Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

903–905

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Spielman, Loren R.

Titel/Untertitel:

Jews and Entertainment in the Ancient World.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. IX, 311 S. = Texts and Studies in Ancient Judaism, 181. Lw. EUR 134,00. ISBN 9783161550003.

Rezensent:

Günter Stemberger

In dieser Studie, die auf eine Dissertation am Jewish Theological Seminary zurückgeht (2010, betreut von Seth Schwartz), analysiert Loren R. Spielman jüdische Einstellungen zu römischen Unterhaltungseinrichtungen. Über dreißig Theaterbauten, dazu fünf bis sechs Amphitheater und über sieben Hippodrome sind im römischen Palästina archäologisch nachgewiesen. Inschriften dazu sind erstaunlich wenige erhalten, literarische Texte vor allem bei Josephus und dann bei den Rabbinen, meist dazu negativ eingestellt. Insgesamt gelten diese Bauten als Teil der Romanisierung Palästinas.
Das von Herodes für seine Spiele in Jerusalem errichtete Theater wird von Josephus (Ant. 15,264–271) negativ und als jüdischer Sitte fremd beurteilt, laut S. persönliche Einstellung des Josephus; dagegen finde man durchaus positive jüdische Bewertungen: »Some Jews were apparently untroubled by the overwhelmingly pagan nature of these contests and performances« (41); »the Jews of Herodian Jerusalem were probably less resistant to spectacle entertainment than Josephus would have us believe« (52). Doch kommen die positiven Belege alle aus der Diaspora (Exagoge Ezechiels; Arist 284) und sind kaum gegen Josephus und Jerusalem auszuspielen. Auch jüdisch populärer waren sicher Sport und Gymnasion, auch wenn in 2Makk 4,13 als »Blüte der griechischen Lebensweise« verurteilt; Tierhetzen und Gladiatorenkämpfe wurden dagegen im Osten allgemein und nicht nur jüdisch lange negativ gewertet. Auch Herodes bietet für seine Jerusalemer Spiele keine Gladiatoren auf. Dass jüdische Kriegsgefangene nach 70 (bell. 7,138–145) und 135 vielfach als Gladiatoren bei Spielen (auch in Palästina) eingesetzt wurden, hat die jüdische Ablehnung nur verstärkt.
Ab Mitte des 2. Jh.s jedoch ist das weithin vorbei und Juden »overwhelmingly became voracious consumers and even producers of spectacular culture« (86), wie S. zu Recht aus den nun in jeder größeren Stadt Palästinas errichteten Theatern, und das auch in mehrheitlich jüdischen Städten wie Sepphoris und Tiberias (mit 4500–5000 Plätzen: 90 f.), erschließt. Hier müssen Juden auch beträchtlich zur Finanzierung von Bau und Unterhalt beigetragen haben und stellten, so vor allem in Tiberias, sicher den Großteil der Besucher. In Kleinasien sind jüdische Sitzreihen im Theater inschriftlich belegt (Milet und Aphrodisias); dagegen findet man in den wenigen Inschriften Palästinas nie Juden genannt.
Rabbinische Polemik gegen den Besuch von Theatern kann jüdische Beteiligung nur bestätigen. Mit der Einstellung von Rabbinen zu Theater und allgemein Schauspielen befasst sich S. (127–219) ausführlich. Zu Recht betont er, dass deren Aussagen nur deren eigene Meinung wiedergeben, nicht die der jüdischen Bevölkerung im Allgemeinen. In der Mischna werden Stadion und Theater nur am Rand erwähnt; Juden dürfen beim Bauen nicht helfen, auch keine Bären und Löwen verkaufen, da sie für Hinrichtungen und tödliche Tierhetzen dienen (mAZ 1,7). »According to the Mishnah, the stadium consistently threatens ›public harm‹ because of its connection to the authority of the Roman state, an authority that the rabbis consistently denied« (137). Die Tosefta bringt verschiedene Gründe gegen den Besuch von Schauspielen – diese seien Götzendienst, ein »Sitzen im Kreis der Spötter« (Ps 1,1), verstanden als Ablenkung vom Torastudium und damit Zeitverschwendung, oder Blutvergießen (tAZ 2,2–5). Gut ist der Vergleich mit christlicher Polemik gegen Schauspiele, Athenagoras, Tatian und vor allem Tertullian, der ebenfalls mit Ps 1,1 argumentiert – die Erwägung möglicher direkter Einflüsse wird zu Recht als nicht sehr wahr scheinlich abgelehnt (161). Die rabbinische Kritik an Gewalt im Theater begegnet auf römischer Seite auch bei Seneca, der besonders die mittäglichen Hinrichtungen im Theater ablehnt, damit aber ziemlich allein steht. Christliche und pagane Kritik am Schauspiel »played a more rhetorical than practical purpose […] an important marker of discrete group identity« (173). Das gilt auch für die Rabbinen.
