinem eigenen Hintergrund, behandelt K. eingehend Jonathan Edwards, vor allem dessen maßvoll ausgewogenen Treatise on Religious Affections 1746. Die zögerliche Stellung der Erweckten zur Sklaverei und den Schwarzen Kirchen kommt zur Sprache, ebenso die theologische Kritik und die soziale Abwandlung der Konversion etwa bei W. Rauschenbusch. Die Hauptlinie führt weiter in die Gegenwart mit B. Graham. Nicht alle bleiben im evangelikalen Lager: Zahlreiche wandern ab zum Katholizismus, zu den Anglikanern und den Orthodoxen.
Das südliche Amerika bildet den Übergang zur außeratlantischen Welt. Die katholische Kirche mit sich wandelnden Missionskonzepten hat ihre beherrschende Stellung verloren, der Protes-tantismus ist weithin pfingstlich, auch bei den Katholiken setzen sich die charismatischen Bewegungen durch. In den asiatischen Hochkulturen haben die christlichen Bewegungen und einzelnen Konversionen eine lange katholische und eine kürzere protestantische Geschichte. In China führte die zu liberale Methode der Jesuiten im Ritenstreit zum vatikanischen Rückzug; der teilweise christliche Impuls der Taiping-Revolte von Hong Xiuquan führte bei protestantischen Missionaren zu tiefgreifenden Diskussionen. Die radikale Absage Maos an das Christentum und die westliche Mission in der Kulturrevolution ließ westliche Beobachter an das Ende christlicher Kirche in China glauben; es kam anders, auch wenn die Christen an der Bevölkerung eine verschwindende Minderheit bleiben. In Indien war die ältere Bemühung um einzelne Konversionen in der höheren Kasten das ältere, in Teilen erfolgreiche Ziel, zu zahlenmäßig größeren christlichen Bewegungen und Massentaufen kam es und kommt es mehr in den unteren Kasten und Kastenlosen und den Adivasis, der vorarischen Urbevölkerung Indiens, mit allen den Fragen, was diese Konversionen antreibt, als wie authentisch sie angesehen werden dürfen. – Dass Mission wesentlich nur Kolonialismus sei, glaubt K. nicht und diskutiert es auch nicht eingehend.
In Afrika hat die Ausbreitung des Christentums erst durch die Missionare, dann durch die einheimischen Laien und Prediger, ihre weltweit größten Erfolge, sie werden verschieden erklärt, K. hält sich an die sozialanthropologische Theorie R. Hortons: Der allgemeine soziale Wandel im 19. und 20. Jh. nötigte die Afrikaner, sich vom begrenzt-beschränkten unteren Stockwerk der Religion hin zur höheren Ebene des universalen Gottes zu wenden, besonders, wo sie mit anderen Ethnien eng zusammen lebten (Kap. 22).
Darüber bleibt das Gespräch mit K. und Horton weiter zu führen. Die kleineren Stämme, die eng zusammen lebten, in Kamerun etwa, hatten schon in alter vorkolonialer Zeit die doppelte Erfahrung von Gott, der nah und zugleich fern und überlegen ist. Sie war ihnen nicht neu. Auch über Bekehrung/Konversion als möglichen Zugang zum Ganzen christlicher Ausbreitung, als einschneidendes Ereignis und als längeren Prozess – teleologisch, einem Ziel in Schritten entgegen – wäre zu reden. Die einen, überwiegend großkirchlichen Deuter sind so vom Prozess eingenommen, dass sie das einschneidende Ereignis nicht kennen. Die anderen sind als Beteiligte oder Beobachter vom Ereignis so fasziniert, beim Einzelnen wie bei der Gemeinschaft, dass sie es isolieren, die Vor- und Nachgeschichte kaum sehen wollen. Dies gilt auch für das Interesse westlicher Beobachter für pentekostale Aufbrüche in Lateinamerika, Asien und Afrika. Was plötzlich und weiträumig geschieht wie etwa beim Propheten W. Harris Wadé, fasziniert so, dass man zu wenig fragt, was im Lauf der Jahrzehnte daraus wird. Wie in Afrika aus prophetischen Bewegungen Pfingstkirchen, aber auch neue wirkungsmächtige Synkretismen werden, wie in jüngster Zeit aus der vordem noch von vielen gefeierten Kimbanguistenkirche im Kongo. Wie geht es weiter nach dem großen Einschnitt, was kommt danach? Biblisch gleichnishaft gewendet: Es gibt nicht nur den harten Boden und den anderen guten, auf welchem die Saat gute Frucht bringt. Es gibt auch die problematische Rezeptivität, den Boden, auf welchem die Saat schnell aufgeht, aber alsbald wieder abstirbt, weil sie keine lebenskräftigen Wurzeln hat.