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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

367-368

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Polanz, Carsten, Sauer, Christof, u. Heiko Wenzel [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Begegnungen und Herausforderungen. Christliches Zeugnis im Kontext des Islam.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. 230 S. Kart. EUR 28,00. ISBN 9783374058792.

Rezensent:

Heinrich Balz

Das christliche Zeugnis gegenüber dem Islam wird in jüngster Zeit wieder in unterschiedlichen Foren verhandelt: bei den einen, so auf der Jahrestagung 2019 der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft, im Verhältnis zum Dialog, s. die Themanummer 1/2020 der Interkulturellen Theologie. Bei den anderen geschieht dies konservativer im Zusammenhang mit Mission: so in dem hier vorzustellenden Band, der auf ein Symposium 2018 zum 80. Geburtstag von Eberhard Tröger, den langjährigen Missionar in Ägypten und späteren Direktor der »Evangelischen Missionsgemeinschaft Mittlerer Osten« zurückgeht. Beide Tagungen berühren sich punktuell, unterscheiden sich aber auch erheblich. Innerhalb des evangelikalen Bereichs gehen die Standpunkte auseinander. Einen gewissen inneren Zusammenhalt gibt dem Band die Replik des Geehrten, die »Islam – Kirche – Mission« auf seine Weise verknüpft (221–225).
Den Hauptteil der Sammlung machen die wissenschaftlichen Beiträge aus. H. Wenzel geht dem Thema der Gegenwart Gottes, seines Wohnens bei den Menschen im Alten und Neuen Testament, im Judentum und im Koran, wo er es defizient findet, nach. Th. Dallendörfer geht dasselbe Thema, der Repräsentanz Gottes, von der anderen Seite an: Was Muslimen am nizänischen Glaubensbekenntnis anstößig und unannehmbar ist, das Homoousios, das im Neuen Testament keinen direkten Anhalt hat, sollte zu­rückgenommen und in anderen, möglicherweise jüdischen, Denkformen neu gedacht und formuliert werden. Zur Deutung der Einheit Gottes im Koran verweist Dallendörfer auf den neuen Ansatz von A. Neuwirth. Er sieht den christlichen Glauben hier tiefsinnig herausgefordert durch die Anfrage des Islam.
G. Lauche beschreibt die Wandlungen der Sudan-Pioniermission von den Anfängen 1902 bis zur gegenwärtigen »Evangelisationsgemeinschaft Mittlerer Osten«, besonders die Arbeit südlich von Khartum mit der Hauptgestalt des nubischen Christen Samuel Ali Hiseen der, obwohl von den Missionaren nur als »Gehilfe« geführt, die eigentliche »Säule« in Nubien war. Große öffentliche Erfolge waren dieser Mission nicht beschieden . F. Walldorf nennt die Ausländerarbeit, später Internationale Arbeit der »Studentenmission in Deutschland« in den 1950er und 60er Jahren eine »postkoloniale Bewegung«: Die Notwendigkeit einer Zuwendung zu den Bildungsmigranten – den afrikanischen und asiatischen Studierenden in Deutschland –, war erkannt und wurde aufgenommen in Tagungen, Bibelkreisen und Freundschaften. Walldorfs Deutung dieser Begegnungsräume als »third spaces« im Sinne von H. Bhabba ist gewagt, und ob in solchen Räumen Konversionen zum christlichen Glauben möglich sind und nicht vielmehr der bleibende Pluralismus festgeschrieben wird, muss offenbleiben.
C. Polanz handelt vom Verständnis von Freiheit auf Seiten der islamischen Adressaten des christlich missionarischen Zeugnisses. Der ägyptisch muslimische Autor al-Qaradawi zieht die Grenze, wo die Scharia und die Religion der Mehrheit in Frage gestellt würde. Wechsel der Religion weg vom Islam bleibt Apostasie d. h. strafwürdig. Ch. Sauer geht im Genaueren den Hindernissen der Religionsfreiheit für Konvertiten nach, wo sie sich in Deutschland unter Migranten und Asylbewerbern zeigen. R. Strähler handelt religionswissenschaftlich und soziologisch von Konversionen von Muslimen zum Christentum und im Besonderen von ihren eigenen »Erzählungen« darüber: Weder sind diese als reine Berichte über das, was faktisch geschah, zu lesen, noch umgekehrt als bloß Zeugnis ihres neuen Glaubens in neuer, christlicher Sprache. Beides geht ineinander. Auch nach anderen Motiven und Vorteilen durch das Christwerden ist zu fragen, ohne dass der Argwohn die Hauptsache werden muss: Vieles kommt notwendig zusammen. Gut wäre es gewesen, an dieser Stelle auch die Stimme eines in Deutschland lebenden Konvertiten in den Band aufzunehmen.
Die Beiträge des zweiten, »persönlich« genannten Teils sind unterschiedlicher Art. E. Werner berichtet aus der frühen Zeit von Mission und Entwicklungsarbeit im vorderen Orient um die Wende vom 19. zum 20. Jh., wozu auch die Christoffel Blindenmission gehört. K. W. Müller handelt missionspraktisch humanwissenschaftlich von der Arbeit, Menschen zu überzeugen und zu verändern. Es bleiben zwei Beiträge anderen Gewichts und Anspruchs. E. Baumann betont in unter Berufung auf E. Tröger die Notwendigkeit theologisch zu denken, so im konsequenten Festhalten an der kirchlichen Trinitätslehre und davon, diese vor evangelikaler Relativierung zu bewahren, was offenbar in ihren Beiträgen zum Symposium nicht alle Teilnehmer so sahen.
Noch gewichtiger ist die Herausforderung in den grundsätzlichen Überlegungen, die Th. Schirrmacher in seinem redaktionell überarbeiteten Beitrag »Konversion und Asylfragen« formuliert: Konvertiten vom Islam werden in Deutschland in beträchtlichen Zahlen in den Kirchen getauft und bedürfen besonderen Schutzes, weil sie verunglimpft und von der Asylsbehörde BAMF unter pauschalen Verdacht gestellt werden. Das ist die eine Seite, aber die andere ist für Schirrmacher nicht minder wichtig: zahlenmäßig große Bewegungen hin zum Christentum in islamischen Ländern, in Afghanistan und im Iran, wo in den letzten zehn Jahren die Übertritte auf 500.000 geschätzt werden. Verlässliche Statistiken dazu gibt es nicht, und gezielte Mission ist nicht die Hauptursache. Solche Meldungen überraschen. Stimmen sie, dann müssten viele der eingespielten Positionen zu christlichem Zeugnis im islamischen Orient, auch manche Prämissen der auf den Dialog hoffenden Interkulturellen Theologie, und auch zur Stellung der alten christlichen Kirchen dort, grundsätzlich überdacht werden. Stimmen sie nicht, sind sie enthusiastisch übertrieben, dann bedürfen sie der geduldigen Prüfung und Korrektur. Eberhard Tröger, der durch das Symposium Geehrte, teilt, ohne Zahlen anzugeben, die neue Zuversicht: »Ich bin Gott von Herzen dankbar, dass ich Zeuge eines Durchbruchs in der Verkündigung unter Muslimen sein darf […] heute erleben wir erstmals Gemeindegründungen und das Entstehen von Kirchen unter traditionell muslimischen Völkern.« Möge er Recht behalten, möge es so sein.