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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

806–807

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Heller, Roy L.

Titel/Untertitel:

The Characters of Elijah and Elisha and the Deuteronomic Evaluation of Prophecy. Miracles and Manipulation.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2018. XII, 250 S. = The Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies, 671. Geb. £ 85,00. ISBN 9780567679017.

Rezensent:

Heiko Wenzel

Die Königebücher präsentieren Elia und Elisa als komplexe und mehrdeutige (ambiguous) Charaktere (7). Das ist der zentrale Gedanke von Roy L. Hellers literarischer Analyse der Elia- und Elisaerzählungen. Die beiden Protagonisten werfen damit auch ein mehrdeutiges Licht auf Prophetie im Alten Testament: Prophetie ist kein eindeutiger und verlässlicher Weg, um den Willen JHWHs zu erkennen. Nach H.s Überzeugung decken sich diese Er­gebnisse mit dem Bild, das in Dtn 13 und 18 von Prophetie gezeichnet wird (4).
Der Aufbau dieser anregenden Studie zu Prophetie im Alten Testament ist klar und konzentriert sich vor allem auf die literarischen Analysen. Sie stellt eine Fortsetzung von H.s Studie Power, Politics, and Prophecy: The Character of Samuel and the Deuteronomic Evaluation of Prophecy (2006) dar. Im ersten Kapitel führt H. in die Fragestellung und anhand William Empsons Seven Types of Ambiguity in ein Schlüsselwort seiner Studie ein (1–15), bevor er auf mehrdeutige Aspekte von Prophetie in Dtn 13,1–6 und 18,15–22, auf Samuel als mehrdeutigen Charakter (eine kurze Zusammenfassung von H.s Samuelstudie) und auf die Frage von Wundern eingeht (16–40). Im zweiten Kapitel analysiert H. die Eliaerzählungen in 1Kön 17–19; 1Kön 21 und 2Kön 1 (41–109) und im dritten (110–215) die Elisaerzählungen (2Kön 2–9; 13,14–21). Mit dem abschließenden Kapitel fasst er die Ergebnisse zusammen (216–231).
Die Rede von Mehrdeutigkeit versucht dabei verschiedene Aspekte der Darstellung von Elia und Elisa im Besonderen und damit von Prophetie im Allgemeinen in den Blick zu nehmen. Auf der einen Seite lehnen die Erzählungen »valid prophetic activity« nicht ab. Auf der anderen Seite bringen sie wiederholt eine wichtige Überzeugung zum Ausdruck: Die Autorität, die Propheten von vielen Menschen zugeschrieben wird, ist (auch) eine Gefahr (15). Diese grundlegende Spannung prägt nicht nur die Elia- und Elisaerzählungen, sondern auch, wie H. zu Recht aufzeigt, die Argumentation in Dtn 13 und 18. Man kann dieser Beschreibung der Spannung in großen Teilen folgen, auch wenn der eine oder andere Aspekt der Argumentation und H.s Schlussfolgerungen weiteres Nachdenken und bisweilen eine kontroverse Diskussion erfordern. Gleichermaßen wird es wenige geben, die nicht beim Lesen dieser Studie ins Gespräch mit H. gehen, ihm widersprechen oder in eine imaginative Diskussion mit ihm eintreten (wollen). In den meisten Fällen liegt das nicht an seinen Beobachtungen, die alle zu einer aufmerksame(re)n Lektüre der Erzählungen einladen. Vielmehr ist m. E. eine wiederholte Lektüre der Königetexte notwendig, weil sich die Bedeutung der Beobachtungen und die Kraft von H.s Argumentation immer wieder aus einer Lektüre von größeren Texteinheiten ergeben.
