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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

327-329

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

Titel/Untertitel:

Kommentar zum Buch ›Hiob‹(1790–1793). Hgg. v. Ch. Arnold u. U.-M. Danz.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2020. X, 415 S. m. 3 Abb. = Schelling: Historisch-Kritische Ausgabe. Reihe II: Nachlaß, II,1,2. Lw. EUR 296,00. ISBN 9783772825927.

Rezensent:

Georg Neugebauer

Mit dem hier anzuzeigenden Band findet die kritische Edition von Schellings Nachlass aus seiner Schul- und Studienzeit ihren Ab­schluss. Werkbiographisch betrachtet knüpft er an die bereits in Band II,1,1 edierten Frühen Bebenhäuser Arbeiten (1787–1791) an, führt aber zugleich in die 1790 beginnende Studienzeit hinein. Schelling fertigte ab dem Jahr 1790 bis wahrscheinlich 1793 drei Studienhefte an, die unter der Überschrift Hiob stehen. Sie umfassen seine Abschrift einer Nachschrift von Vorlesungen, die der Tübinger Orientalist Christian Friedrich Schnurrer (1742–1822) im Wintersemester 1789/90 zu ebendiesem Thema hielt. Wie Christian Danz im editorischen Bericht bemerkt, lag Schelling jedoch noch mindestens eine weitere Nachschrift vor. Die Studienhefte geben aber nicht allein eine Abschrift wieder. Vielmehr enthalten sie eigenständige Anmerkungen Schellings zu Schnurrers Hiobinterpretation. Insofern diese Anmerkungen durchgängig von Schelling selbst in Klammern gesetzt wurden, heben sie sich von der Ab­schrift ab und bilden den Grundstock einer eigenständigen Kommentierung. Abgesehen davon, dass die Abschrift sowie die Kommentierungen Schellings einmal mehr dessen Hochbegabung dokumentieren, ist es in diesem Zusammenhang besonders be­merkenswert, wie intensiv sich der Teenager in die damalige exegetische Debattenlage eingearbeitet hat. So notiert er etwa zu Schnurrers Auslegung von Hiob 19,19, dessen Erklärung nicht folgen zu können und Meinungen anderer Interpreten anführen zu wollen. In seinen Anmerkungen führt er Albert Schultens, Johann David Michaelis, Edmund Castell, Johann Christoph Döderlein, Wilhelm Friedrich Hufnagel und Johann August Dathe (vgl. 123) an – europäische Gelehrte, auf die Schnurrer selbst auch Bezug nimmt. Doch nicht allein die Breite der Literatur, die er hier anführt, ist verblüffend; nicht weniger erstaunlich sind die fundierten philologischen Kenntnisse des jungen Schelling, der nicht nur die hebräische, griechische und lateinische Sprache beherrschte, sondern auch syrische und arabische Texte zu lesen vermochte. Insofern konnte er mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen, wenn er in der Nachschrift der Vorlesung zu den »Hülfsmittel[n] zu Hiobs Erklärung« las: »Ohne das Arabische kann man darinn nicht vorwärts kommen: weit eher ohne die übrige Dialekte.« (33)
Was Schelling in jenen Jahren gerade an Hiob, dem »Homer der Israëliten« (239), so fasziniert hat, dass er sich über mehrere Jahre immer wieder diesem im »Geschmak des Morgenlands« (27) angefertigten Buch zuwendete, ist schwer zu sagen. Waren es inhaltliche Gründe? War es der Umstand, dass Schnurrer es gerade kommentiert hatte? Oder ermunterte ihn sein Vater dazu? Vielleicht vermag eine intensivere Auseinandersetzung mit dieser Abschrift und Kommentierung eine Antwort auf die Frage nach den Motiven zu finden. Offenkundig ist jedoch, dass auch diese frühe exege-tische Arbeit zeigt, dass Schelling in jenen Jahren auf dem besten Wege gewesen war, in die Fußstapfen des Vaters, eines Professors für Orientalistik, zu treten, der – nebenbei bemerkt – auch mit Schnurrer freundschaftlich verbunden war. Die Prägung und Förderung durch den Vater spielten sicherlich eine entscheidende Rolle. Darauf deutet nicht zuletzt der Umstand hin, dass der junge Schelling zum damaligen Zeitpunkt Schriften seines Vaters studiert hat und auf diese in seinen Hiobstudien auch Bezug nimmt.
