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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

686-687

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Walsh, Matthew L.

Titel/Untertitel:

Angels Associated with Israel in the Dead Sea Scrolls. Angelology and Sectarian Identity at Qumran.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XVII, 348 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 509. Kart. EUR 79,00. ISBN 9783161553035.

Rezensent:

Martin Rösel

Bei der anzuzeigenden Studie handelt es sich um eine überarbei-tete Dissertation (McMaster University, Hamilton, Kanada, 2016), die von Eileen Schuller betreut wurde. Der Titel zeigt Gegenstand und Ergebnis an: Es geht um die spezifische Angelologie der Qumran-Gemeinde, die aus der Vorstellung, dass bestimmte Engelsgestalten besonders mit Israel verbunden sind, eine Stärkung der eigenen Identität als wahres Israel ableitet.
Hintergrund der Problemstellung von Matthew L. Walsh ist die beispielsweise am Danielbuch zu machende Beobachtung, dass es in der spätnachexilischen Zeit verschiedene Engelskonzeptionen gegeben hat, bis hin zu Phänomenen wie Namensgebung, Hierarchisierung und Zuordnung konkreter Aufgabenbereiche. So rettet ein »Engel« in Dan 3+6 Daniel und seine Freunde, in Dan 4 ist von einem »heiligen Wächter« die Rede, der auch Nebukadnezar be­straft, und Dan 10 belegt die Vorstellung von himmlischen »Fürs-ten«, die den jeweiligen Völkern zugeordnet sind und in ihrer Sphäre die Auseinandersetzungen der irdischen Völker spiegeln. Es leuchtet ein, dass die divergierenden Konzepte bei ihrer späteren Rezeption vereinheitlicht oder verändert wurden, was allerdings bisher auch durchaus breit erforscht und dargestellt wurde.
Kapitel 1 »General Introduction, History of Research, and Objectives and Plan of Study« (1–26) führt in die Problematik ein, stellt ausführlich und gut strukturiert die Forschungsgeschichte dar und skizziert dann knapp das Vorgehen: Gegenstand der Untersuchung sind Bücher aus der »mid and late Second Temple Period« (26), in denen das Verhältnis von angelischen Gestalten zu Israel bzw. zu bestimmten Gruppen innerhalb Israels erhoben wird.
Kapitel 2 »Angels Associated with Israel: Conceptual Founda-tions« (27–55) zeichnet in groben Strichen ein Bild von Hofstaat- bzw. Engelsvorstellungen. Begonnen wird bei ugaritischen Texten und ihrer Vorstellung der Götterversammlung und der Hierarchie der Götter. Bei der Darstellung alttestamentlicher Texte wird danach eine Trennung zwischen Engeln als Wächtern und Engeln mit priesterlichen Funktionen vorgenommen. Für die erste Vorstellung werden Dtn 32,8–9 (Qumran- und LXX-Lesart: »Söhne Gottes« statt »Söhne Israels«), Ps 82,1–8 und Jes 24,21–23 dargestellt. Während in Dtn 32 die Gottessöhne einfach als JHWH untergeordnet benannt werden, geschieht in Ps 82,7 ihre Abwertung, weil sie sich nicht an JHWHs Willen halten, ihre Frevelhaftigkeit hat Konsequenzen für die ganze Erde. Jes 24,21 erweitert dies dahingehend, dass irdische Konflikte mit himmlischen Götterkämpfen parallel laufen und von ihnen abhängig sind (vgl. Dan 10). Für Israel tritt dabei entweder Gott selbst oder ein Engel ein, an den Gottes Macht delegiert wird. Für die zweite Vorstellung priesterlicher Engel gibt es dagegen keinen sicheren Beleg in der Hebräischen Bibel, allerdings wurden Mal 2,4–7 und Jes 63,8 f. später so gedeutet.
