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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

907–909

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jung, Dieter G.

Titel/Untertitel:

Jojada – ein literarisches und theologisches Universalwerkzeug. Exegetische Studien zur Textfigur des Priesters Jojada in 2 Kön 11–12 und 2 Chr 22,10–24,27.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2020. X, 364 S. = Forschung zur Bibel, 139. Kart. EUR 42,00. ISBN 9783429055363.

Rezensent:

Benedikt Collinet

Die Dissertationsschrift von Dieter G. Jung hat in ihrem Titel be­reits die Kernbotschaft der Untersuchung auf den Punkt gebracht. J. untersucht die Figur »Priester Jojada« in einem überwiegend synchronen Vergleich von 2Kön 11 f. und 2Chr 22–24 (7.169). Methodisch orientiert er sich weitgehend am Werkbuch seines Doktorvaters Thomas Hieke (Hieke/Schöning [2017]), bei der Arbeitsübersetzung und Gliederung wird auf das Repertoire der Richter-Schule zurückgegriffen. Die Arbeit ist nach ihrem Selbstverständnis vor allem auf die Textauslegung ausgerichtet, weshalb die Methodendiskussion und entsprechende Literatur knapp ausfallen, im dennoch umfassenden Literaturverzeichnis von 30 Seiten. Neben dies em gibt es ein Bibelregister, ein ausführliches Abkürzungsverzeichnis und eine Reihe sinnvoll gesetzter Exkurse, welche die Lesbarkeit der Arbeit und die Orientierung in ihr er­leichtern. Die Literatur ist international und interkonfessionell, sie ist durch die Nachträge zwischen Einreichung und Publikation hochaktuell und weist nur wenige Lücken auf.
Das Werk umfasst nach dem Vorwort eine Einleitung (1–12), die »Analyse des Textbestandes« (13–79), unter welcher Arbeitsübersetzung, Text- und Literarkritik sowie Quellenscheidung besprochen werden. Diese sind auf der Textebene sehr detailliert und genau durchgeführt worden. J. ist in den Text eingearbeitet, verzichtet aber auf eine Erläuterung seiner Gewichtung der kaige-Rezension (16) oder einen Verweis auf die entsprechende einschlägige Literatur (Kim Jong-Hoon; S.Kreuzer; N. Fernández-Marcos u. a.). Sein literarkritisches Plädoyer für die Einheitlichkeit beider Textstellen fällt scharf aus (10.36–39.59), wird aber nur knapp begründet. Die Anlage dieser Arbeit ist als endtextlich-kanonisch angekündigt und hätte daher diesen eigenständigen Methodenschritt gar nicht erfordert.
Das anschließende Kapitel »Analyse der individuellen Textstrukturen« (80–132) ist als Syntaxanalyse deklariert, unter der Gliederung, syntaktische Beobachtung und die beiden narratologischen Kategorien Personenkonstellation und Raumkonzept subsumiert wurden. Die Personenkonstellation ist sauber gearbeitet und durchargumentiert. Sie wird gestützt durch die Analyse des Raumkonzepts. Die Argumentation bezieht sich dabei faktisch, wenn auch nicht explizit, auf den sozialen Raum als Machtsphäre JHWHs (120–132) und das Versagen der Könige in ihr.
Es folgt der Formkritik entsprechend die semantische Analyse unter dem Titel »Analyse des individuellen Textinhaltes« (133–201), in welcher der leserlenkenden Funktion der sprechenden Namen einiger Raum gegeben wird (133–141). Es schließen sich die Handlungsanalysen von 2Kön 11 f. und 2Chr 22–24 und ihre narratologische Beurteilung sowie ein ausführliches Kapitel speziell zur theologischen Situation der Chronikbücher (181–201) an, einem Herzstück der Arbeit. Im fünften Kapitel »Analyse der geprägten und typischen Textelemente in Relation zu ihren Kontexten und anderen biblischen Texten (Biblische Auslegung)« (202–301) werden vor allem verschiedene Typen intertextueller Beziehungen, Motive und Formeln geprüft, um schließlich die exegetische Bewertung und Einordnung der Figur Jojada in kanonischer Lesart zu geben. Hier sucht J. noch einmal den historischen Anschluss und erläutert die Unmöglichkeit, zu einer Person jenseits der Textfiktion zu finden (3.297.300). Weiters datiert er beide Perikopen in die nachexilische Zeit (297), ohne auf die Diskussion zu 2Kön einzugehen. Dies mag auch zu der fehlgedeuteten Annahme auf S. 205, Fußnote 1073, geführt haben, Jer 29 referiere auf einen Priester des 6. Jh.s, obwohl der zitierte Kommentar gegenteilig argumentiert und damit J.s These sogar weiter stützt. Beschlossen wird das Werk durch den »Ertrag der Analysen« (302–310).
