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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

946–948

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Faber, Eva.Maria

Titel/Untertitel:

Finden, um zu suchen. Der philosophisch-theologische Weg von Erich Przywara.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2020. 599 S. Geb. EUR 74,00. ISBN 9783402246344.

Rezensent:

Michael Plathow

Eva-Maria Faber charakterisierte in ihrer Dissertation »Kirche zwischen Identität und Differenz. Die ekklesiologischen Entwürfe von Romano Guardini und Erich Przywara«, Würzburg 1993, unter systematischem Aspekt das Kirchenverständnis des Jesuiten Przywara als vorkonziliaren Aufbruch. In »Finden, um zu suchen« zeichnet die Vfn. werkgenetisch die Entwicklungen, Veränderungen und Umbrüche in den Veröffentlichungen Przywaras nach. Der Buchtitel greift Augustins Such- und Denkbewegung auf: »Quaeritur inveniendus et invenitur quaerendus. Ihn suchen, um Ihn zu finden, und Ihn finden, um Ihn weiterzusuchen« (7).
Bei der Unterschiedlichkeit der Bücher, Schriften, Artikel und Predigten Przywaras orientiert sich die Vfn. in der werkgenetischen Analyse an systematischen Themen. Das »dicke Buch« (571) gliedert sich in I. »Überblick« über die einzelnen Phasen der Veröffent-lichungen Przywaras; II. »Das religionsphilosophische Werk«; III. »Das theologische Werk« (mehr als die Hälfte des Bandes). Es folgen ein ganz kurzer »Epilog« (571 f.) und ein »Kommentiertes Literaturverzeichnis« mit redaktionellen Hinweisen, wie sie sich auch in den Ausführungen finden (Anm. 1667; S. 117.157 f.423 f.).
In den religionsphilosophischen Schriften, die im Inhaltsverzeichnis detailliert aufgeführt sind, werden folgende Themen werkgenetisch expliziert: die Schlüsselperspektive der analogia entis (89–145) mit der Betonung der immer größeren Unähnlichkeit. Hierin ist das von Przywara betonte geschöpfliche Eigenwirken (125.186) der thomanischen Lehre von den causae secundae und der potentia oboedientialis eingeordnet, wie sie vom Molinismus und Fr. Suarez (152.172) und vom Probabilismus (193) aufgenommen wurde. Auf M. Schelers und E. Troeltschs Impulse wird eingegangen sowie auf M. Heideggers und S. Kierkegaards (145–148).
In den theologischen Schriften werden folgende systematische Themen werkgenetisch expliziert: 1. die Lehre von Natur und Gnade, heilsgeschichtlich expliziert, im »Zeichen des Kreuzes« (247); 2. die menschliche Existenz in der Konkretheit von Erbsünde und Erlösung; 3. die menschliche Freiheit, durch die Selbsterniedrigung Gottes ermöglicht (271.281), als Antwort auf Gottes zuvorkommende Gnade; 4. der »lebendige persönliche Gott«, der in den Schrecken der Kriegs- und Nachkriegszeit seine »Abgründigkeit« (302) erfahren lässt. Allein das Kreuz Jesu Christi vermag Sinn zu entbergen; 5. die Christus- und Kirchenverständnis verbindende »kenotische Christologie« (320) der Deszendenz bis in die Gottverlassenheit, das »hochzeitliche« commercium (380) zur Erlösung und die adventliche anakephalaiosis (403); 6. die Kirche, ausweitende Wirklichkeit Jesu Christi, als hierarchisch gestaltete Rechtskirche, die als »Kirche der Sünder« (560) von der je größeren Gnade Gottes her gesehen wird (517).
In den religionsphilosophischen, biblischen und spiritualitätstheologischen Ausführungen ver weist die Vfn. auf die herausragende Bedeutung J. H. Newmans für Przywara (48.78.82.94.162. 170.176. 210); das gilt gerade für das Verständnis von Natur und Gnade (218.222.229.231.241) und von Kirche (418).
Kritik, ja, Umbruch zeigt sich in Przywaras Stellung zum Antimodernismus wie zum Pontifikat Pius’ X. (51), Veränderung im Verständnis der Ökumene (67). Hier erweist er sich als vorkonziliarer Reformer.
