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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

842–845

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

McCready, David

Titel/Untertitel:

The Life and Theology of Alexander Knox. Anglicanism in the Age of Enlightenment and Romanticism.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2020. X, 320 S. = Anglican-Episcopal Theology and History, 6. Kart. EUR 59,00. ISBN 9789004355224.

Rezensent:

Martin Ohst

Es ist keine Schande, wenn einem deutschen Leser der Name des Titelhelden nichts sagt, wenn sogar der Autor des vorliegenden Bandes, David McCready, mit Bezug auf den englischen Sprachraum über seinen Protagonisten einräumt: »he suffered the fate of all precursors, that of being eclipsed by those whom he anticipated« (246). Diejenige Bewegung, die Alexander Knox (1757–1831) vorbereitete und die dann die Erinnerung an ihn unter sich begrub, war der Anglokatholizismus, an dessen Beginn eine Gruppe junger Oxforder Intellektueller mit der Schriftenreihe »Tracts for the Times« (seit 1833) stand.
Diese kirchenpolitisch höchst erfolgreiche Bewegung steuerte die staatlich gelenkte und bischöflich verfasste Kirche Englands aus dem reformierten Fahrwasser, in welchem sie zuvor ihren eigenwilligen Kurs gesteuert hatte, heraus. In entschiedener Ab­wendung vom kontinentaleuropäischen Protestantismus sowie vom Evangelikalismus der angelsächsischen Welt definierte sie die anglikanische Kirche dezidiert als Fortsetzerin und Repräsentantin der bischöflich verfassten rechtgläubigen Kirche der ersten Jahrhunderte und bescherte ihr damit einen Wettstreit mit der Papstkirche um diesen Rang sowie die mit ihm verbundenen Würdetitel der Katholizität und der Apostolizität. Durch diese Werkbiographie fällt neues Licht auf ihre Vor- und Werdegeschichte: Sie bestand eben nicht einfach darin, dass sich junge Leute aus dem traditionellen Hochkirchentum radikalisierten, als die privile-gierte Stellung der etablierten Kirche durch die politisch-soziale Gleichberechtigung von Dissentern und Katholiken ins Wanken geriet, sondern an der Lebens- und Bildungsgeschichte von Knox zeigt sich, dass in der Vor- und Werdegeschichte des Anglokatholizismus auch das scheinbar so ganz andersartige Gefühls- und Heiligungschristentum der methodistischen Bewegung ein bestimmender Faktor gewesen ist. Deren Inspirator und Führer, John Wes­ley, lernte der in Irland als Angehöriger der herrschenden ang­likanischen Minderheit geborene Knox schon in seinem vermögenden Elternhaus kennen, und sein Einfluss begleitete ihn durch sein ganzes Leben. Von Kindesbeinen an gesundheitlich beeinträchtigt, bildete er sich autodidaktisch und lebte die längste Zeit bis zu seinem Tode als »Eremit«, also unverheiratet und, abgesehen von einer Sinekure, ohne Amt in Dublin – sich anderen mitteilend in Gesprächen, auf Besuchsreisen und in einer umfänglichen Korrespondenz. Gänzlich unbeschwert von den Lasten kirchlicher Verantwortung oder akademischer Bildungsarbeit erarbeitete er sich ein erstaunlich geschlossenes theologisches Gedankengebäude, das er in tagesaktuellen Kleinpublikationen, aber auch in umfänglichen Lehrepisteln zu Papier brachte. Einer weiteren Öffentlichkeit wurde das alles erst nach seinem Tode durch Nachlasspublikationen bekannt.
