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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

320-322

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Barniske, Friedemann

Titel/Untertitel:

Hegels Theorie des Erhabenen. Grenzgänge zwischen Theologie und philosophischer Ästhetik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XI, 412 S. = Beiträge zur historischen Theologie, 192. Lw. EUR 109,00. ISBN 9783161567360.

Rezensent:

Andreas Arndt

In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion charakterisiert Hegel das Judentum als Religion der Erhabenheit. Das Buch von Friedemann Barniske geht von dieser bekannten Charakteristik aus, fragt aber nicht nur, was das für Hegels Bild des Judentums bedeutet, sondern geht weit darüber und damit auch über die bisherige Forschung und Diskussion hinaus, indem es die Hegelsche Ästhetik grundsätzlich in den Blick nimmt. »Grundsätzlich« ist hierbei wörtlich zu nehmen, denn B. bemüht sich darum, die Grundlagen der Ästhetik in der Geistesphilosophie Hegels insgesamt zu bestimmen. Unter der Hand erweitert sich das Untersuchungsfeld damit über weite Strecken auf die Bewusstseins- und Geistestheorie Hegels überhaupt, was sich schon an der Gliederung des Buches ablesen lässt. Zwischen »Einleitung« und »Schluss« ge­spannt sind drei Hauptteile über (1.) »Die kategorialen Grundlagen des ästhetisch Erhabenen« (15–114), (2.) »Hegels Symboltheorie« (115–202) und schließlich (3.) »Die ästhetische Erhabenheit« (203–371).
Der erste Hauptteil beginnt mit einer Erörterung des Verhältnisses von Ästhetik und Bedeutung bei Hegel, wobei vor allem nach der Bedeutung von »Bedeutung« zu fragen sei, da es letztlich um den Begriff des Absoluten gehe (26). Dem damit gesetzten Verweis auf die Idee – im Hegelschen Sinne als absolute Idee – geht B. zunächst in einer »philosophiegeschichtliche[n] Reminiszenz« (35) in Bezug auf Platons Ideenlehre nach, um dann die »logischen Momente als Grundlage der konkreten Idee« (40) in der Wissenschaft der Logik und dem Logik-Teil der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse zu erläutern. Hierbei hebt B. völlig zu Recht besonders darauf ab, dass die Idee als in sich unterschieden (konkret) gerade dadurch bestimmt sei, dass die Vernunft den abstrahierenden Verstand in sich aufgehoben habe (52). Sodann wendet sich B. im Blick auf die – freilich defizitäre, weil sinnliche – Repräsentation der Idee im Kunstschönen dem Verhältnis von Idee und Erscheinung in der Hegelschen Logik zu (53 ff.). Hierbei setzt er sich auch mit dem Verhältnis von Ding-an-sich und Erscheinung bei Kant und Hegels Kritik am Ding-an-sich auseinander. Die Konkretion der Idee bestimmt sich in diesem Zusammenhang als durchgehende Relationalität von Innen und Außen, Wesen und Erscheinung (86 f.). Von hier aus kommt dann schließlich die »Kunst als sinnliches Scheinen der Idee« (87 ff.) in den Blick. Die Repräsentation der Idee, so wird betont, bleibe in der Kunst an ein »sinnliches Gestaltungsmedium« gebunden, so dass wir es »mit einem komplexen Gefüge einer Synthesis von Idealität und Objektivation im Medium sinnlicher Anschauung« zu tun haben (114). Dies wirft die Frage nach der Möglichkeit der Repräsentation der Idee im Sinnlichen auf, der im zweiten Abschnitt im Blick auf Hegels Symboltheorie nachgegangen wird.
Der Abschnitt beginnt mit der »geistesphilosophische[n] Grundlegung der Symboltheorie« (115 ff.); hierbei verfährt B. entwicklungsgeschichtlich, indem er auf die Nürnberger Gymnasialkurse rekurriert, die Hegel als Rektor des Egidiengymnasiums (1808–1816) hielt. Er stützt sich dabei auf die Geisteslehre in der Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), die leider nach der überholten Edition im Rahmen der Theorie-Werkausgabe des Suhrkamp-Verlages zitiert wird; die bessere und materialreichere Edition der kritischen Ausgabe im Rahmen der Gesammelten Werke Hegels (GW 10), die seit 1806 vorliegt, bleibt hingegen unberücksichtigt, ob­wohl viele der dort erstmals veröffentlichten Texte einschlägig sind und im Blick auf die Entwicklungsgeschichte ein noch genaueres Bild ermöglicht hätten. In systematischer Hinsicht profiliert B. besonders die Funktion der Einbildungskraft für allgemeine