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Ausgabe:

Juni/2021

Spalte:

540–542

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bartholomew, Craig G.

Titel/Untertitel:

The God Who Acts in History. The Significance of Sinai. Foreword by W. J. Abraham.

Verlag:

Grand Rapids. u. a.: Wm. B. Eerdmans 2020. 265 S. Kart. US$ 29,99. ISBN 9780802874672.

Rezensent:

Reinhold Bernhardt

Es ist eine interessante Konstellation, wenn sich ein Alttestamentler der Frage nach dem Handeln Gottes zuwendet, die in den letzten Jahrzehnten in der Systematischen Theologie debattiert wurde, wenn er sich dabei in die Philosophiegeschichte begibt und in engem Austausch mit jüdischer Exegese und Religionsphilosophie steht. Der aus Südafrika stammende Anglikaner Craig G. Bartholomew lehrte ab 2004 Philosophie in Kanada. Der größte Teil des hier zu besprechenden Buchs ist während eines Forschungsaufenthalts a m Herzl Institut in Jerusalem (2015–2017) entstanden. Seit 2017 leitet B. das »Kirby Laing Institute for Christian Ethics«, Tyndale House, in Cambridge, GB. Seine theologische Position bestimmt er folgendermaßen: »I operate in the evangelical tradition and draw deeply from the well of Reformed theology and philosophy.« (XVII)
Sein Buch steht in der Tradition des in den 1940er Jahren entstandenen »Biblical Theology Movement«. 1952 hatte George Ernest Wright in »God Who Acts: Biblical Theology as Recital« die Auffassung vertreten, biblischer Glaube bestehe im Kern in der bekenntnishaften Rezitation der »mighty acts of God«, wie sie in den beiden biblischen Testamenten überliefert sind. Diese Bewegung grenzte sich sowohl von historisch-kritischer Bibelforschung als auch von einer philosophisch ansetzenden Theologie ab. Theologie müsse auf der Offenbarung Gottes in der Geschichte gegründet sein. In seiner Darstellung »Biblical Theology in Crisis« (1969) arbeitete Brevard S. Childs die Schwächen dieses Projekts heraus: die einseitige Fixierung auf Geschichtsereignisse als unmittelbare Offenbarung Gottes, die hermeneutische Naivität im Blick auf die Wahrnehmung dieser Ereignisse als Offenbarung Gottes, das Beharren auf der Einheit der biblischen Überlieferung und der Einzigartigkeit ihres Inhalts gegenüber der religiösen Umwelt, das mangelnde Bewusstsein für unterschiedliche Sprachformen und nicht zuletzt das anthropomorphe Verständnis Gottes als Handelndem im Gegenüber zu kreatürlichen Handlungsinstanzen. B.s Wiederbelebung des Projekts einer Biblischen Theologie bemüht sich, diese Schwächen zu vermeiden, bleibt ihnen aber verhaftet.
Den Ausgang nimmt B. bei der für ihn irritierenden Beobachtung, dass jüdische und christliche Gelehrte die grundlegende Be­deutung der Sinaioffenbarung für die Hebräische Bibel, für das Selbstverständnis des Judentums und für das christliche Alte Testament betonen, dabei aber die Frage nach der Historizität dieses Ereignisses entweder offen lassen oder sogar negativ beantworten. Reale Gottesbegegnung im Sinne eines historischen Geschehens oder menschliche Imagination, so lautet die Alternative. Der gesamte Darstellungsgang zielt darauf, die Historizität der Begegnung Mose mit Gott am Sinai zu behaupten, weil nur dann die theologische Bedeutung der dort empfangenen Offenbarung fundiert sei und weil nur dann auf ein gegenwärtiges und zukünftiges Handeln Gottes in der Geschichte gehofft werden könne. Von der Fokussierung auf das Sinaiereignis ausgehend zieht B. immer weitere Kreise: Es geht ihm nicht nur um die Realität dieses Ereignisses und um die Historizität seiner Überlieferung, sondern um die Möglichkeit und Wirklichkeit des Handelns Gottes in der Ge­schichte generell. Um