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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

305-306

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Friedrich Heinrich

Titel/Untertitel:

Briefwechsel 1799 bis 1800. Nr. 3690–3987. Gefördert v. d. Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Hg. v. M. Köppe.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2018. LX, 380 S. m. 7 Abb. = Jacobi Briefwechsel – Nachlaß – Dokumente: Briefwechsel. Reihe I: Text, 12. Lw. EUR 298,00. ISBN 9783772826665.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Jacobi, Friedrich Heinrich: Briefwechsel Oktober 1794 bis Dezember 1798. Nr. 3329–3689. Gefördert v. d. Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Hg. v. C. Goretzki. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2017. XLVIII, 331 S. m. 8 Abb. = Jacobi Briefwechsel – Nachlaß – Dokumente: Briefwechsel. Reihe I: Text, 11. Lw. EUR 298,00. ISBN 9783772826658.


Dieter Henrich kann von Immanuel Kant und Friedrich Heinrich Jacobi als einem philosophischen »Doppelstern« sprechen. Während hierbei Kants philosophisch epochale Bedeutung weithin bekannt und anerkannt ist, sieht es im Fall von Jacobi etwas anders aus. Zwar ist unstreitig, dass Jacobi im Kontext der kantischen Philosophie und der Hochzeit des Deutschen Idealismus eine wichtige Schlüsselstellung einnimmt. Doch erst eine Analyse und Deutung der vielfältigen und verflochtenen Netzwerke der damaligen Konstellationen, in denen das Medium des Briefes eine herausragende Rolle spielt, rückt Jacobi ins rechte Licht. So korrespondiert Jacobi brieflich u. a. mit Goethe und Schiller, Fichte und Hamann, Lessing und Schelling, Hegel und Reinhold – und nimmt hierbei nicht nur als kompetenter Diskussionspartner teil, sondern initiiert auch Einsichten, die später unter anderen Namen bekannt(er) werden.
Insofern ist der von Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen – ab dem Band 11 ein Forschungsvorhaben der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und nicht mehr wie anfänglich der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – herausgegebene Briefwechsel Jacobis in der Gesamtausgabe keine Nebensächlichkeit. Dies ist zum einen editorisch der Fall, weil nunmehr historisch-kritisch ein zuvor nur teilweise bekannter Briefwechsel zugänglich wird bzw. ist; und dies ist zum anderen doxographisch der Fall, weil nunmehr inhaltlich die Entstehung von zeitgenössisch zentralen Einsichten und Schriften verständlicher wird.
Dies trifft m. E. auch und besonders auf die beiden von Catia Goretzki und Manuela Köppe sorgfältig und vorbildlich edierten Bände zu, die Jacobis Briefwechsel von 1794 bis 1800 bieten und über ein chronologisches Brief- und ein Korrespondenzverzeichnis sehr gut erschlossen sind. So lässt sich über diesen Briefwechsel Jacobis etwa dessen erwachendes Interesse an Fichtes Philosophie, seine Beschäftigung mit ihr und schließlich seine Abwendung von ihr genauer nachvollziehen. Weil damit philosophisch und systematisch-theologisch die Fragen verbunden sind, ob und inwiefern Geschichtlichkeit und Logik, Erfahrung und Wirklichkeit, Gefühl und Vernunft in einem Gegensatz zu stehen kommen, hat diese Beschäftigung Jacobis mit Fichte sachlich ein erhebliches Gewicht.
Das wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass an Jacobis Problembeschreibung – nicht aber seine vorgeschlagene »Lösung« eines dualistisch angelegten »Realismus« – sich die Spätphilosophie Schellings anschließen kann, die für eine vernünftige Eingrenzung und Einhegung der idealistisch herausgestellten Kraft der Vernunft plädiert. Und: Sören Kierkegaard und Karl Marx werden wiederum an Schellings spätphilosophische und gegen Hegel gerichtete Einsicht anknüpfen, dass das Leben nicht auf das Denken, die Existenz nicht auf die Logik reduziert werden kann. Der späte Schelling übernimmt und teilt dabei Jacobis an der Frühphilosophie Fichtes herausgearbeitete Skepsis, die ganze Wirklichkeit einschließlich des Absoluten aus dem wissenden Selbstwissen der menschlichen Subjektivität konstruieren zu wollen. Jacobi be­fürchtet hier einen lebensfernen und praxisfernen »Nihilismus« und hat keine Scheu, im sogenannten »Atheismusstreit« (1798–1799) um Fichtes Konzeption eines unpersönlichen Gottes seine Bedenken vorzutragen. Diese bringt Jacobi auch im öffentlichen Sendschreiben »Jacobi an Fichte« (1799) vor. Jacobi wirft Fichte prinzipiell einen »umgekehrten Spinozismus« vor, wonach Fichtes Subjektivitätskonzeption strukturell die Probleme von Spinozas Substanzphilosophie teilen würde, keine erfahrungsgesättigte Kontingenz und reale Lebendigkeit denken zu können. Wie Jacobi sich zu dieser Kritik durchringt, nachdem er zuvor Fichte als Weiterdenker eigener Einsichten verstanden hatte, kann man mit dem vorliegenden Briefwechsel nachvollziehen: Jacobi scheint vor allem im Verlaufe des Briefwechsels mit dem dänischen Schriftsteller und Intellektuellen Jens Immanuel Baggesen darauf ge­kommen zu sein, dass seine, Jacobis, vormalige Kritik an Spinoza der Sache nach auch auf Fichte zutrifft. Schließlich findet Jacobi in einem Brief an Christian Wilhelm Dohm zum Bild vom Strick strumpf für Fichtes Philosophie, das Jacobi dann auch in sein Sendschreiben einfließen lässt. Danach ist Fichtes Philosophie mit einem Strickstrumpf vergleichbar, der in Wahrheit nur aus einem Faden besteht, so sehr der Strumpf sich in Knoten oder Mustern zu etwas verfestigt, was von dem Faden scheinbar unterschieden ist; am Ende, so schließt Jacobi, versinkt Fichtes Ich, das doch die Außenwelt erreichen wollte, gleichsam nihilistisch in sich, so wie es ein alter Strumpf tut, der sich in den Faden auflöst. Neben diesem – deutlich mit einem Augenzwinkern – mitgeteilten Vergleich wird in Jacobis Briefwechsel lebensweltlich vor allem miterlebbar, was es für Jacobi heißt, im Jahr 1794 vor den vorrückenden französischen Revolutionstruppen von seinem Landsitz Pempelfort (bei Düsseldorf) ins Exil nach Norddeutschland zu gehen – und wie schwer er sich tut, hier einen dauerhaften und ihm genehmen Wohnsitz zu finden. Jacobis Hoffnung auf eine Beendigung der kriegerischen Handlungen und eine zukunftsweisende Befriedung werden mehr als einmal durchkreuzt und zunichte ge­macht. Beeindruckend ist es vor diesem Hintergrund auch, zu lesen und zu verstehen, wie Jacobi französischen Flüchtlingen nicht nur Zuspruch leistet, sondern über seine Netzwerke und Verbindungen auch Hilfe organisiert.
Der edierte Briefwechsel ist für die Konstellationsforschung des Deutschen Idealismus und die sachliche Diskussion seiner Chancen und Probleme ein höchst interessantes wie gewinnbringendes Hilfsmittel, wie er für die Erschließung von Jacobis Denken und Leben unentbehrlich sein dürfte.