Hingewiesen sei auf die Entwicklung Przywaras in der Auseinandersetzung mit J. Wittig, der 1926 exkommuniziert wurde. Die Vfn. nimmt ihn in Przywaras Denkbewegung hinein (53.56). Vorbehalte hat er gegenüber Wittigs Subjektivismus (112), der sich im Streben nach urchristlichen Verhältnissen mit der Schwächung des Rechtscharakters der Kirche verbindet (127.420.432). Ablehnend äußert Przywara sich gegenüber der »Liturgischen Bewegung« wegen ihrer formalen Gesetzlichkeit (52.185.200.436) wie auch ge­genüber einem »Eschatologismus« der frühen »Dialektischen Theologie« (53.178).
Die Vfn. weist – das sei aus evangelischer Perspektive betont – auf die Entwicklung zu einer respektvollen, ja, freundschaftlichen Beziehung mit K. Barth hin (24.53.58 f.80.284.410.420.431. 441). Früh – so sei ergänzt – wandte sich Przywara gegen Barths Diastase von Gott und Welt, in: »Stimmen der Zeit« 105 (1923), 343–362; weiter in den Beiträgen »Wesen des Katholizismus«, in: StZ 108 (1925), 47–62; »Neue Religiosität«, in: StZ 109 (1925), 18–35; »Neue Theologie? Das Problem der protestantischen Theologie«, in: StZ 111 (1926), 348–360; »Neue Theologie«, in: StZ 111 (1926), 425–443. Im Februar 1929 kam es dann in Münster zur Einladung in Barths Seminar; Przywara hielt den Vortrag »Das katholische Kirchenprinzip« (in: »Zwischen den Zeiten« 7 (1929), 274–302) zur Analogia entis-Lehre; Barth antwortete mit »Der Begriff der Kirche« (in: Ders, Vorträge und kleinere Arbeiten 1925–1930, Zürich 1994, 140–159). In KD I 1, VIII be­zeichnete Barth sie als »Erfindung des Antichrist«. Doch seine Erwähnung in KD II, 1, 89, zu G. Söhngen, Analogia Fidei, in: Cath 1934, dass analogia entis der analogia fidei »untergeordnet« ist, gilt entsprechend auch für Przywara (59).
Außerdem weist die Vfn. Przywaras Annäherung an Luthers Theologie nach. Przywara beschäftigte sich in den 1930er Jahren mit Luthers »Von der Freiheit eines Christenmenschen« von 1520 und Luthers »Galaterkommentar« von 1535. Er wertete den Reformator als »Korrektiv«, der aber zum »Regulativ« wurde (64.258.442). Im Verständnis des »Gewissens« (197), der »theologia crucis« (273. 296.345), der Sünde des Menschen als »Selbstverkrümmung« (254. 564), des »fröhlichen Wechsels« und »Austauschs« (384.391), der Aufnahme von 1Sam 2,6 (520.569) und der »Kirche der Sünder« (562) zeigen sich Entsprechungen. Besonders die Predigten »Alter und Neuer Bund« signalisieren das veränderte Verhältnis zu Luther und zur Reformation (531). Überhaupt sind diese Predigten in ihrer von der Vfn. angezeigten (7) sprachlichen und existentiellen Aussagekraft heute mit geistlichem und theologischem Gewinn zu hören (513–531). Intensive Gespräche mit evangelischer Theologie führten mit zu Przywaras theologie- und kirchenreformerischen Vorschlägen und Forderungen.
Erwähnt seien aber auch die kritischen Anmerkungen und Dis­tanzierungen der Vfn. zu Przywara: zum »schillernden Verhältnis zur heilsgeschichtlichen Rolle Israels und zum zeitgenössischen Judentum« (33), zur »geradezu unerträglichen staatsphilosophischen Position, die jegliche Staatsautorität sakral fundiert« auch noch nach Ende des II. Weltkriegs (46.203), zur »kritiklosen« Absolutsetzung der Instanz des Lehramtes (456) und der »Schwächung« von kirchlichem Versagen, Missständen und Schuld (491).
Die werkgenetischen Studien in »Finden, um zu suchen« stellen eine differenzierte Würdigung des gesamten Œuvres des römisch-katholischen Reformtheologen Erich Przywara dar. Sie nehmen den interessierten Leser mit in eine Bewegung neuer Einblicke und spezieller Erkenntnisgewinne zum Werk des vorkonziliaren Reformers heute in nachvatikanischer Zeit. Der Leser begleitet den Such- und Denkweg Przywaras. Über konfessionelle Auseinandersetzungen und ökumenische Konvergenzen mit evangelischen Theologen hinaus werden wichtige Impulse für weiterhin notwendige Veränderungen der gegenwärtigen römisch-katholischen Kirche angezeigt.
Muße und Konzentration erwartet das Studium dieses Werkes. Ein lesenswertes Buch ist es – auch für evangelische Theologen.