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Ausgabe:

Juni/2021

Spalte:

584–585

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Nitsche, Bernhard, Baab, Florian, u. Dennis Stammer [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Gott – Geist – Materie. Personsein im Spannungsfeld von Natur und Transzendenz.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2020. 216 S. = ratio fidei, 73. Kart. EUR 29,95. ISBN 9783791731919.

Rezensent:

Johannes Bulitta

Untersuchungsgegenstand des vorliegenden Sammelbandes ist die alt-neue, wohl nie endgültig zu lösende Spannung zwischen Geis-tigkeit und Materialität. Im Anschluss an eine namentlich nicht gekennzeichnete Einführung (7–25) nähern sich Herausgeber und Autoren dieser Spannung aus drei Richtungen:
A. Philosophische Einordnung der Thematik (27–98): Florian Baab rekapituliert Descartes’ Substanzentheorie und stellt zwei verbreitete Fehlurteile richtig: Der Dualismus ist primär erkenntnismäßig und nur sekundär ontologisch zu verstehen. Sowie: Die berühmte Zirbeldrüse hat im Prinzip nicht viel mit ihm zu tun. Bemerkungen zu Fechner und Th. Nagel konfrontieren diese Ge­danken mit panpsychistischen Vorstellungen. Dennis Stammer präsentiert Konzepte der Proto- und der Transpersonalität, mit denen womöglich dem Problem allzu starker Emergenzsprünge von Materialität in Richtung Personalität zu begegnen ist. William James, C. G. Jung und Ken Wilber spielen hier ihre Rollen, philosophische und psychologische Begrifflichkeiten sollten aber, so eine Mahnung, klar voneinander unterschieden werden. Begriffliche Differenzierung mahnt auch Ermylos Plevrakis an, wenn er den ›Gott der Philosophen‹ und den personalen Gott der Religion unterschieden sehen möchte. Im Anschluss an Hegel wird der Begriff reiner Selbstbezüglichkeit panentheistischen und transpersonalistischen Vorstellungen an die Seite gestellt, um »Würde und Bedeutung der Person auch angesichts des Absoluten« (70) zu wahren. Die Krise der modernen Rationalität zu diagnostizieren, ist für Martin Bunte der erste Schritt zu ihrer Heilung. Eine Ursache dieses Missstandes macht der Autor in der Naturwissenschaft aus, sofern sie Gegenstand eines philosophischen Aberglaubens geworden sei. Das Therapeutikum heißt kritisches Philosophieren. Philip Clayton vertieft das Emergenzproblem und lotet das Konzept des religiösen Naturalismus auf seine problemlösenden Potentiale hin aus.
B. Grenzwissenschaftliche Perspektive (99–159): Kann die in der Biologie übliche funktionalistische Redeweise auch ontologisch dem gängigen und häufig fraglos vorausgesetzten Reduktionismus die Stirn bieten? Johanna Häusler bringt interessante Ge­sichtspunkte zur Bejahung dieser Frage vor, auch derjenigen, wie denn nun die Verbindung von reiner Materialität zu Subjektivität– etwa durch Emergenz oder Protosubjektivität – zu denken ist. Katja Thörner verfolgt die Entwicklung der Gedanken William James’ zu dem, was man heute proto- bzw. transpersonales Be­wusstsein nennen würde. Kernpunkte seiner Philosophie sind radikaler Empirismus, Meliorismus und die Vorstellung eines pluralistischen Universums. Auch von C. G. Jung war bereits die Rede; die Rolle seiner Psychologie bei der Entstehung transpersonaler Vorstellungen wird von Daniel Rumel näher umrissen, der naheliegenden Gefahr einer begrifflichen Verwirrung soll gesteuert werden. Familienähnlichkeiten des Jungschen Denkens zu be­stimmten Theologien werden benannt. Das psychologische Thema spielt dann Michael Utsch weiter und plädiert für eine stärkere Ko­operation zwischen Psychologie, Naturwissenschaft und Theologie; Menschenbilder treffen aufeinander. Es kann nicht überraschen, dass der Autor in den einschlägigen Debatten eine Pendelbewegung diagnostiziert; zurzeit weist sie in Richtung gegenseitiger Offenheit.
C. Theologische Perspektive (161–215): Die Brücke zur Pneumatologie als eigentlich theologischem Thema schlägt Reinhold Bernhardt. Genauer sind es Theorien der Selbstorganisation, die, von den Naturwissenschaften herkommend, Möglichkeiten zu einer Neutaxierung des Verhältnisses zwischen diesen und der Theologie eröffnen. Gleichwohl warnt der Autor vor Kritiklosigkeit und führt etwa Barbours Vorstellungen unterschiedlicher Erkenntnisbereiche an. Gottes Geist wird dann als eine Art causa formalis vorgestellt, genauer als morphogenetisches Kraftfeld. Freilich: Eine erkenn- und verstehbare Verbindung zur empirischen Welt in ihrem naturwissenschaftlich interpretierten Sosein herzustellen, bleibt problematisch. Es gibt keinen kausalen »link« (175). Auch die Darstellung der Wirkungsweise des Geistes bleibt ein wenig im Metaphorisch-Interpretablen. Aus der theologischen Tradition des Ostens, näherhin der Pneumatologie des Johannes von Dalyatha, schöpft Nestor Kavvadas eine ganz andere Möglichkeit des Übergangs vom Materiellen zum Geistigen, nämlich eine dreistufige Heiligung und Erleuchtung der Seele durch den Geist Gottes. Die Grenze des Personalen begrifflich und gedanklich in die andere Richtung zu überschreiten, nämlich vom Heiligen Geist her in Richtung des Menschen, unternimmt abschließend Bernhard Nitsche und greift hierbei in erster Linie auf das Denken Pannenbergs, Hilberaths und Rahners zurück, wobei auch ein typisch Rahnerischer Ton nicht zu überhören ist.
Ein inhalts- und perspektivenreicher Band, um dessen Quintessenz sich der Leser freilich selbst zu bemühen hat.