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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

741-743

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Knapp, Markus

Titel/Untertitel:

Weltbeziehung und Gottesbeziehung. Das Christentum in der säkularen Moderne – eine anerkennungstheoretische Erschließung.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 528 S. Geb. EUR 58,00. ISBN 9783451386725.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Diese sorgfältige Studie des katholischen Fundamentaltheologen der Universität Bochum ist in fünf Teile aufgeteilt. Markus Knapp diagnostiziert einen Plausibilitätsverlust des Gottesgedankens, als Folge anhaltender Säkularisierung (11 ff.). Als missing link zwischen säkularer Welt und Theologie entwickelt er eine Theorie der Anerkennung (45 ff.); diese verwendet er als heuristisches Instrument, um an den Themen Schöpfung (140 ff.) sowie Eschatologie, Erlösung und Tod (261 ff.) zu skizzieren, wie eine gleichermaßen postsäkulare wie postmetaphysische Theologie aussehen könnte. Am Ende fragt der Vf. unter dem Stichwort eines nach-konstantinischen Christentums (475), wie sich eine solche neue Theologie auf die Verfassung von Kirchen und die Ekklesiologie auswirken könnte.
Zu Beginn schließt der Vf. an Bonhoeffers Diagnose der mündigen, religionslosen Welt an (17). Von ihm übernimmt er jedoch nur die Diagnose. Die Therapie der durch Säkularisierung entstandenen theologischen Blessuren übernimmt eine Theorie der Anerkennung, die der Vf. im Anschluss an Axel Honneth zu einer »anerkennungstheoretische[n] Hermeneutik eines theologischen Wirklichkeitsverständnisses« (42) ausbauen will. Unter Anerkennung versteht er praktische Einstellungen, »in denen andere Personen in jeweils spezifischen Hinsichten affirmiert werden« (50). Dieses geschieht als Liebe, Recht und Solidarität. Eine solche Theorie der Anerkennung setze eine Idee des guten Lebens voraus, die auf Selbstbestimmung und Autonomie beruhe (113). Vor dieser säkularen Theorie halten Letztbegründungsansprüche nicht mehr stand. Aber weil – so der Vf. – schon Kinder darauf angewiesen sind, unbedingt von ihren Eltern anerkannt zu werden, ist damit für ihn die »anthropologische Relevanz einer möglichen Selbstoffenbarung Gottes erwiesen« (129), was aber nicht im Sinne eines Gottesbeweises zu verstehen ist. Die Anerkennungstheorie wird als eine Denkform verstanden, innerhalb derer sich weiterhin plausibel theologische Argumente platzieren lassen.
Dieses Muster wendet der Vf. auf Schöpfungslehre und Eschatologie an. Die Schöpfungslehre wird so neu interpretiert, dass es in ihr nicht um eine Theorie der Entstehung der Welt, sondern um eine der Welt eingeschriebene »Sinnstruktur« geht, welche die »Entwicklung und Entfaltung des Lebens ermöglicht und ihm eine letztgültige Sinnperspektive eröffnet.« (162; vgl. 212) Dafür betreibt Gott in seinen Verheißungen sozusagen homiletische Werbung (210). In seiner Offenbarung vermittelt Gott kommunikativ seine Verheißungen (220). Das läuft auf den folgenden Spitzensatz zu: »Nach biblisch-christlicher Überzeugung ist der Wirklichkeit eine Sinnstruktur eingeschrieben, die auf Gott als Grund und Ziel allen Lebens verweist.« (362) Theologie beschreibt die Welt und den Menschen in ihrer Konnotation mit Gott. Das gilt jedoch nur unter der Bedingung, dass Welt und Menschen in ihrem Handeln und in ihrer Entwicklung völlig eigenständig und frei sind (363).
