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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

847–849

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Arcadi, James M., and James T. Turner, Jr. [Eds.]

Titel/Untertitel:

The T & T Clark Handbook of Analytic Theology.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2021. 544 S. = T & T Clark Handbooks. Geb. £ 130,00. ISBN 9780567681294.

Rezensent:

Gerhard Wegner

Das in der hervorragend edierten T & T Clark Handbooks Reihe erschienene Kompendium bietet eine umfassende Übersicht über die in Deutschland wenig bekannte Wissenschaftsrichtung der »Analytischen Theologie« – im Buch als eine »intellectual culture« bezeichnet, »in which certain sensibilities, tools and characteristics are borrowed from analytic philosophy for properly theological ends« (1). Was, wie die Wortwahl schon andeutet, durchaus bisweilen wunderbar selbstironisierend einherkommt. In Deutschland wird sie u. a. von Thomas Schärtl, Ludwig Jaskotta und Georg Gasser vertreten, die 2017 ein »Handbuch für analytische Theologie« im Aschendorff Verlag herausbrachten. Der Band ist umfassend angelegt und enthält 37 je etwa zwölfseitige Artikel zu »Methods and Sources« (u. a. zur Rolle der Tradition, des Glaubens); zu »Doctrine of God« (u. a. Theismus, Attribute Gottes, »Divine Goodness and Love«, Trinität); »Person and Work of Christ« (u. a. Inkarnation, Sündlosigkeit Christi); »Pneumatology« (u. a. »The Indwelling of the Holy Spirit«); »Creation and Humans« (u. a. Schöpfung, Die Seele als Imago Dei, Sünde und Erbsünde – aber auch zu Rasse, Behinderung, Gender, Tiere); schließlich »Experiences and Practices« (zu Spiritualität, Taufe, Eucharistie, Liturgie und Gebet). Damit folgt das Handbook klassisch theologischen Kompendien, was das Ziel unterstreicht, »to demonstrate a bridge-building (zur analytischen Theologie) from the shores of theology« (4) – nicht von der Seite der analytischen Philosophie, dem anderen Partner. Das Buch schließt mit einer umfassenden Bibliographie.
Das Anliegen dieses Denkstils ist es, den großen Strom analytischen Denkens mit Theologie zu verschmelzen. Ausdrücklich wird in dieser Hinsicht die mittelalterliche Tradition eines Anselm oder Thomas bemüht. Das Credo dieser Schule hat Michael Rea 2009 in fünf Thesen formuliert, deren Kern die logische Formalisierung von Problemen betrifft. Deswegen seien Metaphern oder andere vage Formulierungen zu vermeiden und stets auf elementare Be­griffe und Konzepte zurückzugehen. Im Mittelpunkt steht deswegen die begriffliche Analyse als Erkenntnis- und Rechtfertigungsquelle (3). Man wird nicht sagen können, dass diese Anliegen der »kontinentalen« Tradition der Theologie völlig fremd wären. Aber was auffällt, ist ein doch sehr anderes Herangehen. Während Letztere gerne die Positionierungen einzelner theologischer Koryphäen erörtern, steht hier ein Problem im Vordergrund, zu dessen Erhellung die Vorschläge von Theologen oder Philosophen als solche diskutiert werden. Das geht einher mit einem nüchternen, »kalten« Stil, der der Erbauung wenig zuträglich ist. Im Vordergrund stehen Fragen der Logik der Argumentation. Man ist deswegen schnell mit dem Vorwurf des Glasperlenspiels oder gar des Wiederauflebens scholastischer Traditionen bei der Hand.
