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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

334-337

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Crisp, Oliver D.

Titel/Untertitel:

God, Creation and Salvation. Studies in Reformed Theology.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2020. 204 S. Kart. £ 26,99. ISBN 9780567689535.

Rezensent:

Christian Danz

Im Fokus des anzuzeigenden Buches God, Creation, and Salvation des in St. Andrews lehrenden reformierten Theologen Oliver D. Crisp stehen Studies in Reformed Theology. Traktiert werden Johannes Calvin, Ulrich Zwingli und vor allem Jonathan Edwards. Dabei geht es C. nicht um eine historische Perspektive, sondern um Beiträge zur gegenwärtigen systematisch-theologischen Debatte. Der Anschluss an Klassiker der reformierten theologischen Tradition erfolgt in einem systematischen Interesse. Seine eigene Position bezeichnet C. als theologischen Realismus. »The sort of systematic theology I have in view in what follows is theologically realistic in nature. By that I mean it is an approach to the theological task that conceives of the object of theological scrutiny (i. e., God, or the di-vine) as a mind-independent personal entity who is the creator of all things in heaven and earth.« (4) Damit ist eine gegenständlich-realistische Auffassung von Systematischer Theologie intendiert, die davon ausgeht, dass der Gegenstand, auf den sich die theologischen Aussagen beziehen, kein theologisches Konstrukt, sondern nicht-konstruiert und nicht-gesetzt ist. Entsprechend setzt sich C . von antirealistischen Theologien ab, die den Gottesgedanken nicht als eine denkunabhängige Entität fassen. Mit solchen »Er­satz«-Theologien sei, so das Argument, jeglicher theologische Wahrheitsanspruch preisgegeben. »It has given up on the task of theological realism, which is to give as accurate an account of the truth of the matter with respect to the divine nature as we are able.« (10) Allerdings ist auch einem theologischen Realismus Gott und seine vom Denken unabhängige Wirklichkeit nur als Konstruktion und nicht an sich selbst zugänglich.
C. entfaltet sein Programm einer realistischen Theologie in den drei Hauptabschnitten des Buches. Der erste Teil The Task of Theol-ogy (1–40) bietet zwei Aufsätze. Zunächst diskutiert C. Challenges for Systematic Theology (3–17) und sodann wendet er sich der Theologie Calvins zu (18–40), um diese als Ressource für gegenwärtige Themenstellungen aufzugreifen. Ausgangspunkt der Überlegungen zur gegenwärtigen systematischen Theologie sind vier Herausforderungen, vor denen sie steht (6–11). Diese sind der Verlust einer einheitlichen Fragestellung, das Problem ihres Gegenstands, die Ausdifferenzierung ihrer Problemstellungen und ihre Eigenständigkeit gegenüber anderen theologischen Disziplinen. Den genannten Herausforderungen muss sich die Systematische Theologie stellen, denn sie hat »a contribution to make as an intellec-tual discipline that seeks better to understand the nature and purposes of God as understood from within the Christian Tradition« (17). Um die reformierte Tradition als Hintergrund von C.s Über-legungen geht es im zweiten Abschnitt mit dem Titel Receiving Calvin. Aufgegriffen werden vier Aspekte von Calvins Theologie: Gotteserkenntnis, Einheit mit Christus, Erwählungs- und Abendmahlslehre (21–38). Die genannten Aspekte sind für die reformierte Tradition bis in die Gegenwart bestimmend geblieben, so dass die Beschäftigung mit Calvin für ein »constructive theological project«, wie es C. vorschwebt, »fructifying the work of today« (40) ist.
Der Gotteslehre ist der zweite Hauptteil des Buches mit der Überschrift God and Creation (41–104) gewidmet. Er bietet drei Beiträge, in denen klassische reformierte Konzeptionen als Ausgangspunkt für gegenwärtige systematische Überlegungen diskutiert werden. Mit Edwards on Creation and Divine Ideas stellt C. einen insbesondere für die nordamerikanische reformierte Theologie einflussreichen Theologen aus dem 18. Jh. dar (43–62). Ausführlich wird Edwards’ cum grano salis platonischer Idealismus vor seinem problemgeschichtlichen Hintergrund diskutiert. Dessen divine conceptualism (44) zufolge sind Gott sowie die ungeschaffenen und damit notwendigen göttlichen Ideen die einzige Wirklichkeit. »God is absolutely independence of his creatures« (57). Letztere hängen wiederum vollständig an der Wirklichkeit Gottes und seinem Handeln, so