In werkgeschichtlicher Perspektive betrachtet tritt die profunde historische und vor allem philologische Kenntnis des frühen Schelling zwischenzeitlich in den Hintergrund. Dass der Philosoph jedoch auf diesem Gebiet ein Fachmann war, deutet sich auch im Spätwerk immer wieder an und es ist natürlich nicht auszuschließen, dass der späte Schelling in diesem Zusammenhang auch auf seine frühen Studienhefte zurückgegriffen hat. Das könnte auch für seine Beschäftigung mit Hiob vor allem in seinen Berliner Vorlesungen gelten. Am Ende seiner Philosophie der Offenbarung, in der er sich im Rahmen seiner Theorie des Christentums auch mit der Satansvorstellung beschäftigt, kommt er ausführlicher auf das Buch Hiob zu sprechen bzw. auf dessen Prolog. Konvergenzen in der Diktion dürfen zwar nicht überbewertet werden, erwähnenswert ist es aber gleichwohl, wenn dort der Satan als »Ankläger« (SW II/4, 250) bezeichnet wird. Denn in ebendieser Weise hatte Schnurrer, wie die Edition zeigt, den Satan genannt (vgl. 35). Dass es darüber hinausgehende Übereinstimmungen zwischen diesem frü hen und späteren Texten Schellings gibt, macht der editorische Bericht von Christian Danz kenntlich. Um sich den edierten, hochspezialisierten Texten annähern zu können, ist es ohnehin ausgesprochen hilfreich, diesen Bericht zu konsultieren, zeichnet er doch Schnurrers Hiob-Vorlesung und Schellings Anmerkungen in den zeitgenössischen Hiob-Diskurs ein. Die umfangreichen erklärenden Anmerkungen sowie die Bibliographie sind sodann unverzichtbar, um die von Schnurrer und Schelling verarbeitete Literatur entschlüsseln zu können.
Es war in der Forschung immer bekannt, dass Schelling sich in seinen ersten Studienjahren intensiv mit antiken Schriften befasst hatte. Gustav Plitt hat das schon vor 150 Jahren in Umrissen skizziert. Die bereits vorliegenden Editionen und jetzt die Hiob-Edition führen uns nun eindrucksvoll vor Augen, wie umfangreich und elaboriert diese Studien waren. Der in den letzten Jahren heraus-gegebene Nachlass aus Schellings Schul- und Studienzeit macht unmissverständlich deutlich, dass der spätere Philosoph nicht nur eine philologische Ader besaß, sondern ein mehr oder weniger komplett ausgebildeter Orientalist, Altphilologe und Exeget gewesen ist. Es ist das Verdienst der Herausgeberin Uta-Marina Danz sowie des Herausgebers Christopher Arnold, nun auch diesen Teil der zwar dem Namen nach bekannten, aber eben noch nicht erschlossenen Welt des Schellingschen Denkens zugänglich ge­macht zu haben. Damit steht ein weiterer wichtiger Baustein zur Verfügung, um sich ein vollständigeres Bild von der intellektuellen Entwicklung des frühen Schelling machen zu können. Wie ge­winnbringend eine intensive Beschäftigung mit diesen an­spruchsvollen und herausfordernden Quellen ist, zeigt die Dissertation Christopher Arnolds – Schellings frühe Paulus-Deutung (2019). Und es ist zu hoffen, dass weitere Untersuchungen folgen und in den neuen Quellen noch so manches Goldkorn entdecken.