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Ausgabe:

Mai/2021

Spalte:

428–429

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Labouvie, Eva [Hg.]

Titel/Untertitel:

Glaube und Geschlecht. Gender Reformation.

Verlag:

Köln u. a.: Böhlau Verlag (Vandenhoeck & Ruprecht) 2019. 387 S. m. zahlr. Abb. Geb. EUR 60,00. ISBN 9783412512484.

Rezensent:

Susanne Schenk

Mit diesem Buch liegt die Frucht einer Tagung aus dem Sommer 2017 vor, die von der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg als Beitrag zum »Reformationsjahr« veranstaltet wurde. Herausgeberin des Bandes ist Eva Labouvie, Professorin für Geschichte der Neuzeit mit dem Schwerpunkt der Geschlechterforschung. Sie versammelt in ihrem Band 15 Beiträge aus verschiedenen historischen und angrenzenden Disziplinen. Labouvies Anliegen ist es, »die Reformationsforschung mit der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Glaube und Geschlecht und den Folgen der ›Gender Reformation‹ bis heute um eine der grundlegenden geschlechterwissenschaftlichen Facetten des reformatorischen Geschehens mit Langzeitwirkung zu erweitern« (32).
Einen Beitrag dazu, Perspektiven der Frauen- und dann auch der Geschlechterforschung in die allgemeine (Kirchen-)Ge­schichts­schreibung der Reformation einzutragen, leistet der Ta­gungsband vor allem durch seine spezifische Zusammenschau, die die einzelnen, zu einem guten Teil schon länger erprobten Forschungsbeiträge im Zentrum der reformatorischen Theologie verwurzelt (Kapitel I und II). Beachtung verdient zudem das Unternehmen, einen Bogen von der Reformation des 16. Jh.s hin zu Geschlechterthemen des 20. und 21. Jh.s zu spannen und dabei den Blick ökumenisch und interreligiös zu weiten (Kapitel III).
Die ersten beiden Kapitel enthalten Aufsätze zu Theorie (I) und Praxis (II) der Geschlechterfrage in der Reformation. Sie werden eröffnet von zwei Koryphäen der deutschsprachigen historischen Frauen- und Genderforschung, der Historikerin Heide Wunder (»Glaube und Geschlecht. Alte und neue Debatten«) und der evangelischen Kirchenhistorikerin Ute Gause (»Geschlechterkonstruktionen der Reformation – Wandel, Konstanz, Interdependenzen«). In eindrücklichem Gleichklang heben beide das Allgemeine Pries-tertum und das reformatorische Eheverständnis, pointiert wahrnehmbar in der Priesterehe, als entscheidende Größen für die Neubestimmung von Geschlechterrollen und -verhältnis hervor. Wunder schreibt dem von Luther 1520 publizierten Priestertum aller Getauften zu, es habe »für beide Geschlechter, besonders aber für Frauen, in der Frühen Neuzeit – bis in die Gegenwart – eine bleibende Dynamik entfaltet« (63); mit dem Allgemeinen Priestertum, das die »Binarisierung der Gesellschaft in Klerus und Laien« aufbrach (Gause, 77), verband sich ein emanzipatorisches Verständnis christlicher Mündigkeit – der Laien und damit auch der Frauen. Die Priesterehe verkörperte nicht nur jenen gesellschaftlichen Aufbruch, sie machte auch eine »Aufwertung von Ehe und Sexualität« (Gause, 77) sichtbar, die für Eheleute im reformatorischen Kontext die »Aufwertung ihres spirituellen wie ihres sozialen Status« (Wunder, 63) bedeutete.
Die weiteren Aufsätze der Kapitel I–II lassen sich dem Kräftefeld zuordnen, das die beiden genannten reformatorischen »Marker« (Gause, 76) bezeichnen. Hier werden auch Kehrseiten und Kehren der Entwicklung benannt. So verdeutlicht Julia A. Schmidt-Funke im einzigen Aufsatz des Bandes, der sich dezidiert dem Feld der historischen Männerforschung widmet, dass die Zentrierung des Geschlechterverhältnisses auf die Ehe zu einer Reduktion gesellschaftlich akzeptierter Männlichkeitsentwürfe führte (»Buben, Hausväter und neue Mönche. Reformatorische Männlichkeiten«). Dass die öffentlichen Spielräume geistlicher Parität, die