Die spätesten Theater in Palästina wurden im 3. Jh. vollendet, auch wenn die meisten bis in späte byzantinische Zeit weiter verwendet wurden. Rabbinische Texte bieten nun viel mehr Realia zu Theater und Aufführungen; jüdischer Theaterbesuch wird weiter kritisiert, das Theater selbst aber nicht mehr als etwas Fremdes gesehen. Im palästinischen Talmud werden nur wenige Formen von Aufführungen erwähnt, vor allem Pantomime und Gladiatoren; in Midraschim findet man dann fast alle größeren Formen öffentlicher Unterhaltung im römischen Reich, vor allem in Genesis Rabba, wohl angeregt durch die Wettstreite zwischen Kain und Abel, Jakob und Esau. GenR 22,9 etwa deutet Gen 4,10 als Kritik an Gott, der den Kampf zwischen Kain und Abel nicht rechtzeitig abbrach. Als Ringkampf wird auch das Ringen zwischen Jakob und dem Engel gedeutet (Gen 32,25). Bekannt sind vor allem die Texte zu Pantakaka in yTaanit 1,4, zum Spott des Mimen über Juden im Sabbatjahr (KlglR 17) oder die vielleicht bewusst verballhornte Liste von Darstellern in tAZ 2,5–7. Gladiatoren sind auch in Palästina belegt, so auch durch deren Darstellung auf Kleinfunden und einem Grafitto in Bet Shearim, aber auch durch die Diskussion in yGit 4,9, ob man jemanden, der sich als Gladiator verkauft, freikaufen soll. Rabbinische Texte belegen zum Teil Augenzeugen-Kenntnisse, anderes ist wohl aus literarischen Quellen geschöpft, in vielen Gleichnissen für eigene Interessen zurechtgebogen.
Für spätere rabbinische Texte ist das Schauspiel nicht mehr Teil der Grenzziehung zwischen Juden und anderen, sondern ein rein moralisches Thema, die Enthaltung vom Theater zugunsten des Studiums der Tora eine Form der Askese. Nichtrabbinische Synagogen vergleicht man mit Theatern (die Synagoge von Berenike in der Cyrenaica wird inschriftlich Amphitheater genannt!), die Predigt des Jose von Maon in GenR 80,2 mit dem Auftritt eines Mimen. Das Theater wird immer mehr als Konkurrenz zu Synagoge und Kirche empfunden – so etwa bei Chrysostomus, der die Synagoge polemisch als Theater abwertet; andererseits wird christliche wie jüdische Liturgie als das bessere Theater gezeichnet (232 f.); beide bemühen sich bewusst um theatralische Qualität. Das wird dann auch auf das endzeitliche Gericht übertragen, wo Tertullian ebenso wie PesK 28,3 die Qualen der Verurteilten als Schauspiel schildern, dem die Geretteten zusehen, wie auch dem blutigen Kampf zwischen Behemot und Leviatan, deren Fleisch sie dann essen (LevR 13,3).
Der Band bietet eine sehr nuancierte Darstellung der Entwicklung des Schauspiels in seinen vielfältigen Formen sowohl auf Basis der materiellen Belege wie auch der jüdischen, vor allem rabbinischen Literatur. Wertvoll ist die ständige Einbeziehung römisch-paganer Perspektiven wie noch mehr der frühen christlichen Literatur. Der Band hätte ein sorgfältigeres Korrekturlesen verdient (Druckfehler sind zahlreich: z. B. 119.123 mehrfach Aphrodesias oder Aprodesias; 121.215.216 agnothetes; 134 Barternura statt Bertinoro etc.; 179 panktratists; 132, Anm. 12 wird G. Foerster falsch als Herausgeber seiner eigenen Festschrift genannt). Doch soll dies nicht von der gründlichen und lehrreichen Darstellung eines wichtigen Themas, gerade auch in seinen symbolischen und religiösen Aspekten ablenken. S. ist ein wichtiges und schönes Buch zu danken.