Wer sich auf eine Diskussion mit H. einlässt, wird immer wieder an seinen Schlussfolgerungen hängen bleiben, die auf den ersten Blick naheliegend und überzeugend wirken. So spricht er beispielsweise davon, dass Dtn 13 Propheten als »problematisch« ansieht (19), weil sie mit ihren Worten, ihren Wundern und Zeichen Menschen verführen und Israel von seinem Weg abbringen können. Mit dem Wort »problematisch« sagt H. sicherlich etwas Richtiges, aber irgendwie wird diese Beschreibung der Komplexität nur teilweise gerecht. Das wird insbesondere mit der Rekonstruktion eines Ablaufs sichtbar, die er im Lichte von Dtn 13 anbietet: Auftreten eines Propheten, Vermittlung einer göttlichen Botschaft verbunden mit Anweisungen, Unsicherheit auf Seiten des Volkes; ein prophetisches Zeichen wird vom Propheten gegeben, vom Volk gesehen und daraufhin folgen sie der Anweisung (22). Diese Rekonstruktion steht nicht nur in Spannung zu der Ausgangslage, die H. selbst andeutet (dass vielfach Propheten zu viel Autorität zugesprochen wird; vgl. 15), sondern deckt sich auch nicht mit der Argumentation in Dtn 13 selbst, bei der das Zeichen der Botschaft vorangeht. Daran wird deutlich, dass H.s Rekonstruktion mehr von der Voraussetzung lebt, dass Zeichen und Wunder authentifizierte Bedeutung für die Botschaft haben, als von einer Lektüre von Dtn 13, wo m. E. das Gegenteil vertreten wird. Kurzum, H.s Studie, seine Beobachtungen sind wertvoll, die Argumentation und Schlussfolgerungen in der Regel anregend, aber es lohnt sich immer wieder, noch einmal die biblischen Texte aufmerksam zu lesen. Leider fehlen in H.s Überlegungen auch fast durchgängig Abwägungen oder Reflexionen, wie man seine Beobachtungen auch deuten kann. Beispielsweise könnte man sagen, dass Propheten vielleicht nicht einfach »problematisch« sind, sondern es gibt solche, die problematisch sind, und eben auch andere. Texte wie Dtn 13 sind getragen von dem Gedanken einer Unterscheidung und stellen sich gegen eine schlichte Anerkennung von Autoritäten und einem Sich-leiten-Lassen von Zeichen und Wundern. Das macht die Lage nicht einfach oder übersichtlich. Im Gegenteil, es ist eine eindrückliche und eindringliche Beschreibung eines schlichten Gedankens: Es gibt viel mehr (prophetische) Autoritäten, die von Menschen anerkannt werden und denen sie folgen, als mit einer Verehrung JHWHs vereinbar ist. Propheten sind also nicht problematisch, sondern ungeprüftes und gutgläubiges Vertrauen in Propheten ist es. Die Dtn-Texte etablieren die Unvereinbarkeit von manchen Propheten mit der JHWH-Verehrung und bieten einige Hinweise einer Identifizierung dieser Propheten an.
Wenn man das im Blick behält, kann man gewinnbringend und differenziert auch H.s Ausführungen zu den Elia- und Elisaerzählungen folgen. Es ist ihm grundlegend zuzustimmen, dass Elia mehrdeutig ist und im Licht der in Dtn beschriebenen Problematik gelesen werden kann. Angesichts von 1Kön 13 und der Charakterisierung von Salomo sollte das aber nicht allzu überraschend sein. Diese Texte bringen eine Spannung zwischen einer kritischen Perspektive auf Autoritäten wie Könige und Propheten und einer vorausgesetzten Legitimität von König und Propheten zum Ausdruck. Dabei stellen sie das vielfach ins Licht dessen, was JHWH tut oder was sein Wort bewirkt, was zu komplexen literarischen und theologischen Dynamiken führt, wie die Lektüre und die Auslegungsgeschichte von 1Kön 13 eindrücklich zeigt.
Die Beschreibung der grundlegenden Spannung – legitime Prophetie auf der einen Seite, eine Mehrdeutigkeit des Phänomens und einzelner Vertreter auf der anderen Seite – macht die Studie wertvoll, mancher mag sagen unentbehrlich; für literarische Analysen dieser Erzählungen legt H. damit auf jeden Fall eine Studie vor, die man nicht ohne Gewinn lesen kann und die Vorfreude weckt auf eine dritte Studie zu Prophetie, die sich mit Nathan, Ahija, Hulda und anderen Propheten befasst, die sich in Jos, Richter, Sam und Kön finden (vgl. 89–91).