diese behaupten zu können, muss ihm zufolge sichergestellt sein, dass Gott in der Kommunikation mit Mose – wie auch sonst – mit menschlicher Sprache oder zumindest auf eine für Menschen verstehbare Weise – sprechen kann und gesprochen hat. B. führt eine Abrechnung mit der historischen Bibelforschung, die diese Annahmen in Zweifel zieht, Inkohärenzen der biblischen Überlieferungen (wie sie gerade auch in Ex 19–24 offensichtlich sind) auf die Zusammenfügung unterschiedlicher Quellen zurückführt, den »human factor« bei der Bildung biblischer Überlieferungen betont und die Frage der Historizität hinter die literarkritische Rekonstruktion des Textes und die Erhebung der theologischen Aussageabsicht zurückstellt (»the story is more important than the event«, 3). Für eine solche Theologie, die das Handeln Gottes in der Geschichte nicht ernst nehme, gilt nach B. die von Saul Bellow formulierte Mitleidsbekundung: »poor bird, not knowing which way to fly« (188). Von hier aus fragt B. weiter nach den philosophischen Hintergründen der historisch-kritischen Bibelforschung, die er vor allem bei Spinoza und Kant ausmacht. Und er fragt kritisch nach den Programmen einer philosophischen »perfect-being«-Theologie, die im Judentum von Maimonides und im Christentum von Thomas von Aquin entwickelt worden seien. Diese Programme leiden ihm zufolge am gleichen Grundfehler wie die historisch-kritische Bibelforschung: an der Überschätzung der menschlichen Rationalität und Autonomie ge­genüber dem biblisch geforderten Hören auf die Stimme Gottes. »[T]o […] make our reason the source of the moral law is, in my view, perverse and quite wrong.« (30)
Die Durchführung des Programms beginnt mit einem ausführlichen Referat des Buchs »Revelation and Autority. Sinai in Jewish Scripture and Tradition« von Benjamin D. Sommer, der eine historisch-kritische Lektüre des Pentateuch durchführt und dabei die philosophischen Spuren legt, die B. dann aufnimmt: die Spur zu Maimonides, zu Spinoza und zu Kant. Er will damit zeigen, wie schon in deren philosophischen Voraussetzungen die Möglichkeit eines realgeschichtlichen Handelns Gottes – oder doch zumindest die Erkenntnis eines solchen Handelns – ausgeschlossen ist. Die von Spinozas Monismus und von Kants Idealismus geprägte historische Bibelforschung sei keineswegs eine weltanschaulich neutrale Analyse, sondern gründe in einem ideologischen Naturalismus und in einem methodischen A-Theismus. Dem setzt B. eine dezidiert theistische Auslegung entgegen (191). Exegetisch besteht diese darin, die Endgestalt des biblischen Textes als kunstvoll gestaltete Einheit zu sehen. Inkohärenzen, Brüche und Wiederholungen werden als Erzähltechniken gedeutet: als Perspektivwechsel in der Beschreibung des gleichen Ereignisses, als Umkreisen des Geschehens, statt es in seinem chronologischen Ablauf zu beschreiben, als Rückblenden, als verdichtende Repetitionen. Offensichtlich wird der Bibeltext hier in eine poetologische Harmonisierungsagenda eingespannt.
Die Deutung der Sinai-Überlieferung wie überhaupt die Frage nach dem Handeln Gottes in der Geschichte stellen dabei aber lediglich das Feld dar, auf dem B. seine Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Bibelforschung und der philosophischen Theologie um die Frage nach dem Handeln Gottes in der Geschichte und um die Historizität der dieses Handeln bezeugenden biblischen Überlieferungen führt. Für die systematisch-theologische Diskussion um diese so wichtigen Fragen bietet dieses Buch keine weiterführenden Impulse. Es entfaltet lediglich die Behauptung, dass Gott handelt und dass dieses Handeln in der Bibel historisch verlässlich bezeugt ist.