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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

290-291

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klaiber, Walter

Titel/Untertitel:

Die Offenbarung des Johannes.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2019. 341 S. m. 3 Tab. u. 1 Kt. = Die Botschaft des Neuen Testaments. Geb. EUR 19,00. ISBN 9783788733919.

Rezensent:

Stefan Alkier

Dass es sich bei Walter Klaiber um einen erfahrenen, kenntnisreichen und engagierten Bibelleser handelt, zeigt sein Kommentar zur Offenbarung des Johannes auf nahezu jeder Seite. Da interpretiert jemand, der seine Bibel kennt, in beiden Testamenten zuhause ist und sie für heutiges christliches Leben fruchtbar machen möchte. Diese Stärke zeigt sich insbesondere bei K.s Hinweisen zu den Bezügen des Sehers auf Schriften Israels. Seine Hinweise können als Ausgangspunkt intertextueller Untersuchungen verwendet werden.
Mit der neueren Forschung kommt K. zu der Einsicht: »Heute ist aber allgemein anerkannt, dass viele der sprachlichen Besonderheiten des Textes nicht auf das Unvermögen des Autors zurückzuführen sind, sondern auf seine Absicht, bestimmte Aussagen besonders hervorzuheben. Wir werden daher versuchen, auch in der deutschen Übersetzung manche dieser Eigentümlichkeit nachzubilden.« (15; vgl. auch 299) Doch hält sich K. nicht strikt an diese philologische Einsicht, wie das folgende Beispiel veranschaulicht: K. schreibt zur Bedeutung des griechischen Wortes metánoia bzw. metanoéo: »Auf Rückbesinnung und Einsicht sollte als zweites tätige Buße folgen: Kehre um […] das griechische Wort und sein hebräischer Hintergrund betonen jedoch stärker das Umdenken und Umkehren.« (54) Meta-noéo heißt »umdenken«, aber nicht »um­kehren«, was im Griechischen mit metastréphomai oder auch epistréphomai zum Ausdruck gebracht wird. Die richtige Bedeutung »umdenken« für metanoéo erscheint dann aber im Kommentar nicht mehr. Stattdessen bleibt hier K. mit »Umkehr« und »Buße«, dem bußtheologischen Klang der Lutherbibel verpflichtet und nicht dem Griechisch des auszulegenden Textes.
Nicht unproblematisch erscheint auch K.s Kritik an der Übersetzung des griechischen Wortes arníon. K. schreibt zu Apk 5,12: »Manche Ausleger übersetzen das griechische Wort mit Widder, unter anderem, weil Hörner erwähnt werden. Aber es bedeutet eindeutig [sic] (junges) Lamm. […] Die wichtigste neutestamentliche Parallele findet sich in Joh 1,29.34 (allerdings mit einem anderen griechischen Wort [sic] für Lamm.« Auf die philologische Argumentation – in diesem Falle Martin Karrer, Johannesoffenbarung (Offb. 1,1–5,14), EKK XXIV/1, 452 f. –, die eine solche semantische Kohärenz zweifelhaft erscheinen lässt, geht K. nicht ein.
Insgesamt ist K.s Kommentar getragen von dem Interesse, die Johannesapokalypse nicht nur als kohärent mit dem Johannesevangelium, sondern auch mit den Paulusbriefen und den synoptischen Evangelien und weiteren neutestamentlichen Schriften zu erweisen. Einigendes Band und roter Faden ist für K. eine »Leidensethik Jesu und des Urchristentums« (164), welche die Vielstimmigkeit, die Differenzen und Widersprüche in und zwischen den neutestamentlichen Texten harmonisieren bzw. integrieren soll.
Zu Recht warnt K. vor der »›Verteufelung‹ der Gegner« in den Sendschreiben und setzt dagegen »das Gebot einer geistlichen Feindesliebe« (100). In Widerspruch dazu aber dämonisiert er undifferenziert das Imperium Romanum: »Das Römische Reich ist ein satanisches Machwerk.« (187) Davon lässt er auch seine aktualisierenden Ausführungen bestimmt sein (vgl. 308).
K. behauptet im Zuge seiner Charakterisierung des Kaiserkultes in der Regierungszeit Domitians: »Hier ist zweifellos im Blick, dass in dieser Zeit in Kleinasien Kolossalstatuen des Kaisers errichtet und zum Zentrum der Kaiserverehrung gemacht wurden.« (193) Für diese Behauptung gibt K. weder Fundorte solcher deutlich überlebensgroß gearbeiteten Statuen noch Literatur dazu an. Mit anderen Worten gab es für kurze Zeit eine 35 Meter hohe kolossale Statue von Nero in Rom und dann wieder in Rom eine 12 Meter hohe Statue von Kaiser Konstantin. Auf welche Kolossalstatuen in Kleinasien sich aber K. bezieht, lässt der Kommentar offen.
K. möchte mit seinem Kommentar aber auch weniger einen Beitrag zur internationalen kritischen historischen und philologischen Forschung leisten, als vielmehr in die Breite wirken. Sein wichtigstes Interesse formuliert er so: »In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten ist die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur Offenbarung enorm angewachsen. Doch die zentrale theologische Frage, ob sie uns heute noch etwas zu sagen hat, wird selten angesprochen. So bleibt eine Auslegung der Offenbarung, in deren Zentrum die Frage nach ihrer Botschaft steht, ein Wagnis.« (6). Einmal davon abgesehen, dass dieses pauschale Urteil K.s mit Blick auf die Apokalypseforschung der vergangenen 30 Jahre unzutreffend ist – man denke nur an die theologisch aussagekräftigen Kommentare zur Apk von Traugott Holtz und Martin Karrer –, trägt K.s Kommentar selbst nur Fragmentarisches für die Beantwortung der theologischen Frage bei, ob und was die Johannesapokalypse heute zu sagen hat. Sein Anliegen, dass Exegese sich mit den Problemen der Gegenwart auseinandersetzen muss, wenn sie theologisch relevant sein soll, ist gerade in Krisenzeiten wie unserer Gegenwart von enormer Bedeutung. Ob ihm das gelingt, mögen die Lesenden selbst entscheiden.