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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

329-331

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wendel, Saskia, u. Martin Breul

Titel/Untertitel:

Vernünftig glauben – begründet hoffen. Praktische Metaphysik als Denkform rationaler Theologie.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2020. 286 S. Geb. EUR 35,00. ISBN 9783451386527.

Rezensent:

Harald Seubert

Das Buch zeigt sich als die abgestimmte Synthese zweier eigenständiger und dennoch verflochtener Aufsätze und als Suche nach einem »mittleren Weg«, der sich von zwei von Autorin und Autor identifizierten Holzwegen gleichermaßen distanziert: dem Holzwege einer pauschalen Akzeptanz »nachmetaphysischen Denkens«, und dem anderen einer Wiedererweckung spekulativ-metaphysischer Traditionen.
Mit diesem Anliegen bewegen sich die beiden Autoren auf der Nahtstelle zwischen Religionsphilosophie, Fundamentaltheologie und Philosophischer Theologie, in einer Trias, die sie eingangs als Problemindex zitieren. Saskia Wendels Beitrag (17–157) liefert eher den überblickartigen konstruktiven Part, der Beitrag von Martin Breul (157–270) eröffnet eher die differenziert kritische Perspektive auf die abgelehnte Position des »metaphysischen Realismus«. Beide Texte haben Essay-Charakter, sie sind flüssig geschrieben, skizzieren aber, der Gattung angemessen, eher, als dass sie ausführen.
Wendel geht von einer Gegenüberstellung klassischer an Aristoteles orientierter Metaphysik einerseits und dem neuzeitlichen metaphysischen Paradigma andrerseits aus, welches auf Subjektivität und Freiheit begründet ist. Kundig und aus einer Art Vogelperspektive führt sie durch Paradigmen der Metaphysikkritik im 20. Jh., wobei sie zutreffend sieht, dass diese sich grundsätzlich ebenso gegen den tradierten wie den neuzeitlich moderierten metaphysischen Typus richtet. W. greift dabei in erfreulicher Sachlichkeit argumentativ sowohl auf Heideggers Einwände gegen die seinsvergessene Onto-Theologie zurück, auf Derridas Kritik der Präsenz und Adornos Wendung gegen eine Ursprungs- und Iden-titätslogik, deren politisch-ideologiekritische Implikationen sie be­sonders betont.
Fazit der via media ist die Maxime, dass Metaphysik weder restituiert noch überwunden, sondern redigiert werden soll. Gemeint ist wohl eine Art »Transformation«; mit Walter Benjamin könnte auch von »rettender Kritik« die Rede sein. W. votiert in der Fluchtlinie ihrer Überlegungen für eine praktische Metaphysik, der es zuerst darauf ankomme, aufs Neue »Hoffnung zu lernen« und die Freiheit als Prinzip der Metaphysik, die Ethik als erste Philosophie etabliert. Es verwundert etwas, dass dabei keine Ahnenreihe entwickelt wird. An das Forschungsprogramm des Neukantianismus zwischen Hermann Cohen und Ernst Cassirer etwa könnte durchaus angeknüpft werden. Von Johann Baptist Metz ist hingegen ausführlich die Rede.
Freiheit und Subjektivität würden es ermöglichen, in praktischer Hinsicht das Leben als Ganzes zu »deuten«. Anschluss sucht W. dabei insbesondere bei der Kantischen Postulatenlehre und der Verbindung zwischen praktischer Vernunft und Urteilskraft. Obgleich diese Passagen die philosophisch aufschlussreichsten sind, lässt sich W. auf die differenzierten Kant-Diskussionen, wie sie in den letzten zwei Jahrzehnten zu diesem Topos u. a. von Wolfgang Wieland und Rainer Enskat geführt wurden, nicht ein. Die Fokussierung auf die Kantische Frage »Was dürfen wir hoffen?« und der Rückgriff auf die Moralmetaphysik ermöglichen es W., Versatzstücke von Derrida, Lévinas und Walter Benjamin heranzuziehen. Die Integrationskraft ist dabei überzeugender als die Kraft der systematischen Differenzierung dieser Ansätze. Deutlich ist auch ein ehrenwertes und nicht verschleiertes Interesse an einer auf Freiheit und diskursiver Pluralität begründeten Fundamentaltheologie. Dass indes »abstrakte Fragen nach Sein und Wahrheit« verblassen müssten, bleibt eine auf die Tendenzen der Gegenwart gestützte Behauptung, die nicht argumentativ eingeholt wird.
