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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

337-340

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Göcke, Benedikt Paul, u. Christian Pelz[Hgg.]

Titel/Untertitel:

Die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Bd. 3: Theologie und Metaphysik.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2019. XXXIX, 442 S. = Studien zur systematischen Theologie, Ethik und Philosophie, 13/3. Geb. EUR 62,00. ISBN 9783402119204.

Rezensent:

Dirk Evers

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Göcke, Benedikt Paul, u. Lukas Valentin Ohler[Hgg.]: Die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Bd. 2: Katholische Disziplinen und ihre Wissenschaftstheorien. Münster: Aschendorff Verlag 2019. XXV, 396 S. = Studien zur systematischen Theologie, Ethik und Philosophie, 13/2. Geb. EUR 59,00. ISBN 9783402119181.


Debatten um den Status der Theologie als einer Wissenschaft finden statt im Spannungsfeld von Wissenschaftstheorie, kirchlicher Bindung, staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen und dem Selbstverständnis moderner Universitäten. Besonders prekär er­scheint immer wieder der Status der (römisch-)katholischen Theologie, die aus der Tradition ein eigenes, wissenschaftliches Selbstverständnis mitbringt, das in der Zuordnung von Vernunft und Glaube bzw. Natur und Gnade seine Pointe hat, die aber auch eingebunden ist in die Zusammenhänge eines kirchlichen Lehramtes. Stellt das nicht von vornherein den wissenschaftlichen Charakter katholischer Theologie in Frage, wenn diese im Grunde nicht ergebnisoffen forschen darf? Auf der anderen Seite erscheint die katholische Theologie gerade wegen ihrer Zuordnung von Glaube und Vernunft und wegen ihres Anspruchs, eine wahrheitsfähi-ge, konsistente und kohärente Gesamtsicht der Wirklichkeit ent-wickeln zu können, die die Gotteserkenntnis mit einschließt, von vornherein wissenschaftsaffiner und interdisziplinär interessan-ter als protestantische Theologie, die sich zur Christentumskunde oder auf Frömmigkeitsbeschreibung zurücknimmt und auf theologische Wahrheitsansprüche verzichtet. Mit den beiden zu be­sprechenden Bänden liegen Band 2 und 3 eines dreibändigen Werkes zur Wissenschaftlichkeit der (katholischen) Theologie vor (Band 1 ist in ThLZ 144 [2019], 1192–1194, besprochen worden), das aus der von Benedikt Paul Göcke geleiteten und von der DFG geförderten Emmy Noether Nachwuchsgruppe unter ebendieser Themenstellung hervorgegangen ist. Göcke ist inzwischen Professor für Religionsphilosophie und Wissenschaftstheorie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhruniversität Bochum und kann als ein auch international profilierter Vertreter sogenannter analytischer Theologie gelten.
Band 2 ist ein Sammelband, in dem Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Teildisziplinen der katholischen Theologie, von der Exegese, der Kirchengeschichte, der Dogmatik und Ethik bis hin zu praktisch-theologischen Disziplinen und Kirchenrecht zur Frage der Wissenschaftlichkeit ihres Faches Stellung nehmen. In der Einleitung der Herausgeber stellen diese das eben beschriebene Spannungsfeld von kirchlicher Erwartung und wissenschaftlicher Ergebnisoffenheit vor. Im Verständnis des kirchlichen Lehramtes ist die katholische akademische Theologie mit der Aufgabe betraut, die philosophischen Grundlagen des römisch-katholischen Glaubens rational zu begründen sowie die Konsistenz des in der kirchlichen Lehre formulierten Offenbarungsglaubens mit den Erkenntnissen anderer Geistes- und Naturwissenschaften zu erweisen. Vorausgesetzt ist dabei die Wahrheit der katholischen Lehre, so dass diesem Konzept die Hypothese zugrunde liegt, dass diese Aufgabe der Theologie deshalb lösbar und zumutbar ist, weil es wahr ist, was die Kirche lehrt. In dieser Hypothese ist im Um­kehrschluss eines modus tollens allerdings ebenfalls impliziert, dass dann, wenn der Erweis der Rationalität der philosophischen Grundlagen oder der Konsistenz der kirchlichen Lehre mit den Wissenschaften misslingt, die Wahrheit der katholischen Lehre in Frage steht. Göcke interpretiert nun die Theologie »als Wirklichkeitswissenschaft aus der Perspektive des römisch-katholischen Glaubens« (XIII), die ebendiese »wissenschaftliche[.] Haltbarkeit der Lehre« zu überprüfen und zu erbringen hat, die aber als ergebnisoffene Wissenschaft je und je die Haltbarkeit der Hypothese überhaupt und damit auch die Wahrheit der Lehre kritisch zu befragen hat. Sollte die kirchliche Lehre einer gesicherten Vernunfterkennt nis widersprechen, dann muss eben dieser Lehrsatz aufgegeben oder einer hermeneutischen Neuinterpretation unterzogen werden. Dies, so Göcke, stecke in dem Auftrag einer »Qualitätssicherung« (XVI), den die römische Kirche der akademisch-wissenschaftlichen Theologie gibt, so dass sie bei dem Nachweis, dass ein Lehrsatz so nicht haltbar sei, nicht mit Sanktionen, sondern mit Selbstkorrektur reagieren sollte. Damit garantiert eine theologische »Wissenschaft vom Ganzen der Wirklichkeit aus der Perspektive des katholischen Glaubens« (XVI), dass die kirchliche Lehre weder fundamentalistisch noch fideistisch ihre Wahrheit einfach nur behauptet.