Wie argumentiert das Buch? 1. Beispiel: Der Beitrag von Timothy Pawl über Inkarnation. Es geht zunächst um die Frage: »What sort of entity is Christ’s assum-ed human nature?« (197) Dies wird als »Christ’s human element« identifiziert, was aber die Frage aufwirft, aus welchen Teilen dies besteht (Wort, Körper und Seele?) und wie sie vereinigt sind. Dann folgt die Erörterung des Problems des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Natur (war Christus ein Avatar?), bevor schließlich die Frage der Denkbarkeit einer Identität von göttlicher, letztlich apathischer Allmacht und empathischer menschlicher Be­grenztheit erörtert wird. Erwogen werden fünf Lösungen dafür, dass Christus über eine hypostatische Union zweier Naturen in einer Person verfügt. Der Fokus liegt mithin auf der Analyse der Logik von inkarnationsrelevanten Binnenbezügen, wenn man das so nennen kann. Wozu Inkarnation dient, bleibt unerörtert. Ein zweites Beispiel: William Wood über »Sin as Self-Deception«. Der Beitrag be­ginnt mit einer verblüffenden Definition: Weil die Doktrinen von Sünde und Erlösung korrelativ sind, lässt sich Sünde gut definieren als »that from which we are saved by the power of Christ« (335). Näherhin ist das mit Augustin unser »turning away from God«, das wir allerdings verdrängen müssen, wenn wir sündigen. Sünde impliziert damit stets einen parallelen Akt der Selbsttäuschung. Diese Struktur wird dann am Beispiel des Falls von David und Uriah (2Sam 11–12) plausibel durchgespielt: David ist ein Meister der Selbsttäuschung. Daraus folgt: »We need to hide our sinfulness from ourselves and others, because we want to think of ourselves as good, and we want others to think of ourselves as good.« (342) D. h.: Auch mitten in der Sünde bleiben wir auf Gott bezogen, was doch eine gute Botschaft sei! Und das wiederum be­deute letztlich: »we are socialized into a sinful world that shapes us into sinful agents« (343). Klingt alles plausibel, aber irgendwie auch zirkulär. »Sin is recursive.« (343) In der Tat! Was hier folgen müsste, wären Erwägungen über Entfremdung und Ähnliches. Drittes Beispiel: Kent Dunnigton über Analytische theologische Ethik. Er vergleicht die ethischen Ansätze von Analytikern und Theologen. Die ersten verbleiben im Bereich eines theistischen Denkens, während die zweiten, interessanterweise allen voran Stanley Hauer- was, auf metaphysischer Grundlage auf die Differenz des Christ-lichen abheben und so tendenziell »subversive ethics« betreiben. Ebendieser Linie solle man in Zukunft folgen und Befreiungstheologien ernster nehmen, denn »any rich account of the virtues de-pends upon assumptions about human nature that are typically suppressed« (355).
Ein letzter Blick auf den Beitrag von Scott A. Davison zum Gebet, insbesondere zum Bittgebet. Hier frappiert das fokussierte Grundproblem: Ist es überhaupt sinnvoll, Gott zu loben – oder gar etwas von ihm zu erbitten –, wenn Gott doch total perfekt ist und schon immer alles im Blick hat? Gott »must have a choice about being perfectly good before it makes sense to praise God.« (489) Und was bedeutet es überhaupt, dass Gott unsere Bitten beantwortet (schöne Formulierung: »efficacy of petitionary prayer« (491)? Der Beitrag bleibt am Ende, was logische Optionen anbetrifft, recht offen. Das Ganze wirkt irgendwie pfiffig. Aber: Wie viel weiter ist da z. B. der Blick von Michael Meyer-Blanck: Das Gebet (Tübingen 2019)!
Dennoch: Die analytische Theologie pauschal als irrelevantes Glasperlenspiel abzutun, wäre ungerecht. Sie reißt notwendige Fragestellungen an, die in den Entwürfen »kontinentaler« Theologien häufig wenig bedacht werden. Sie macht deutlich, wie viel vom Gottesbild abhängt. Aber deutlich wird auch, dass »kontinentale« und die analytische Theologie nicht so einfach kompatibel gemacht werden können. Die Theologien eines Karl Barth oder gar Dietrich Bonhoeffer sind immer auch existentielle Entwürfe und lassen sich nicht auf eine Liste von Problemlösungen reduzieren. Diese Ebene erreichen die analytischen Analysen nicht und wollen es auch nicht. Was sie aber leisten, sind pragmatische Argumentationshilfen, die man insbesondere in apologetischen und nicht geisteswissenschaftlich überformten Situationen braucht (»Kann ein allmächtiger Gott sterben?«). Es könnte gut sein, dass die analytische Theologie deswegen auch auf dem Kontinent an Bedeutung gewinnen wird.