Etwas sperriger, zugleich aber philosophisch tieferschürfend fällt der Beitrag von Breul aus. Er diskutiert exemplarische Einwände gegen den »metaphysischen Realismus«, der für die gegenwärtige Tendenz einer Restituierung der Metaphysik, auch im Dienst der Theologie, grundlegend sei. B. wendet sich vor allem gegen eine von ihm beobachtete Tendenz, an ein vorkantisches Reflexionsniveau wieder anzuschließen. Man wird fragen dürfen, ob, ungeachtet des Einflusses von Autoren jener Tendenz »Analytischer Theologie« (Priest, Chalmers u. a.), die flächendeckende Wirkung des metaphysischen Realismus von B. nicht überschätzt wird.
Dieser Realismus besagt in seiner kanonischen Form, B. zufolge, dass die Entitäten der Welt unabhängig von menschlichen Konstruktionen bestehen, es genau eine zutreffende Beschreibung der Seinsstrukturen gibt und Wahrheit auf der Entsprechung von Denken (bzw. Zeichen) und Sein beruhe.
Das stärkste Set von Gegenargumenten verdankt B. Hilary Putnams »internem Realismus«, der einerseits darauf besteht, dass alle Argumente »begriffsrelativ« und auf begriffliche Vorstrukturierung bezogen seien. Hinzukommt Putnams Grundüberzeugung, dass jede Wirklichkeitsbeschreibung nicht auf »Wirklichkeit an sich«, sondern auf »Wirklichkeitsmodelle« zurückgreifen muss. Mittels der Putnamschen Gehirn im Tank-Hypothese wird das von B. selbst als »schwächer« benannte Argument hinzugefügt, dass ein metaphysischer Realismus dem radikalen Skeptizismus nicht ar­gumentativ entgehen kann, was dem »internen Realismus« sehr wohl möglich sei. Der interne Realismus, der einerseits auf einer von subjektiven Konstruktionen unabhängigen Außenweltexis-tenz beharrt, andrerseits aber einen Wirklichkeitszugang »independent of all conceptual choices« bestreitet, kann durchaus als eine legitime Folge der kantischen Transzendentalphilosophie bezeichnet werden. Nelson Goodman geht (vor allem in »Weisen der Welterzeugung«) bezeichnenderweise in Richtung auf eine antirealistische Position noch einen Schritt weiter. Die Radikalisierung der Putnamschen Position führt aber zu der Auffassung, dass nur ein im strikten Sinn metaphysischer Realismus überhaupt Realismus sein kann. Es ist unverkennbar, dass B. Putnam nä-hersteht als Goodman. Als letzten Verbündeten wählt er Jürgen Habermas, ohne dessen jüngere religionsphilosophische Wende eigens zu thematisieren. Dass Vernunft immer kontextuell situiert und immer sprachlich manifestiert sei, betont B. als Habermasschen Ausgangspunkt. Ein »nachmetaphysischer Realismus« ergebe sich aber aus dem »Platzanweiserstatus« der Philosophie und damit einer Wahrheitskonzeption, die gleichermaßen weit entfernt von Wahrheitsabsolutismus und Relativismus sei. Auch B. plädiert daher, letztlich in differenzierender Übereinstimmung mit Wendel, für eine Revision der Metaphysik im Sinn eines »internen Realismus«, und auch er zieht daraus Konsequenzen. Erforderlich sei eine Differenzierung zwischen Glauben und Wissen, die auf Metaphysik im Sinn lebenspraktischer Orientierung führt. Der Glaube an einen vorstellungsunabhängigen Gott sei noch längst kein plausibler Hinweis auf dessen Existenz. Theologie als Wissenschaft ist, wie festgehalten wird, nicht in der Begründung eines ontologischen Theorierahmens, sondern in einer Kontextualisierung metaphysischer Begründungsweisen zu gewinnen.
Insgesamt wirft der Band die Frage auf, ob mit dem »redigierenden« Gestus beider Beiträge überhaupt in den Traditionsbestand der rationalen Theologie vorzudringen ist oder ob eine moralphilosophische Reduktion diese sachliche Reflexion von vorneherein dirigiert. Bei allem Verständnis für das Modernebewusstsein deuten sich hier doch blinde Flecken an, die den Mut, »zu den Sachen selbst« zurückzukehren, nahelegen.