Ich habe diese Einleitungsüberlegungen so ausführlich wiedergegeben, weil sie den Rahmen deutlich machen, in dem eine nach außen ausweisbare und zugleich nach innen kritisch wirkende Wissenschaftlichkeit von Theologie im Sinne der Herausgeber konstruiert werden soll. Von den sich an diese Einleitung anschließenden 13 Beiträgen von Vertreterinnen (zwei Frauen sind dabei) und Vertretern der theologischen Disziplinen schließen sich allerdings bei Weitem nicht alle den Vorgaben Göckes an. Der erste Beitrag zu Exegese als Wissenschaft von Ludger Schwienhorst-Schönberger versteht Exegese als literaturwissenschaftliche Disziplin, gibt Göcke aber darin Recht, dass Schriftauslegung sich nicht auf historisch-hermeneutische Zugänge zu Heiligen Schrift beschränken darf, sondern den universalen Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens zu verteidigen hat. Auch der Beitrag von Johannes Seidel und Maria Neubrand zur Neutestamentlichen Exegese sieht das wissenschaftliche Moment der Exegese in der Falsifizierbarkeit ihrer (literaturwissenschaftlichen!) Hypothesen. Auf irgendeine Verbindung zur kirchlichen Lehre gehen sie nicht ein. Die beiden kirchengeschichtlichen Positionen verstehen ihr Fach natürlich als historische Disziplin. Notger Baumann sieht die Patrologie als eine Art reflexive Vermittlungsinstanz, angesiedelt auf der Grenze zwischen reiner Geschichtswissenschaft und dogmatischer Theologie, während für Stefan Samerski die Kirchengeschichte die Identität des Christlichen und seiner historischen Erscheinungsweisen kritisch erkundet. Für die Dogmatik macht Thomas Marschler geltend, dass die vertiefte Reflexion und das kritische Weiterdenken der Dogmatik plural ist, zunehmend plural wird und sich auch kritisch dem Lehramt selbst zuwendet, gleichzeitig aber keinen An­spruch auf Glaubensverbindlichkeit erhebt. Lehramtliche Interventionen sollten sich deshalb an der Frage nach der innerkirchlichen Wirksamkeit und Reichweite devianter dogmatischer Thesen orientieren und darin verhältnismäßig bleiben. Hingewiesen sei noch auf den Beitrag des Philosophen Ludger Jansen, der zeigt, dass ein Stockwerkmodell im Anschluss an Thomas von Aquin, bei dem die natürliche Theologie die Präambeln der Offenbarung liefert, gerade wegen des Kippens vom modus ponens in den modus tollens notwendig scheitern muss. Er sieht die Aufgabe der Philosophie für Theologie nicht in der Bereitstellung von Fundamenten, sondern im Sinne Quines in der Pflege des Netzwerks von Glaubensüberzeugen. In den weiteren Beiträgen werden die katholische Moraltheologie als dialektische Hermeneutik und verständnisorientierte Übersetzungsbemühung in andere moralische Diskurse und die Sozialethik als empirisch ausweisbares Wirklichkeitswissen verstanden, das die Philosophie als erste Gesprächspartnerin der Theologie abzulösen beginnt. Die Religionspädagogik kann für ihren Vertreter Ulrich Riegel aufgrund der Komplexität ihres Gegenstands Religion bzw. Religiosität nicht mehr als katholische Disziplin angesehen werden, während die Pastoraltheologie als Handlungswissenschaft sich als kluge Kunst des Möglichen im Hier und Jetzt bewähren muss. Stephan Winter versteht Theologie als Orientierungswissenschaft, die sich auf Wert- und Sinnfragen bezieht und im Gottesdienst als Lebensform ihren Anwendungsfall hat. Abschließend wird die Kanonistik als wissenschaftliche Reflexion der Rechtsgestalt der Kirche in der Gegenwart erörtert.
Die Beiträge zeigen in ihrer Summe die ganze Bandbreite katholischen Theologieverständnisses und teilen alle irgendwie ein je­weils disziplinär spezifisches Wissenschaftspathos. Die von den Herausgebern gestellte Aufgabe einer allgemein ausweisbaren, theologischen Wirklichkeitswissenschaft wird aber nur von wenigen geteilt, und bei der Frage lehramtlicher Interventionen wird eher pragmatisch Verhältnismäßigkeit angemahnt.