sich Frauen auf der Basis des Allgemeinen Priestertums erschlossen, nach den Aufbruchsjahren der reformatorischen Bewegung wieder geschlossen wurden, zeigt Nicole Grochowina an einem Beispiel aus dem Kontext des Täufertums: Das Martyrium, Herzstück täuferischer Glaubenserfahrung der Anfangszeit und an sich ein exzellentes Symbol der Parität, wurde in der Erinnerungskultur auf den Linien der vorherrschenden Geschlechterordnung gedeutet; die weiblichen – und männlichen – Rollenvorbilder wurden so auf ein gesellschaftlich vorgegebenes Maß zurückgeschnitten (»Ge­schlechterunordnung durch neue Lebensformen? Weiblichkeit und Männlichkeit in täuferischen Martyrologien«).
Nur der letzte Aufsatz des zweiten Kapitels spannt den Bogen über das Reformationsjahrhundert hinaus. Unter der Überschrift »Pietismus in weiblicher Generationenfolge. Christine zu Stolberg-Gedern und Sophie Charlotte zu Stolberg-Wernigerode als Gestalterinnen des Pietismus in der Grafschaft Wernigerode« wendet sich Mareike Fingerhut-Säck mit dem Pietismus einem Aufbruch des 17./18. Jh.s zu, der stark auf das Allgemeine Priestertum – nun »aller Glaubenden« – rekurrierte und Frauen neue Spielräume eröffnete sowie »ein neues Egalitätsmodell, legitimiert über den Glauben« (253) schuf. Für die Spannkraft des Bogens bis zur Gegenwart, der sich dann das dritte Kapitel widmet, wäre zum Abschluss des zweiten Kapitels noch ein Beitrag zum 19. Jh. hilfreich gewesen. Denn dieses Jahrhundert schuf nicht nur mit der Diakonisse einen ge­nuin protestantischen Frauenberuf, sondern prägt mit seinen Dualismen bis heute unser Geschlechterwissen (vgl. Gause, 86) und damit eine Folie, vor deren Hintergrund heutige Auseinandersetzungen um Geschlechterfragen geführt werden.
»III. Aktuelle Geschlechterdiskurse in den Weltreligionen« – diese Überschrift weckt Erwartungen, die nur teilweise erfüllt werden; lediglich zwei der fünf Aufsätze des dritten Kapitels nehmen Weltreligionen über das Christentum hinaus in den Blick. Der aus religionswissenschaftlicher Perspektive verfasste Beitrag Birgit Hellers, »Weltreligionen und Geschlecht. Rollen, Bilder und Ordnungen der Geschlechter in vergleichend-systematischer Perspektive«, stellt hier einen indirekten Bezug zu den beiden vorausgehenden Kapiteln her, wenn er als Gemeinsamkeit der untersuchten und als »weitgehend androzentrisch geprägt […]« (323) beurteilten Religionen festhält: »In der Entstehungsphase waren Frauen aktiv beteiligt und konnten verschiedene Rollen einnehmen.« (326)
Unter den drei Aufsätzen des Kapitels, die sich rein auf das westliche Christentum beziehen, ist hier derjenige der römisch-katholischen Dogmatikerin Margit Eckholt (»Ämter für Frauen in der katholischen Kirche? Gender-Diskurse aus der Perspektive der systematischen Theologie«) hervorzuheben, da er auf besondere Weise die ökumenische Ausrichtung des Reformationsjubiläums 2017 aufnimmt, dem dieser Band gewidmet ist. Just an der sensiblen Stelle der Ämterfrage, an der die beiden »Marker« nach wie vor – seit Einführung der evangelischen Frauenordination noch deutlich verstärkt – einen wesentlichen Unterschied zwischen römisch-katholischer und evangelischen Kirchen in Theorie und Praxis markieren, gelingt es Eckholt, indem sie gemeinsame gendertheoretische Desiderate benennt, zu einem ökumenischen Ausblick zu gelangen.
Labouvies Sammelband ist edel und leserfreundlich gestaltet: Bunte Bildtafeln in guter Qualität illustrieren die Ausführungen, ein Anhang mit jeweils rund halbseitigen Angaben zu den Autoren und Autorinnen ermöglicht einen informierten Zugang zu den Beiträgen und ebnet zusammen mit dem ausführlichen Literaturverzeichnis zum Schluss den Weg für vertiefende Eigenstudien. Ein Personenverzeichnis hätte die Erschließbarkeit der Beiträge noch erhöht.