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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

301-302

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wilson, Vallery D. A.

Titel/Untertitel:

La récapitulation chez Irénée de Lyon. Le dessein absolu de Dieu pour l’homme. Préface par P. Descourtieux.

Verlag:

Les Plans sur Bex: Parole et silence 2019. 182 S. = Sagesse et cultures. Kart. EUR 20,00. ISBN 9782889590582.

Rezensent:

Rolf Noormann

Diese Untersuchung von Vallery D. A. Wilson zur Vorstellung der Rekapitulation bei Irenäus von Lyon zielt, wie schon der Untertitel ahnen lässt, auf eine Gesamtsicht der irenäischen Soteriologie. Demgemäß ist der erste Hauptteil dem irenäischen Verständnis der Rekapitulation als »fondement de sa sotériologie« gewidmet (15–85).
Eröffnet wird das Kapitel mit einer Bestimmung des Begriffs der Rekapitulation, die, ausgehend von seiner »paulinischen« Verwendung in Röm 13,9 und Eph 1,10, die vielfältige Bedeutungsnuancen des Begriffs vor Augen führt. Irenäus hat, so der Vf., den Begriff von Paulus übernommen, ihm aber im Kontext seiner antignostischen Polemik »une autre signification et interprétation« gegeben (20). Verbunden mit der durch sie bestimmten Heilsökonomie sei die christozentrisch verstandene Rekapitulation zu einem »condensé de toute sa pensée théologique« geworden (28). Im zentralen Kapitel »Une relecture de la récapitulation christocentrique« (41–77) stellt der Vf. die verschiedenen Aspekte der Rekapitulation in Adv. haer. vor: Christus rekapituliert (a) alle Dinge, (b) den Menschen, (c) das zu Beginn vom Schöpfer geformte Werk bzw. das Fleisch, (d) Adam, (e) den Ungehorsam und den Tod Adams, die er in sich zerstört, (f) die lange Geschichte der Menschen, (g) alle Völker, Sprachen und Generationen, (h) das vergossene Blut der Gerechten und Propheten und die Feindschaft des Menschen gegen Satan sowie (i) die gesamte Heilsökonomie (41–65). Ausführungen zum Verständnis der Rekapitulation in der Epideixis schließen sich an (65–69). Ziel der Rekapitulation ist »la réconciliation de l’homme avec Dieu« (69–71).
Gesondert thematisiert der Vf. zum einen die Rolle des Kreuzes für die irenäische Rekapitulationslehre – im Anschluss an Donna Singles wird vor allem die kosmologische Dimension des Kreuzes herausgestellt (71–73) –, zum anderen seine christologischen Vorstellungen, d. h. seine »précisions sur la nature du Christ« in Auseinandersetzung mit gnostischen Auffassungen (73–77) – auch wenn Irenäus die angemessene Terminologie noch fehle, seien seine entsprechenden Ausführungen in Adv. haer. III, 18,6 f.; 19,1 so klar und vollständig, dass sie »l’essentiel de notre foi sur la nature humaine et divine du Christ« zum Ausdruck brächten und Irenäus ein Platz »dans l’histoire de la christologie« sicherten (76 f.). Den Abschluss des ersten Hauptteils bildet ein Kapitel zur Rekapitulation des Antichristen (79–85).
Der zweite Hauptteil trägt den Titel »L’exégèse paulinienne comme source de la récapitulation chez Irénée« (87–166), ist aber ebenso wie der erste systematisch-theologisch ausgerichtet und nimmt aus etwas anderer Perspektive erneut das Ganze der irenäischen Soteriologie in den Blick. Nach einleitenden Ausführungen zur kirchlichen Orientierung der irenäischen Schriftauslegung (92–97) skizziert der Vf. im Anschluss an Bertrand de Margerie drei Dimensionen der irenäischen Auslegung der Rekapitulation in Eph 1,10: kosmisch, soteriologisch und eschatologisch (97–100). Es folgt ein Kapitel zur »démarche de l’exégèse Irénéenne« (101–113), in dem insbesondere die Bedeutung der kirchlichen Tradition für die christozentrische biblische Theologie des Irenäus betont wird – eine wohl etwas zu einseitige Deutung der irenäischen Ausführungen in Adv. haer. III, 1–5. Mit Recht stellt der Vf. die von Irenäus betonte Einheit und Harmonie der Schriften heraus, deren Unterschiedlichkeit »dans une foi commune« vereinigt sei (105); auf das hier grundlegende Konzept der regula fidei geht er allerdings nicht ein. Als »le cœur de la constitution de l’exégèse d’Irénée« wird die »récapitulation christocentrique« herausgestellt, ausgeführt an­hand des Adam-Christus-Themas, der Gegenüberstellung von Eva und Maria sowie der irenäischen Interpretation der Geschichte vom barmherzigen Samariter (106–113).
Nach einem kürzeren Kapitel zum »paulinischen« Verständnis des »mystère du Christ« und der Rekapitulation (115–121) folgt als zentrales Kapitel des zweiten Hauptteils »La sotériologie de saint Irénée de Lyon« (123–166). Hier liegt der Schwerpunkt auf dem irenäischen Verständnis der »économie«, die der Vf. als Weiterentwicklung einer »économie de la révélation« zu einer »économie du salut« interpretiert (129–145). In seiner Deutung des irenäischen Verständnisses der die ganze Geschichte von der Schöpfung bis zur Vollendung umfassenden Heilsökonomie lässt sich der Vf. durch das von Pierre Évieux entwickelte Konzept einer »théologie de l’accoutumance« inspirieren (148–163): »c’est la théologie de l’accoutumance qui retrace la pédagogie divine partant de la création ex nihilo à l’économie du salut en passant par l’incarnation, le choix du Peuple de Dieu et des chrétiens afin de faire triompher le règne du Christ. Ce triomphe, c’est la théologie de l’histoire […]« (166).
In der »Conclusion générale« (167–174) bündelt der Vf. nur kurz die wesentlichen Ergebnisse seiner Untersuchung – Rekapitulation in Christus heißt, so die schöne Formulierung: »Grâce au Christ, l’homme est recentré sur Dieu« (167), auf diese Weise werde die Versöhnung zwischen Gott und Mensch realisiert –, bevor er anhand verschiedener Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie Äußerungen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. die Aktualität der irenäischen Theologie herausstreicht: »Saint Irénée est un Père de l’Église dont la pensée traverse les siècles sans être dépassée, ce qui fait de lui un contemporain de toutes les époques.« (168) Dies gilt im Sinne des Vf.s insbesondere von der irenäischen Vorstellung der Rekapitulation als Zentrum und Kulminationspunkt seiner heilsgeschichtlichen Theologie.