dass ihnen kein eigenes Sein zukommt. Alles, was geschieht, ist das Wirken Gottes. Eine solche Position ist freilich nicht ohne Aporien. C. erörtert jedoch lediglich den Aspekt, dass Edwards’ theologischer Realismus in einen Antirealismus umkippt (61 f.), nicht aber die sich ebenso nahelegende Frage nach dem Bösen. Dem mit dem Bösen in Zusammenhang stehenden Problem des freien Willens wenden sich die Ausführungen über Giradeau on Human Free Will (63–80) zu, einem American Southern Presbyter-ian aus dem 19. Jh., der sich kritisch mit Edwards’ theologischem Determinismus auseinandersetzte und eine Freiheit des menschlichen Willens auch nach dem Fall Adams postulierte. Giradeau steht ebenso wie der Puritaner Edwards für die Spannweite und Heterogenität des reformierten Denkens in seinen Weiterführungen von Calvins Theologie. In diesen Kontext gehört auch Zwinglis um­strittene Lehre von der Erbsünde (Zwingli on Original Sin, 81–104), die in einem engen Zusammenhang mit seiner Lehre von der Taufe steht. Während die Erbsünde in einem Defekt der menschlichen Natur besteht, von Zwingli also abweichend zu den anderen Reformatoren nicht als Schuld bestimmt wird, hängt diese an der aktualen Sünde (vgl. 94). Damit werden prima vista einige Probleme der traditionellen Lehrfassung entschärft (95), so dass sich Zwinglis in sich konsistente Lehre von der Erbsünde als Ausgangspunkt für gegenwärtige systematisch-theologische Überlegungen anbietet, wie sie C. vorschweben.
Im abschließenden dritten Teil des Buches, er präsentiert vier Beiträge, geht es um Christ and Salvation (105–184). Die beiden ersten Texte wenden sich der Christologie zu und diskutieren ausführlich Probleme, die mit der menschlichen Natur zusammenhängen, die der Logos in seiner Inkarnation angenommen hat. Erörtert wird dieses Thema zunächst in Assuming Human Flesh (107–121). Hier verteidigt C. seine eigene Auffassung, dass »in principle the Word could have assumed any particular human nature because all human natures are configured such that they may be assumed by a divine person« (108), in Auseinandersetzung mit der Kritik von James T. Turner. In dem von C. vorgeschlagenen scotis-tischen Modell (110) geht es um die Konkretheit der menschlichen Natur in der hypostatischen Union mit dem Logos in der Person Jesu Christi, die einen Adoptianismus ausschließen soll. Das impliziert, »that human personhood, unlike divine personhood, is not an essential property of human beings« (120). Weitergeführt werden diese Überlegungen in The Vicarious Humanity of Christ (122–141) anhand der Frage, wie die gefallene menschliche Natur, die der Logos in seiner Menschwerdung angenommen habe, genauer zu verstehen sei. Denn Gott kann in seiner Inkarnation »not have a fallen human nature if this means a human nature that bears original sin, because this would imply that a divine person is hypostatically united to something corrupt, which seems morally problematic« (123). Das von C. angebotene Modell zur Lösung der Schwierigkeit besteht darin, dass der Geist gleichsam die menschliche Natur in Maria zeugt und sodann die Staffel an den Logos übergibt, der durch seine Einigung mit der menschlichen Natur Kraft der Gnade die Sünde aufhebt (138 f.). In den beiden abschließenden Aufsätzen Edwards’ Atonement Quadary (142–162) und Char-acter and True Virtue (163–184) rückt die Versöhnungslehre in den Fokus des Interesses. Da moralische Schuld nicht übertragbar ist und ein Unschuldiger auch nicht fremde Schuld übernehmen kann (145–149), konstruiert C. Christi Versöhnungswerk als Repräsentation, an dem die Glaubenden partizipieren (154 f.). »Christ represents us, becoming one of us as a human being, and identifying with us, in order that we might become what he is. This is not an exchange, but an act of representation.« (156)
Auch wenn man nicht geneigt ist, den gegenständlich realistischen Ansatz von C.s konstruktiver Theologie zu teilen, so muss man einräumen, dass er scharfsinnige Studien zu grundlegenden Themen reformierter Theologie vorgelegt hat. Die ausgeführten Modelle der Gotteslehre, Christologie und Versöhnungslehre re­formulieren durchgehend den überkommenen Lehrbestand und arbeiten mit messerscharfer Logik Probleme und Aporien der Lehrbildung heraus, so dass das Buch auch ein Lesevergnügen für die-jenigen darstellt, die sich bei der Lektüre fragen, worin der reli-giöse Gehalt der gebotenen metaphysisch-logischen Konstruktionen besteht.