Der Vf. nennt das ein »intrinsezistisches Konzept der Fundamentaltheologie« (366) bzw. eine »anerkennungstheoretische Glaubenshermeneutik« (369). Und das bedeutet für das Gottesverständnis: »Der biblische Gott muß gedacht werden als ein den autonomen Weltprozeß begleitender und sich dabei selbst begrenzender Gott, der die Welt als eigenständige Wirklichkeit respektiert und anerkennt.« (Ebd.) In dieser Perspektive fällt für den Vf. die Vorstellung eines allmächtigen Gottes. An seine Stelle tritt ein Konzept Gottes, das vom Begriff der Liebe ausgeht (379). Die Theologie entwickelt daraus ein Modell guten, gelungenen Lebens, innerhalb des rationalen Kontextes moderner Weltbilder. Gott wird ontologisch nicht aus seinem Sein, sondern in seinen Relationen verstanden (410). Daraus ergibt sich konsequent eine Theorie der Glaubensgewissheit. Das Subjekt weiß sich im Glauben anerkannt und ist sich deshalb der Existenz Gottes gewiss (420). Das nennt der Vf. »eine eschatologisch gewendete relationale Ontologie« (421). Diese leis-tet zweierlei, zum einen die Kritik der alten metaphysischen und manifest ontologischen Theologie, zum anderen die Entwicklung einer neuen Theologie, die auf der vollen Anerkennung des modernen Autonomieprinzips beruht.
In der Konsequenz dieser Neu-Justierung kommt der Vf. zu einer Kritik am anhaltenden Antimodernismus der katholischen Kirche (454) sowie auf der protestantischen Seite zu einer vorsich-tigen Annäherung an die liberale Theologie (456, Anm. 171). Eine solche neu kalibrierte Theologie ist nicht ohne Spannungen zwischen Glauben und Wissen zu haben. Der Vf. rekurriert dafür auf die mystischen Erfahrungen Blaise Pascals (479 ff.). Die (anerkannte) fortdauernde Berechtigung der Theologie ergibt sich gegen eine »säkularistische Selbstverschließung« (490) als eine Theologie, die zugleich auf Weltverbundenheit und Weltdistanz setzt (488).
Diese Studie ist dankenswerterweise konsequent, nüchtern und ohne alle Aufregung geschrieben. In ihrer konsequenten Orientierung an moderner Rationalität leistet sie ein Doppeltes: Zum einen dekonstruiert sie die alte, metaphysische Theologie, deren Grundlagen längst nicht mehr plausibel sind, zum anderen entwickelt sie Prolegomena zu einer modernen, von den Eierschalen alter Weltbilder befreiten Theologie, deren Konturen am Ende des Bandes sichtbar werden. Für den Leser zeigt sie eine besondere Nähe zur Anthropologie Wolfhart Pannenbergs, der seine Anthropologie be­kanntlich als fundamentaltheologische Vorstudie zu seiner Sys-tematischen Theologie verstand. Der Vf. setzt an die Stelle der An­thropologie eine Anerkennungstheorie. Während aber die Anerkennungstheorie auf Verhältnisse zwischen Personen zielt, handelt der Vf. in seinen Kapiteln über Schöpfung und Erlösung vor allem grundlegende ontologische Fragen ab, er beschäftigt sich vor anderem mit dem Wirklichkeitsverständnis der Theologie.
Die Nähe zu liberalen Theologiekonzepten wurde bereits er­wähnt. Für den daraus folgenden ökumenischen Dialog erscheint es als sehr wichtig, mit einem Vertreter einer Fundamentaltheologie zu diskutieren, der seinen Ausgangspunkt bei den Differenzen unterschiedlicher persönlicher Überzeugungen und ihrer Anerkennung nimmt.
Der Dialog zwischen evangelischer und katholischer Fundamentaltheologie wäre auch insofern ernst zu nehmen, als sich der Vf., was eine konstruktive Ekklesiologie und Dogmatik angeht, auf das Stichwort einer nachkonstantinischen Kirche beschränkt. Letzteres aber zielt doch eher nur auf das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Nötig aber wäre, nimmt man die Perspektive des Vf.s ernst, eine vollständige Revision von Dogma und Kirchentheorie, auf katholischer und auch – obwohl das nur marginal erwähnt wird – auf evangelischer Seite. Der Vf. löst sozusagen theologisch ein, was Bonhoeffer mit seinem charismatischen Stichwort von der mündigen Welt behaupten, aber leider nie argumentativ entfalten konnte. Insofern lohnt es sich sehr, für die an ihren Grundbedingungen und -voraussetzungen interessierte evangelische Systematische Theologie, mit diesem katholischen Entwurf ein produktives Gespräch zu führen.