J. sieht eine Entwicklung der Figur Jojada zwischen den beiden Büchern, welche eine zunehmende Idealisierung beinhaltet. Für ihn ist er »eine unterschätzte Schlüsselfigur« (303), ein »Universalwerkzeug«, das plötzlich in der Erzählung auftritt, da er weder eine Einführung noch eine Herkunft aufweist (178.204.232–238). Jojada hat nicht nur religiöse Kompetenzen, sondern auch politische Macht, deren Höhepunkt die Begleitung der Regentschaft des Königs Joasch und die Beseitigung des Baalskultes ist. Seine erzähl technische Funktion drückt sich für J. in doppelter Weise aus: Jojada bringt einerseits eine abrupte und unerwartete Wende in die Geschichte (deus ex machina), andererseits hält er die erzählerische Kontinuität des davididischen Reiches sowohl auf der Erzählebene als auch in der Komposition über die Herrschaft Ataljas hinweg aufrecht (238.301). Die Chronik belohnt dieses Handeln mit der Ergänzung einer Genealogie, die sogar auf Aaron hindeutet (hohepriesterlich) und einer verkürzten Abschlussformel, die ein königliches Begräbnis beinhaltet (129.204.294 u. ö.). Jojada werde erhöht, so dass er nicht nur Priester, sondern auch König und Prophet zu sein scheine und die Kultreinheit und -einheit schon vor den Reformern herstellte (2.167.172–180). Die Aufwertung des Priestertums und die klare Kulthierarchie am Tempel, die deutliche Anleihen am Buch Levitikus nimmt (7), fügt sich gut in das theologische Programm der Chronik ein.
Grundsätzlich ist den Ausführungen von J. zuzustimmen, doch an einigen Stellen scheint seine Deutung von Jojada zu idealistisch, wenn er etwa schreibt »nur Jojada erfüllt seine Funktion bereits in den Königsbüchern in idealer Weise« (180), in 2Chr wird er beim Bundesschluss gar zum »Stellvertreter JHWHs« (199).
In 2Kön 13 wird Jojada jedoch keineswegs vom Verdacht der Korruption freigesprochen und errichtet auch nicht aus reiner Eigeninitiative (vgl. V. 8) den Opferstock für das »für ihn wichtige Projekt« (150) der Tempelrenovierung. Jojadas Machtposition hätte die Renovierung ermöglicht, wenn er ein intrinsisches Interesse daran gehabt hätte, oder zumindest wäre mit der Erwähnung eines Konflikts mit den anderen Priestern zu rechnen.
In 2Chr 13,16 stellt J. korrekt fest, dass JHWH nicht mehr als Bundespartner erwähnt ist. Jojada stehe aus seiner Sicht als alter Dei dem Volk gegenüber, ein Gedanke, der die Anthropologie des HB/AT überfordert. Betrachtet man die Formel genauer, weist sie eine Verwandtschaft mit Jos 24,25 und Esr 10,3 auf, beides Bundesschlüsse, die sich allein auf die menschliche Seite des Bundes beziehen, d. h. es geht um Selbstverpflichtungen Israels im Blick auf den göttlichen Bund. Darüber hinaus wird nicht auf die Tatsache eingegangen, dass Jojada weder eine Berufung noch eine Audition hat, sein Handeln daher zwar auf Gott hin ausgerichtet, aber letztlich rein immanent legitimiert ist.
Beschlossen wird die Arbeit mit einem pragmatischen Ausblick in die gegenwärtige Situation der katholischen Kirche, in der J. selbst als Priester tätig ist, was seinen – für exegetische Ohren manchmal ungewohnten – Sprachgebrauch verständlich macht. In der Gesamtschau kann J. nur zu dieser sorgfältigen und gewinnbringenden Arbeit gratuliert werden. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur narratologischen Erforschung und theologischen Auslegung der Vorderen Prophetie, der zu weitergehender Diskussion einlädt.