Wenn ich McC.s Buch mit einem einzigen Adjektiv charakterisieren sollte, so fiele mir nur ein englisches ein, nämlich pleasant. Das beginnt mit dem graphisch und in der Farbgebung außergewöhnlich ansprechend gestalteten Einband und setzt sich in der nüchtern-eleganten, von jeder Überanstrengung freien Sprachgestalt fort. Ebenso klar und einleuchtend ist der Gesamtaufriss der Monographie. Nach einer Einleitung, die den Leser mit den notwendigen Informationen zur Quellenlage und Forschungsgeschichte ausstattet, ohne ihn mit langstieligen Theorie- oder Me­thodendiskussionen zu ermüden, wird der Lebensgang des Protagonisten rekapituliert. Sein theologisches Denken wird in zwei Durchgängen erörtert: Zunächst werden dessen Voraussetzungen und kategoriale Leitlinien vorgestellt – immer mit Rücksicht darauf, wie Knox sie rezipierte, verstand und verwendete: Auf den hochkirchlichen Anglikanismus, wie ihn insbesondere die »Moderates« oder »Cambridge Platonists« des 17. Jh.s vertraten, folgt John Wesley, den Knox gemäß seiner geistigen und lebensgeschichtlichen Herkunft aus dieser Traditionslinie heraus verstand und schätzte und dem er seine lutherische Phase als Ausrutscher nachsah. Wesley und die von ihm angeeignete und durchgearbeitete anglikanisch-hochkirchliche Denktradition weisen ihrerseits zu­rück auf einen christlichen Platonismus, in dem allerdings keineswegs Augustin dominiert, sondern vielmehr eine Traditionslinie, d ie von Clemens Alexandrinus über Johannes Chrysostomus zu Ma­karius Symeon (englisch: Pseudo-Makarius) führt: Diese von Knox konstruierte patristische Zeugenreihe steht für die Behauptung der unveräußerlichen menschlichen Willensfreiheit und ihre unabdingbare Mitwirkung bei der Erlösung, die als Therapieprozess verstanden wird, welcher in die mit der Glückseligkeit iden-tifizierte Vollkommenheit führt. Hiermit korrespondiert sachlich die letzte Voraussetzung von Knox’ Denken, die McC. ausmacht, nämlich die neuartige Beachtung und Hochschätzung des Gefühls in der Aufklärung und in der Romantik.
Zwei Zwischenabschnitte bilanzieren den Ertrag dieser Untersuchungsgänge und spitzen ihn zu: Sie bescheinigen Knox’ theologischem Denken bei allem Eklektizismus ein erstaunliches Maß an Kohärenz und Konsistenz; in seinem praktischen Impetus sei es an integrativen Konsensen orientiert, was sich ja auch schon an seiner Lebensgeschichte gezeigt hatte: Der anglikanische Ire Knox unterstützte den Kampf seiner katholischen Landsleute um politische Gleichberechtigung, weil er sich davon ihre Versöhnung mit Großbritannien und ihren Übertritt zur anglikanischen Kirche erhoffte (31 f.) – sie war für ihn eben nicht nur dazu berufen, in Lehre, Verfassung und Praxis die ideal(isiert)e Kirche der (griechischen) Väter in der Neuzeit auferstehen zu lassen, sondern in seinen Augen war »[t]he Church of England« eben auch »intended to embrace the en-tire nation« (117). Unter dem Stichwort »Methodologie« wird erörtert, wie und mit welchen Intentionen Knox die unterschiedlichen geschichtlichen und kategorialen Bezüge seines Denkens einander zugeordnet und auf einander bezogen hat; besonders bezeichnend sind in diesem Zusammenhang die Bemerkungen zur Bibel (122–126). Im Anschluss daran wird Knox’ Theologie in loser Anlehnung an den Aufriss einer Schuldogmatik in fünf Abschnitten materialiter entfaltet. Dieses Verfahren führt zu einigen Redundanzen und Wiederholungen, aber die nimmt man gern in Kauf, weil so ein sehr plastisches Gesamtbild entsteht. Die Wirkung Knox’ wird an einer Reihe von Fallbeispielen, hauptsächlich aus dem Traktarianismus bzw. der Oxford-Bewegung gezeigt, bevor eine Gesamtzusammenfassung das Buch beschließt.
