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Ausgabe:

Juni/2021

Spalte:

567–569

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Meister Eckhart

Titel/Untertitel:

Reden der Unterweisung. Hg., neu übers. u. kommentiert v. V. Leppin.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 167 S. = Große Texte der Christenheit, 8. Kart. EUR 15,00. ISBN 9783374061273.

Rezensent:

Markus Vinzent

Auch wenn es sich beim vorliegenden Text um einen relativ kurzen Text von 23 Kapiteln handelt, der in der neuen Übersetzung gerade einmal 56 Druckseiten umfasst, gehört er doch unbestreitbar zu den großen Texten der Christenheit, weshalb er glücklicherweise für diese schöne Reihe in der Evangelischen Verlagsanstalt ausgewählt wurde. Sein Bearbeiter, der bekannte Eckhart- und Lutherforscher, ist bestens ausgewiesen, hat er sich doch schon vielfach um die Rückbindung der Reformation an das mittelalterliche Erbe und umgekehrt um die Fortwirkung nicht nur Eckharts im Zeitalter der Reformation bemüht. Gleich im Vorwort stellt er darum seinen Zugang als »evangelischer Theologe« heraus und gibt reflektierend zu bedenken: »Auch Perspektive gehört zur Lektüre dazu – und diese Perspektive jedenfalls halte ich für einen wichtigen Beitrag zum Verständnis Meister Eckharts einerseits, der evangelischen Theologie andererseits« (6). Später gibt er zu erkennen, dass Perspektivität bzw. auch die Möglichkeit der Perspektivumkehr geradezu zum Inventar von Eckharts Denk- und Sprechweise ge­hört (108).
Die Publikation umfasst zunächst die Neuübersetzung von Eckharts »Reden der Unterweisung« (9–67), danach eine kurze Einführung in »Meister Eckhart: Theologe, Mystiker, Philosoph« (69–89), und schließlich den inhaltlichen Kommentar, der die Schrift gliedert in die Themen zu »Gelassenheit« (Kapitel 1–8; 89–114), »Sünde und Buße« (Kapitel 9–16; 114–129), »Neues Leben: Nachfolge Christi« (Kapitel 17–23; 130–159) und eine kurze »Zusammenfassung: Eckhart als christlicher Lese- und Lebemeister« (159–164), gefolgt von einem Anhang mit Literatur und Zeittafel.
Die Übersetzung folgt dem von Josef Quint erstellten kritischen Text der großen Werkausgabe Eckharts (DW V).
Da die Neuübersetzung sich an das breitere Publikum wendet, nimmt man dankbar wahr, dass der Übersetzer es an vielen Stellen gewagt hat, von der sprachlich sicher veralteten Quintübersetzung Abstand zu nehmen. So heißt es etwa: »Wo der Mensch in Gehorsam aus sich herausgeht und sich von dem Seinen löst, gerade da muss Gott notwendigerweise wieder hineingehen« (statt Quint: »Wo der Mensch in Gehorsam aus seinem Ich herausgeht und sich des Seinen entschlägt, ebenda muß Gott notgedrungen hinwiederum eingehen«). Der Text liest sich flüssiger, allerdings macht er den eigentümlichen Wechsel von »aus sich« (Quint: »Ich«) und dem »Seinen« für dasselbe »des sînen« im Text mit Quint nach, was den Sinn gegenüber den mittelhochdeutschen Text etwas verschiebt, weil durch das zweimalige »des sînen« ja gerade verdeutlicht wird, dass sich der Mensch von genau dem löst, aus dem er herausgegangen ist. Ähnlich hätte man sich auch weitere sprachliche Verbesserungen gewünscht, wo Quint nicht nur einer sprachlich anderen Generation angehört, sondern auch den Sinn des Textes wie hier nicht genau getroffen hat. Leider schleichen sich auch gleich schon zu Anfang Übersetzungsvarianten ein, die sich vom Text lösen, ohne ihn dadurch dem heutigen Publikum