Das umfangreichste 3. Kapitel ist etwas irreführend mit »Angels Associated with Israel in Second Temple Period Qumran Texts of a Non-Sectarian Provenance« (56–148) überschrieben. Im Zentrum des Interesses stehen das Daniel- und das Henochbuch, die zwar in Qumran belegt sind, aber nur insofern als »Qumran-Texte« anzusprechen sind, als sie dort in hohem Ansehen standen. Weitere in diesem Abschnitt ausgelegte Texte sind Passagen aus dem aramäischen Levi-Testament, die Reden/Visionen Amrams, Tobit, Jubiläen, aus dem Weisheitstext 4QInstruction und dem sogenannten »Sohn Gottes«-Text 4Q246. Durch die Konzentration auf hebräisch- aramäische Texte bleiben leider die inhaltlich gut passfähigen Engel-Passagen der Makkabäerbücher außerhalb der Betrachtung. Die Texte werden m. E. sachgemäß ausgelegt, die Breite der Forschung ist berücksichtigt und wird in einem ausführlichen An­merkungsapparat dargestellt, so dass der Haupttext noch lesbar bleibt (vgl. etwa 59–73 die konzentrierte Darstellung zu Dan 7). In Übereinstimmung mit der bisherigen Exegese wird die hohe ­Be­deutung der Engelsvorstellungen herausgestellt, sowohl hinsichtlich der Schutzfunktion als auch der priesterlichen Funktionen im himmlischen Heiligtum. Betont wird zum einen, dass die Aktionen der Engel immer dem Handeln Gottes untergeordnet erschei nen. Zum anderen wird beobachtet – dies als Vorgriff im Un-terschied zu den sectarian texts –, dass die Größe »Israel« in diesen Texten weit gefasst werden kann, nicht auf eine konkrete Gruppe eingeschränkt wird.
Die nächsten beiden Hauptabschnitte widmen sich nun solchen Texten, die der Qumran-Gruppe zugeschrieben werden, differenziert nach den beiden eingangs gekennzeichneten Aufgabenbereichen der Engel: Kapitel 4 »Angels Associated with Israel in the Sectarian Texts Part I: Angelic Guardians« (149–201); Kapitel 5 »Part II: Angelic Priests« (202–274). Im ersten Teil stehen die kämpfenden Engel im Fokus, behandelt werden ausführlicher die sogenannte »Sektenregel« 1QS III f., 11QMelchisedek und die Kriegsrolle 1QM. Hier wird in das vielschichtige dualistische Denkgebäude eingeführt und deutlich gemacht, dass die Angelologie ein wesentlicher Bestandteil der eigenen Identitätsbildung ist: Die Engel unterstützen die Gemeinde als das wahre Israel, beim eschatologischen Krieg bilden sogar der Kriegsrolle zufolge Engel und Jachad gemeinsam das Los Gottes. Im zweiten Teil stehen neben kürzeren Texten und Abschnitten aus 1QS vor allem die Hodayot und die Sabbat-Opfer-Lieder im Mittelpunkt. Hier zeigt sich ein vergleichbares Bild. Der irdische Gottesdienst der Qumran-Gruppe und der angelische im archetypischen himmlischen Heiligtum sind aufeinander bezogen, so dass die Gemeinde als wahres Volk Gottes besonders ausgezeichnet ist. Die Sabbatlieder vermitteln dabei Einblicke in den himmlischen Tempel und seine Liturgie, die anderen nicht möglich sind. So nähern sich die Mitglieder der Qumran-Gemeinde wie die maskilim in Dan 12 den Engeln an. In einer Texttradition, dem mehrfach belegten sogenannten »Self-Glorification Hymn« (4Q491 u. a.), er­hebt sich gar der Sprecher über die Engel, wobei nicht eindeutig ist, ob dies kollektiv oder individuell (etwa der Lehrer der Gerechtigkeit oder der aktuelle Anführer der Gemeinde) gemeint ist.
Kapitel 6 »Conclusions and Expanding the Scope« (275–283) fasst dann die Ergebnisse der sehr detailreichen Studie nochmals kurz zusammen, die durch die üblichen Indizes gut erschlossen wird. Sie macht deutlich, wie viel weiter in Qumran die Engelsvorstellung ausdifferenziert wurde, als dies aus anderen Texten bekannt ist. Ihre Grundthese, dass die erweiterte Angelologie zugleich ein wichtiger Identitätsmarker der Gemeinde war, ist zwar u. a. schon von D. Dimant vorgetragen worden (3, Anm. 11), wird hier aber plausibel und differenziert vorgetragen.