Knox präsentierte sich als durch und durch autoritätsgebundener Theologe, d. h.: Er beanspruchte weder Originalität noch Innovationskraft, sondern er trat lediglich für die Wertschätzung und Anerkennung der Basisannahmen der christlichen Religion in die Schranken, wie sie in der Bibel niedergelegt und im Konsens der rechtgläubigen altkirchlichen Theologie dauerhaft gültig ausformuliert worden seien. Seit dem Übergang von der Spätantike zum Mittelalter habe im Westen auf diesem Fundament Misswuchs wie der überzogene Primatsanspruch des römischen Bischofsstuhls mit seinen weltlichen Herrschaftsambitionen und die Transsubstantiationslehre gewuchert. Die englische Reformation habe diese Phänomene beseitigt – ohne die unter ihnen liegende gesunde Substanz zu beschädigen, und das mache ihre Überlegenheit im Vergleich zu den kontinentaleuropäischen Reformationskirchentümern aus. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass unter dem Gewand des demütig-biederen Dienstes an der Tradition ein scharf profilierter positioneller Gestaltungswille am Werk ist: Gott ist gedacht als werbende, appellierende Liebe, die in therapeutischer Absicht auf die Menschen eindringt, deren Sünde nicht so sehr als Schuld, sondern als Hemmung und Verkümmerung ihrer Befähigung zur Heiligung und Glückseligkeit gefasst ist. Gottes Heilswille hat allerdings seine unüberwindliche Schranke an des Menschen Freiheit. Ohne dessen Zustimmung und Mitwirkung kann Christus sein Versöhnungs- und Heiligungswerk an niemandem tun. Diese kategorialen Leitlinien seines Denkens weisen Knox al s jemanden aus, der, vermittelt über die Platonisten von Cambridge, in den Traditionen eines erasmianischen Humanismus steht, und sie zeigen ihn zugleich als Zeitgenossen der (englischen!) Aufklärung und Romantik. Insbesondere mit seinem Perfektionismus und seinem Chiliasmus, der zur nahezu vollständigen Ausblendung der eigentlich eschatologischen Perspektive führt, zeigt Knox’ scheinbar so konservativ-traditionalistisches Denken seine unverwechselbar neuzeitliche Eigenart. Mit anderen Worten: Hier waltet ein scharf zugreifender Eklektizismus, der sich allerdings durch seinen ostentativen Traditionalismus von der Nötigung dispensieren will, seine kategorialen Grundlagen wirklich auszuformulieren und der Diskussion auszusetzen. Durch diese Verweigerungshaltung handelt er sich endlose, unerquickliche Kämpfe um die Deutungshoheit über die von ihm beanspruchten Traditionsbestände ein, und ganz gleich, wie diese Kämpfe ausgehen mögen: Die Waffen des Traditionsbeweises werden sehr schnell stumpf und schartig, wenn Kontrahenten sie widereinander wenden.
Die Oxford-Bewegung, zu deren Wegbereitern Knox gehörte, hat sich, zumal in ihren Anfängen, in solche Kämpfe um die Deutungshoheit gestürzt – etwa durch den Versuch, die Lehrgrundlagen der anglikanischen Kirche als Zeugen für eine synergistische Rechtfertigungslehre zu vereinnahmen. Damit war allerdings we­nig gewonnen, solange diese Interpretation eine mögliche war, der andere entgegenstanden. So fanden sich die frühen Anglokatholiken in der unangenehmen Situation vor, dass sie ihr Denken auf unzweifelhafte geschichtliche Autoritäten stützen wollten und mussten, diese aber nicht zu finden noch auch zu konstruieren vermochten. So war es nur konsequent, dass der Klügste unter ihnen, John Henry Newman, seine Vorbehalte hintanstellte, sein Herz über die Hürde warf und sich nach Rom wandte, wo er die Instanz fand, die auf rational nachvollziehbare Weise die Vollmacht zur authentischen Auslegung aller kirchlichen Lehrtradition für sich in Anspruch nahm und somit dem Autoritätsglauben, also dem basalen Akt der menschlichen Freiheit im Prozess der Erlösung, einen zuverlässigen Haftpunkt gewährte, welchen weder die Bibel und die Kirchenväter noch erst recht die Lehrdokumente der englischen Reformation ihm zu bieten vermochten.