näherzubringen. Die Überschrift des Textes wird folgendermaßen übertragen: »Das Folgende sind die Reden, die der Vikar von Thüringen und Prior des Dominikanerkonvents in Erfurt, Bruder Eckhart, Mitglied des Predigerordens, denjenigen geistlichen Kindern gehalten hat, die ihn rund um diese Reden vieles gefragt haben, wenn sie abends beim Gespräch beieinander saßen«. Nun findet sich im Text der Ausdruck »des Dominikanerkonvents« nicht, oder, wollte man so übersetzen, hätte man das etwas nachstehende »Mitglied des Predigerordens« (im Text steht »predigerordens«) tilgen müssen, doch derl ei Zusätze würde man entweder in Klammern oder, für eine allgemeine Leserschaft, im Kommentar erwarten. Dass dann das bei Quint in Klammern gesetzte »(geistlichen) Kindern« ohne Klammern in die Übersetzung aufgenommen wurde für »kindern« ist fragwürdig. Im Kommentar wird denn auch erklärt, dass die Zuhörerschaft »schlicht seine Brüder« waren, »nicht nur die Jüngsten unter ihnen« (85). Damit schließt sich Leppin Quint an, der diese »rede« an »Ordensleute und nicht an Laien« gerichtet sah (Quint, Deutsche Predigten und Traktate, 1979, 460), doch hat Yoshiki Koda (Mystische Lebenslehre zwischen Kloster und Stadt, 1997, 227) gute Gründe vorgebracht, wonach 14 der 23 Kapitel das städtische Publikum adressieren und damit die Leserschaft nicht nur ordensintern zu suchen ist. Leppin sieht das auch im Kommentar, wenn er den Text »den Herausforderungen und Möglichkeiten eines spirituellen Lebensweges, wie ihn die Dominikaner gehen wollten, aber mit Perspektiven, die weit über das monastische Leben hinausweisen« gewidmet sieht. Dazu passt auch, dass die Forschung heute die Eckhart zugeschriebene cura monialium, von der später im Überblick zu Eckhart die Rede ist, als eine zu enge Beschreibung von Eckharts Aufgabenfeld sieht (78). Noch ein kleiner Stolperstein gleich in der Eröffnung stellt die Übertragung von »vor allen tugenden« dar (11), wenn es heißt »Wahrer und vollkommener Gehorsam ist eine Tugend, die über alle anderen Tugenden hinausgeht«. Der nächste Satz lehrt denn auch, dass, wie Quint mit seiner Übersetzung richtig sieht, es tatsächlich um das Vorange-hen dieser Tugend, nicht um das Vor- oder Übertreffliche dieser Tugend geht, wenn Eckhart fortfährt: »Kein noch so großes Werk kann ohne diese Tugend geschehen oder getan werden […] Gehorsam wirkt immer das Allerbeste«. Es geht also um die erste Tugend, die vor allen anderen Tugenden und allen anderen, auch frommen Handlungen wie »Messelesen- und hören« usw. steht.
Kritisieren ist einfacher als Übersetzen und Kommentieren – darum will ich hier nicht weitere Beispiele anführen, sondern vielmehr auf die vielen gelungenen Stellen und Neuübertragungen verweisen, die den Text tatsächlich einem zeitgenössischen Lesepublikum erschließen. Vorzüglich ist vor allem der textnahe, je­doch souverän übergreifende Themen behandelnde Kommentar, aus dem nicht nur eine evangelische Leserschaft viel Gewinn ziehen kann. Regelmäßig wird darin nicht nur der vorliegende Text für sich erschlossen, sondern ins Gesamt des bisher edierten deutschen und lateinischen Werkes Eckharts eingeordnet. Der vorliegenden Schrift wünscht man deshalb eine große Lesergemeinde, die entdecken wird, dass Denken und Leben auch im späten Mittelalter höchst kreativ, innovativ und kritisch sein konnte und sowohl damals wie heute nicht nur Ordensangehörige und Geistliche, sondern auch Laien ansprach.