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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

369-370

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rivinius, Karl Josef

Titel/Untertitel:

Andreas Amrhein OSB und die Anfänge der Benediktinermission in Ostafrika.

Verlag:

Sankt Ottilien: EOS Editions 2019. 411 S. m. Abb. = Ottilianer Reihe, 16. Kart. EUR 39,95. ISBN 9783830679530.

Rezensent:

Michael Sievernich

Als der aus der Schweiz stammende Benediktiner Andreas Amrhein (1844–1927) die Missionsaufgabe für Mönche wiederentdeckte, war dies in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s ein Novum. Ihm gelang es, mit Hilfe vieler Unterstützer und trotz Widerständen in Staat und Kirche, konzeptionell und finanziell Missionshäuser in Deutschland und Missionsprojekte für Afrika zu planen und auf den Weg zu bringen. Dieses monastische Projekt war eingebettet in den neuen missionarischen Aufbruch, den die Katholische Kirche ab dem Beginn des 19. Jh.s erlebte, der sich in den zahlreichen Neugrün dungen von männlichen und weiblichen Missions-Orden und -Gesellschaften widerspiegelte.
Die komplexe Geschichte Amrheins und seines Werks analysiert in diesem Buch anhand zahlreicher archivalischer Quellen der Historiker Karl Josef Rivinius, der bis zu seiner Emeritierung an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in St. Augustin Mittlere und Neuere Kirchengeschichte lehrte, spezialisiert auf Missionsgeschichte. Zeitlich spielt die bewegte Geschichte Amrheins in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s, in dem einerseits im Deutschen Reich die Katholiken unter dem »Kulturkampf« zu leiden hatten und in dem andererseits die von Bismarck veranstaltete Berliner Konferenz 1884/85 der europäischen Mächte fast den gesamten afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten und im Zeitalter des Imperialismus ihre Kolonialherrschaft installierten.
Der Band ist übersichtlich in acht Kapitel gegliedert, deren erste vier dem zeitgenössischen Kontext und dem Protagonisten gewidmet sind, während die folgenden vier Kapitel die Gründungen der monastisch geprägten Missionsstationen im kolonialen Deutsch-Ostafrika schildern, das heute weitgehend Tansania umfasst. R. eröffnet sein Buch mit einem Aufriss der Missionsepoche der Neuzeit, der sich auf die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches im 19. Jh. konzentriert, aber auch die Antisklavereibewegung der Zeit einbezieht, die zum Teil auch den Loskauf von Sklaven beinhal-tete.
Auch die internationale und die deutsche katholische Missionsbewegung des frühen 19. Jh.s gehört in diesen Kontext. Der Benediktinermönch der Abtei Beuron, Andreas Amrhein, hatte seinen Eintritt mit dem unüblichen Wunsch nach Mission verbunden. Die ersten Schritte dorthin machte er durch Lehrjahre in Klöstern in Belgien und England sowie im Missionsseminar der Societas Verbi Divini im holländischen Steyl, wo diese deutsche Gründung aufgrund der Kulturkampfgesetze ihre Zuflucht fand. Nach der Trennung von der Beuroner Kongregation hatte er freie Hand für die Gründung eines selbständigen benediktinischen Missionsinstituts, das er bald bei der Römischen Propagand fide beantragte. Im nächsten Schritt errichtete Amrhein in der ehemaligen Abtei Reichenbach (Oberpfalz) ein Missionshaus, wo er mit großer Energie und politischem Geschick seine Konzeption durch Verhandlungen mit zuständigen Stellen in Bayern und in Rom vorstellte. Die Probleme mit dem Regensburger Bischof führten 1887 zu einer Verlegung des Missionshauses in die Diözese Augsburg, deren Bischof das Unternehmen unterstützte, das heutige St. Ottilien der Missionsbenediktiner. Schließlich beschreibt R. das Verhältnis der Kulturkampfgesetze zur Mission sowie generell das Verhältnis von Kolonialpolitik und Mission, bis hin zur Korrespondenz Amrheins mit Bismarck.