Der dritte Band der Reihe ist der systematisch-theologisch in­teressantere. Der Untertitel gibt die Thematik vor: Es geht um das Verhältnis von Theologie und Metaphysik. Die Herausgeber be­haupten, »dass es in dieser Verhältnisbestimmung ums Ganze geht« (XI). Das Ganze wovon? Vermutlich der Theologie, soll es doch um das »Selbstverständnis der Theologie in den Irrungen und Wirrungen unserer aktuellen bewegten Zeit« und damit »um die Zukunft der Theologie« in ihrem Verhältnis zur Moderne gehen (XIX). Die Herausgeber sehen diese Zukunft in der Neubegründung einer engen Verbindung von Theologie und (analytischer) Metaphysik. Nicht von ungefähr wird in der Einleitung auch die Harnacksche These einer Hellenisierung des Christentums aufgerufen, der nun eine Analytisierung der Theologie folgen müsse. Die Mehrzahl der Beiträge des Bandes spricht sich denn auch für die Unverzichtbarkeit von Metaphysik für eine wissenschaftlich satisfaktionsfähige Theologie aus.
Schaut man allerdings in die Beiträge, von denen hier nicht alle aufgeführt werden können, genauer hinein, wird das Bild dann doch bunter. So finden sich eher historisch orientierte Studien, wie die von Christina Schneider, die Leibniz’ Metaphysik darstellt und den Preis der vollständigen Bestimmtheit menschlichen Handelns, den man dafür zu bezahlen hat, oder die von Christian Hengstermann, der Spinozismus und Platonismus in Neuzeit und Moderne nachgeht. Es findet sich ebenso eine Untersuchung über das Metaphysikverständnis Kants von Christian Pelz wie eine im Grunde metaphysikfreie Erörterung der Methodik wissenschaftlicher Theologie im Anschluss an Charles Taylor, John Milbank u. a. von Michael Borowski. Ein eigener analytisch begründeter Rahmenentwurf findet sich bei Ruben Schneider, der einen metaphysischen Realismus in Bezug auf die Gotteserkenntnis, aber zugleich einen moderaten Wahrheitspluralismus vertritt, der verhindern soll, dass metaphysische Gotteserkenntnis in einen pluralitätsfeindlichen Absolutismus übergeht. Auch einige Stimmen aus der Philosophie bringen sich ein. Der Philosoph Peters Rohs plädiert im Anschluss an Kant für eine Theologie ohne Übersinnliches, während Holm Tetens für die Unvermeidlichkeit von Metaphysik für den religiösen Gottesglauben argumentiert, weil nur dann die Differenzen zwischen Gottesglauben und Naturalismus als Differenzen zwischen zwei Formen von Metaphysik expliziert werden können. Volker Gerhardt versteht die Theologie als Kultur- und Lebenswissenschaft, die zwar von einem metaphysischen Ausgangspunkt herkommt, aber wesentlich auf die kulturell wirksamen Formen des Glaubens bezogen ist. Der Fundamentaltheologe Markus Knapp allerdings argumentiert dezidiert für eine Theologie unter nachmetaphysischen Prämissen, die sich hermeneutisch versteht und sich an Theorien der Anerkennung (Honneth, Ricœur) orientiert.
Andere Beiträge widmen sich eher klassischen Fragestellungen einer metaphysischen Gotteslehre, die nun im Sinne der analytischen Philosophie gewendet werden. So findet sich ein längerer Beitrag von Thomas Schärtl, der Argumente für die Existenz Gottes analysiert und auf anregende Weise verschiedene Existenzbegriffe durchspielt. Er plädiert für die Möglichkeit analytischer Existenzaussagen mit einem prädikativ verstandenen Existenzbegriff und verteidigt dies gegen andere Ansätze von Frege bis Markus Gabriel und Alain Badiou. Den Schluss bildet noch eine kurze Notiz des Herausgebers Göcke, in der er auf drei Seiten ein Argument für die Unverzichtbarkeit von Metaphysik für jede wissenschaftliche Theologie syllogistisch entwickelt, weil Theologie die Existenz metaphysischer Entitäten (Gott; Seelen als etwas im Menschen, das unabhängig vom Universum existieren kann; objektive moralische Werte) impliziert. Der Status metaphysisch-philosophischer Grundlagen der Theologie bleibt jedoch angesichts der Fülle dieser Zugänge plural und strittig: Sind sie das Fundament, mit dem die Theologie steht oder fällt, oder reine Präambeln, die lockere An­knüpfungspunkte und Interpretationshinsichten ermitteln für ein von der Offenbarung Gottes inspiriertes Handeln und Reden von Gott? Erst recht, wenn man beide Bände zusammennimmt, ist die Pluralität des Verständnisses von (katholischer) Theologie als Wissenschaft offenkundig, und das steht doch in erheblicher Spannung zu der Aufgabe, die die Herausgeber der wissenschaftlichen Theologie auf metaphysischer Grundlage im Sinne einer Qualitätssicherung kirchlicher Lehre zuschreiben. Gerade dadurch aber bieten die Bände anregende und aspektreiche Einblicke in fundamentaltheologische Debatten der gegenwärtigen katholischen Theologie.