Vorstellungen, die sich von der unmittelbar sinnlichen Wahrnehmung lösen, was Voraussetzung der Repräsentation eines abso-luten Gehalts – der Idee – in der Ästhetik ist (vgl.131 f.). In einem weiteren Schritt wird, wiederum anhand der Nürnberger Enzyklopädie für die Oberklasse, das Verhältnis von Symbol und Zeichen behandelt (132–154), bevor B. sich dann drittens dem »Symbolbegriff in den Vorlesungen über die Ästhetik« zuwendet (154–187). Anders als das Zeichen sei das Symbol nicht mehr willkürlich, jedoch komme »das Verhältnis von ideellem Gehalt und sinnlicher Gestalt als eine in sich dynamische Synthesis aus Differenz und Indifferenz zu stehen« (166). Die Unangemessenheit des Sinnlichen für die Repräsentation eines rein ideellen Gehalts führe somit zu einer »konstitutiven Ambiguität des Symbolischen« (178). Abschließend wird sodann die symbolische Kunstform in ihrer Differenz zur vollendeten Gestalt des Kunstschönen thematisiert (vgl. 193). Sie stelle sich dar als ein unbewusstes Ringen mit dem ideellen Gehalt (199), das jedoch in der Ambiguität verbleibe.
Der dritte und letzte Abschnitt des Buches ist der »ästhetische[n] Erhabenheit« (203 ff.) gewidmet, wobei zunächst die »Vorformen« (203) des Erhabenen behandelt werden. Hierzu gehören die unmittelbare Identifikation eines Allgemeinen mit einem Sinnlichen, wie etwa in der Lichtreligion des Zoroastrismus (205 f.) und, als nächste Stufe, die Scheidung des Allgemeinen von einzelnen Naturerscheinungen in einer phantastischen Symbolik wie in der indischen Kunst (221). Im nächsten Schritt behandelt B. den Zusammenhang von »Erhabenheit und Bedeutung« (246–267); mit der Erhabenheit trete »die Idealität der Vorstellung in den Vordergrund« (250), womit »die Bedingung der Möglichkeit des Überschritts von der abstrakten Bedeutung zur Suisuffizienz der Bedeutung« (251) gegeben sei. Gleichwohl bleibe der sinnliche Bezug der Erhabenheit genau für diesen Schritt das entscheidende Hindernis, so dass letztlich nur die Negation des Sinnlichen die absolute Bedeutung zu geben vermag. Die Erhabenheit bringt Hegel, wie im nächsten Schritt ausgeführt wird, in seinen Ästhetik-Vorlesungen religionsphilosophisch mit dem Pantheismus in Verbindung (267–286), für den Hegel drei Gestalten namhaft macht: die Kunst der Religiosität im alten Indien, die persische islamische Mystik und die christliche Mystik. Allen Gestalten gemein ist, dass sie einen positiven Bezug auf die Sinnlichkeit durch die universelle Bedeutsamkeit aller Erscheinungen beibehalten. Im nächsten Schritt kommt dann der hebräische Monotheismus als Religion der Erhabenheit zur Sprache (286–340), der sich darin vom Pantheismus der Kunst unterscheide, dass die »Unbedingtheit des ideellen Gehalts« durch Negativität, die »konsequente[] Depotenzierung der sinnlichen Gestalt als solcher« (287) zur Geltung gebracht werde. Abschließend geht es im dritten Abschnitt dann um die »Erhabenheit unter den Bedingungen der romantischen Kunstform« (340–371), in der die Bedeutung selbständig und frei wird, indem sie zum Ausdruck des romantischen Subjekts wird (vgl. 344 f.): zum »innerlichen Ausgang des Geistigen von und zu sich« (357). Hier, so B., wiederhole sich die Unangemessenheit der Bedeutung gegenüber der äußerlichen Erscheinung in der Erhabenheit, indem die Innerlichkeit in dem Äußeren letztlich keinen adäquaten Ausdruck finde (366).
Das Buch folgt einer stringenten Argumentationslinie und verschafft neue Ein- und Durchblicke auf einem bisher wenig bearbeiteten Gebiet. Kritisch bleibt anzumerken, dass die neuesten Hegel-Editionen und das durch sie bereitgestellte Material nicht ausgewertet werden. Systematisch unterbestimmt bleibt das Verhältnis von Ästhetik und Religion bei Hegel, welches durch das Verhältnis der Leitbegriffe »Bild« (Ästhetik) und »Vorstellung« (Religion) bestimmt ist. Bezeichnenderweise fehlen beide Begriffe auch in dem ansonsten verdienstvollen Sachregister. Dies liegt vielleicht daran, dass B. stellenweise dazu tendiert, Geist bewusstseinstheoretisch von mentalen Prozessen her zu denken (vgl. z. B. 184.261) und damit Stufen des Geistigen miteinander zu verschleifen. Dennoch ist das Buch unbedingt lesenswert, anregend und orientierend für weitergehende Forschungen.