In den Kapiteln fünf bis acht bezieht sich R. vor allem auf die afri­kanischen Ereignisse, die sich auf die deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrika beziehen und die Missionsstation auf diesem Gebiet. Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft unter Carl Peters schloss im Auftrag des Deutschen Reiches nicht nur »Schutzverträge« mit den indigenen chiefs der Gebiete und Staatsverträge mit den angrenzenden europäischen Kolonialstaaten, sondern bemühte sich auch – nach Schwierigkeiten mit den Protestanten – um eine katholische Missionsgesellschaft, die er in Amrheins Benediktus-Genossenschaft fand. Im April 1887 schlossen Peters und Amrhein in Rom einen Vertrag, der detailliert Rechte und Pflichten auflistet und von Berlin und Rom zu bestätigen war (vollständiger Text in Dokument 4; 375–381). Genau diese enge Verknüpfung von Mission und Kolonie deutete Amrhein im Stil der Zeit als providentielle Koinzidenz von Neugründung seiner Missionsgesellschaft und Erwerb deutscher Kolonien (199). Die St. Benediktus Missionsgesellschaft erhielt in Deutsch-Ostafrika ein Gebiet in etwa der Größe Bayerns (!) zugesprochen; dort entstand die erste Missionsstation in Pugu (1888), die freilich bald Überfälle, Opfer und Gefangennahmen zu beklagen hatte (1889). Sodann folgte ein Neubeginn der ostafrikanischen Mission in Dar-es-salaam sowie Expansionen der Ottilianer Ordensleute, darunter auch Frauen, bis 1914 die deutschen Kolonien (vgl. 307) verlustig gingen. Das letzte, achte Kapitel beschreibt das Projekt eines deutschen Missionsseminars für Af-rika, um das Papst Leo XIII. die Kirche Deutschlands gebeten hatte, das aber nie zustande kam. Insgesamt kommt R. zum Urteil, dass die benediktinische Kongregation »pro missionibus externis« sowohl in Deutschland als auch in Afrika trotz zahlreicher Schwierigkeiten und Rückschläge einen »erfreulichen Fortgang« genommen habe (351).
Das akribisch gearbeitete Buch erhält seinen großen Wert nicht nur dadurch, dass R. sein Thema detailreich und präzise abarbeitet, sondern auch dadurch, dass es auf zahlreiche archivalische Quellen Bezug nimmt. Die Quellen entstammen kirchlichen Archiven wie der Propaganda fide (APF), dem Vatikanischen Geheimarchiv (ASVat), der erzbischöflichen Archive München (EBA) und Köln (HAEK); aber auch aus staatlicher Archiven wie dem Bundesarchiv (BA), dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PAA) und dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (BayHStA). Einige zentrale Archivalien werden dankenswerterweise im Anhang in Gänze abgedruckt, wie etwa der erwähnte Vertrag zwischen Peters und Amrhein (Dokument 4).
Hervorzuheben ist die Sorgfalt, mit der R. auf der einen Seite die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches quellengestützt herausarbeitet, und auf der anderen Seite die römische Missionspolitik der Propaganda fide. Dabei wird deutlich, wie professionell Amrhein sich auf dem diplomatischen Parkett bewegte und wie unbeeindruckt von mächtigen Verhandlungspartnern in Berlin, München und Rom mündliche und schriftliche Verhandlungen führte. Desgleichen arbeitet R. überzeugend heraus, wie eng die Verquickung von Kolonialismus und Mission gewesen ist, bis hin zu vertraglichen Vereinbarungen.
Eine Verwechslung ist beim Namen »Ledóchowski« unterlaufen, bei dem es sich um den Präfekten der Propaganda fide, Kardinal Mieczysław Halka, Graf von Ledóchski (1822–1902) handelt, so richtig S. 302 u. ö., aber nicht um Wladimir Ledóchowski, wie im Register irrtümlich verzeichnet (409), der Generalobere der Gesellschaft Jesu (reg. 1914–1942) war.
Sehr hilfreich sind die ausführlichen Register sowie das um­fangreiche Literaturverzeichnis. Weit über den verhandelten Casus hinaus bietet das Buch exemplarisch ein wichtiges Stück deutscher Kolonial- und Missionsgeschichte, das musterhaft die Quellen heranzieht und Einblicke in die Kirchenpolitik in der zweite Hälfte des 19. und zu Beginns des 20. Jh.s gewährt.